Mannheim. Ob in der Straßenbahn, im Restaurant, im Taxi oder an der Supermarktkasse: Glatte Bildschirme, sogenannte Touchscreens, bestimmen mittlerweile unser Leben und sind nicht mehr wegzudenken. Aber was macht ein Mensch mit einer Sehbehinderung? Wie kann er diese Maschinen bedienen, ohne eine Geheimzahl einem anderen preiszugeben? Auf diese Probleme hat der badische Blinden- und Sehbehindertenverein am jährlich stattfindenden Sehbehindertentag aufmerksam gemacht.
Auf den Planken, in der Nähe der Stadtbahnhaltestelle „Strohmarkt“, hatten die Organisatoren einen Stand aufgebaut, an dem Interessierte sich informieren konnten, wie diese Bildschirme auch für Menschen mit Sehbehinderungen nutzbar gemacht werden können. Mithilfe von Simulationsbrillen erlebten Passantinnen und Passanten, wie sich der Alltag mit eingeschränkter Sehfähigkeit anfühlt. Diese Erfahrung soll für die Problematik sensibilisieren und Denkanstöße für mehr Inklusion geben.
RNV will in Mannheim nach und nach Ticketautomaten ersetzen, damit auch Sehbehinderte sie gut nutzen können
Gerade die Automaten der RNV waren allerdings nicht unbedingt das beste Beispiel für diesen Selbstversuch. Diese Geräte sind auf dem neuesten Stand und entsprechen weitgehend den Anforderungen des Sehbehindertenverbandes, sind sie doch gemeinsam mit ihm entwickelt worden. „Der spricht ja mit demjenigen, der ihn bedient“, stellte Gaby Weiland als Vertreterin des Verbandes fest. „In Feudenheim, wo ich wohne, ist das allerdings noch anders“, ergänzte sie. Da gebe es noch keinen so modernen Fahrscheinautomaten.
Patryk Aniszewski von der RNV bestätigte dies und stellte klar: „Nach und nach werden wir alle Automaten ersetzen und so auch für sehbehinderte Menschen nutzbar machen.“ Damit werden auch für diese Menschen die Touchscreens nutzbar, denn es sei undenkbar, dass in der Stadtbahn selbst ein Fahrschein gelöst werden könne. Ruck zuck gerate ein Mensch, der nicht alles sieht, in die Gefahr, eine Straßenbahn ohne gültigen Fahrschein zu besteigen. Das wolle schließlich niemand.
Weiland wies darauf hin, dass schon das Aufstellen der Automaten zum Problem werden könnte. Direkte Sonneneinstrahlung sollte vermieden werden, damit keine Reflexionen stören. Da könnten Überdachungen oder ein seitlicher Blendschutz helfen. In Innenräumen, wie etwa bei Bankautomaten, sollte blendfrei ausgeleuchtet sein. Geräusche aus der Umgebung sollten ebenfalls vermieden werden, damit eventuelle Rückmeldungen gut gehört werden. Der Touchscreen sollte im Stehen und im Sitzen, zum Beispiel für Rollstuhlfahrer, erreichbar sein. Auch bei der Höhe sollte darauf geachtet werden, dass es keine Reflexionen gibt. Hilfreich seien da matte Displays, die Lichtreflexionen reduzieren würden, erklärten die Sehbehinderten.
Fuhr da gerade eine ältere Stadtbahn der Linie 3 vorbei, sagte Weiland, dass sie die Anzeige nicht erkennen könne und somit nicht wisse, wohin die Bahn fahre. Als allerdings eine neue Rhein-Neckar-Tram anhielt, sagte sie: „Da ist der Kontrast schwarz-weiß. Das kann ich gut unterscheiden“. Außerdem sei die Schrift groß genug, um die Anzeige zu lesen.
Das ist das Ziel der Kampagne des badischen Blinden- und Sehbehindertenvereins in Mannheim
An Geräten, die eine Pin-Eingabe erfordern, sei die Schrift meist zu klein, so Weiland. Das könne sie nicht lesen, geschweige denn eine richtige Eingabe tätigen. Daher sollten Betroffene bei der Umsetzung eingebunden werden. An einem Foto des Mannheimer Wasserturms zeigten die Sehbehinderten, wie sie das Wahrzeichen der Stadt sehen, bei voller Sehkraft, bei 60 Prozent, bei 30 Prozent und bei zehn Prozent Sehkraft. Das war für jede Passantin und jeden Passanten deutlich zu unterscheiden und gab dem einen oder anderen doch zu denken.
Oft bedürfe es nur eines kleinen Anstoßes, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, sagte die Beauftragte der Stadt für Menschen mit Behinderungen, Ursula Frenz, die mit Behinderten am Stand diskutierte. Man habe schon viel erreicht, aber längst sei noch nicht alles zum Besten, stellte Frenz fest. Ziel dieser Kampagne sei es, auch die Anbieter von Touchscreen-Lösungen sowie Entscheider in Politik, Branchenverbänden, Unternehmen und die Gesellschaft für die Problematik zu sensibilisieren und Kontakte aufzubauen, die zum Abbau digitaler Barrieren genutzt werden können. Denn auch Frenz ist überzeugt: „Touchscreens sind aus unserer digitalen Welt nicht mehr wegzudenken. Sie müssen nur für jeden nutzbar sein.“
„Uns hilft es schon oft, wenn wir am Bildschirm die Kontraste verändern können. Wenn man eine Sehbehinderung hat, ist eine kontrastreiche Darstellung viel leichter zu lesen“, sagt auch Weiland. Laut Hochrechnungen, die auf Basis von Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO ermittelt wurden, gibt es mehr als eine Million sehbehinderte Menschen in Deutschland. Genaue Zahlen gibt es nicht. Mit der älter werdenden Gesellschaft würden Sehbehinderungen noch zunehmen, berichtet der Vorsitzende des badischen Ablegers des Verbandes, Karlheinz Schneider. Um auf die Bedürfnisse dieser Menschen aufmerksam zu machen, hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband DBSV im Jahr 1998 den Sehbehindertentag am 6. Juni eingeführt.
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