Vereinssterben

Turnerbund Germania Mannheim nach 137 Jahren am Ende

Dem traditionsreichen Turnerbund Mannheim ist es nicht gelungen, neue Mitglieder für den Sport zu begeistern. Der Vize-Vorstand sieht nicht nur Corona in der Schuld

Von 
Helga Köbler-Stählin
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Nach und nach schrumpfte die Mitgliederzahl des Turnerbundes. © dpa

Mannheim. „Es war nicht nur Corona“, sagt Konrad Reiter. Er ist Zweiter Vorsitzender des Mannheimer Turnerbunds Germania: „Es war absehbar“. Denn nach und nach schrumpfte die Mitgliederzahl, die Aktiven waren in die Jahre gekommen, und der Nachwuchs fehlte. So kam es, dass die verbliebenen 16 Sportler den Entschluss fassten, den Traditionsturnverein aufzulösen. Und demzufolge geht am letzten Tag des Jahres, am 31.12.2022, eine 137-jährige Ära zu Ende.

Konrad Reiter, Zweiter Vorsitzender beim Sportverein Germania, hat vergeblich versucht, neue Mitglieder zu werben. Zum Jahresende ist der Traditionsverein Geschichte. Reiter macht mit Kursen im Unteren Luisenpark weiter. © Helga Köbler-Stählin

Zuvor hatte Reiter den Umschwung versucht. Bei einem Jahrestreffen des Turngaus Mannheim, des Dachverbands für Sportvereine, der in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen feierte, kam er mit dem Germania-Vorsitzenden Daniel Werdé ins Gespräch. Der wollte nach 25 Jahren seine Amt an der Spitze des Vorstands abgeben. Seine Beweggründe: Die Zeit hatte sich gewandelt, die Gesellschaft mit ihr, und die Frage, wie man Tradition und Fortschritt verbinden könne, blieb unbeantwortet.

Vergeblich mit Flyern nach neuen Mitgliedern gesucht

Aber der sportliche „Tausendsassa“ Reiter wollte wenigstens versuchen, interessierte Menschen ins Boot, beziehungsweise in die Sporthalle zu holen. Er übernahm den Zweiten Vorsitz, erstellte eine Homepage, schaltete Anzeigen in der Stadtteilzeitung und legte Faltblätter in den Geschäften aus.

Die Flyer, die Reiter selbst entworfen hatte, warf er mit Daniel Werdé in die Briefkästen der Schwetzingervorstadt, dort, wo der Verein bald 140 Jahre ansässig gewesen wäre. Eine lange Zeit. Und eine wechselvolle Geschichte, auf die in wenigen Wochen nur der Rückblick bleiben wird.

Drei Herren hatten am 23. Februar 1885, „im Nebenzimmer der Restauration Försten“ beschlossen, den Turnerbund ‚Germania’ ins Leben zu rufen. Bis zum Endes des Jahres waren schon 88 männliche Mitglieder beigetreten und 1903 haben Frauen eine eigene Turnabteilung gegründet“. So steht es in der Festschrift zum 125-jährigen Vereinsbestehen. Doch neben den vielen Sportarten, die noch folgen sollten, ging es auch damals schon um die Gemeinschaft, um ein kameradschaftliches Miteinander, um eine Gruppe, die sich in Sport und Bewegung verbindet.

Jüngere bevorzugen Fitnessstudios statt Vereinen

Aber ganz gleich, ob es Turnen, Leichtathletik, Fechten, Hockey oder Faustball war, ob Tischtennis oder eine gemischte Gymnastik-Volleyballabteilung, ob QiGong, TaiChi, Yoga oder Tao-Yoga das Angebot erweiterten - immer braucht es ehrenamtliche Mitarbeiter, Trainer oder Übungsleiter. „Es gibt nur noch wenige Menschen, die sich dafür Zeit nehmen“, klagt Reiter. „Die jungen Leute arbeiten lang und gehen, wann sie es selbst mögen, in ein Fitnessstudio“, sagt er. Sie wollten unabhängig sein, ihr eigenes Ding machen und sich nicht an vorgegebene Zeiten binden lassen.

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„Das Gemeinschaftsgefühl nimmt überall ab. Das soziale Beisammensein fehlt.“ Auch die Plauderei im Vereinslokal habe ausgedient, und selbst hier könne man beobachten, dass solche Lokale schließen.

Doch Konrad Reiter ist ein Kämpfer. Und einer wie er gibt so leicht nicht auf. Seit 45 Jahren ist der Mannheimer selbst im Ehrenamt. Hat 39 eigene Sportabzeichen. „Natürlich in Gold“, lacht er. Schnelligkeit, Koordination, Beweglichkeit und Ausdauer würden geprüft und beurkundet. „Aber immer dem Alter angepasst“. Und er hat mehrere Trainer-Lizenzen, die man durch schriftliche und mündliche Prüfungen erwerben muss. Obendrein ist eine praktische Prüfung nötig. Für die nächsten zwei Jahre hat er gerade seine Lizenzen erneuert.

Vereinsvorsitzender bietet weiter Bewegungskurse an

Reiter ist groß und schlank, spricht offen und heiter. Er erzählt, dass er neben seinen Studien als Jurist und Betriebswirt auch Gerontologie studiert hat. Mit damals 60 Jahren wollte er das Thema der wissenschaftlichen Alterskunde fundieren. Heute ist er gefragter Fachmann beim „Reha- und Behindertensportverband“, hat Zulassungen für Orthopädie, innere Medizin, in der Krebstherapie und ist Übungsleiter in Prävention für Alter und Gesundheit. Ein sportlicher „Tausendsassa“ eben.

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Im nächsten Jahr wird Reiter 80 Jahre alt. Ein Senior. Negativ besetzt findet er den Ausdruck nicht. „Schauen Sie sich die alte Riege an, die lange aus dem Beruf ist. Bei Senioren kann man auf Wissen vertrauen, auf lange Erfahrung, man kann sich Rat holen“, sagt er. Zu vielen ehemaligen Firmeninhabern könne man aufschauen, zu den Senioren Hopp oder Fuchs etwa, die Großes leisten, obwohl im Ruhestand.

Auch Konrad Reiter sprüht vor Energie und versteht es, andere damit anzustecken. Jeden Montag bietet er um 10 Uhr Bewegungskurse an. Teilnehmen kann jeder und jede. Senioren und Junioren. Treffpunkt ist am Theresien-Krankenhaus - an der Treppe, die in den Unteren Luisenpark führt.

Freie Autorin Studium: Journalismus, Medien- und Pressearbeit-PR

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