Es ist ein ganz besonderer Anblick im Sommer dieses Jahres: Ein junges Reh liegt im Gras, die Ohren wackeln, der Kopf bewegt sich leicht nach links, dann wieder nach rechts. Von Angst oder Hektik keine Spur. Bambi ist vollkommen entspannt. Bei der Seckenheimerin Elke Leib auf dem Reiterhof fühlt sich das Kitz wohl. Im Mai hat Ehemann Bernd Leib das Tier auf dem eigenen Weinberg in Laudenbach gefunden. Die Mutter ist angefahren worden, das Rehkitz bleibt alleine zurück. Die Landwirte überlegen nicht lange: Sie kümmern sich um das Jungtier, ziehen es mit der Flasche groß. Und Bambi dankt es den Seckenheimern: Jeden Morgen kommt es und holt sich sein Frühstück ab. Doch die Zeiten ändern sich. Bambi wird flügge, lässt sich kaum mehr blicken, lebt sein Leben mit Artgenossen im Wald.
Die Hoffnung, dass das Tier bald wieder zu ihr zurückkehrt, muss Elke Leib aufgeben und mit einer traurigen Nachricht fertig werden: Bambi ist gestern Nacht an den Bahnschienen überfahren worden. "Es wird mir sehr fehlen", sagt die Landwirtin. Für sie bricht eine Welt zusammen. Bambi mit dem bunten Halsband hat ihr viel Freude bereitet. Denn Elke Leib blüht durch das junge Tier richtig auf. "So eine schöne Aufgabe, Bambi ist mir wirklich ans Herz gewachsen", sagt sie im Sommer. Was der Seckenheimerin bleiben, sind die vielen schönen Erinnerungen. Aber nicht nur die 50-Jährige und das im Frühjahr geborene Rehkitz werden in diesem Jahr dicke Freunde. Leibs Hund Paul findet mit dem Reh einen neuen Spielgefährten. "Die zwei sind ein Herz und eine Seele", freut sich die Mannheimerin.
Der Tibet-Jack-Russell-Mischling weicht kaum von Bambis Seite. Auch die Labrador-Schäferhündin Luna hat sich mit dem Braunauge angefreundet. "Streit gibt es zwischen den dreien nie", sagt Elke Leib. Im Gegenteil: Die Verbindung zwischen Bambi und Paul ist sehr eng, sie kuscheln zusammen oder hüpfen gemeinsam durch den Garten. "Ich schaue den beiden so gerne beim Toben zu", schwärmt die Landwirtin.
Spiel mit der Freiheit
Im Sommer ist Bambi noch hilfsbedürftig, braucht die Flasche mit Ziegenmilch, um zu wachsen. Seit Mitte September bekommt das Reh keine Flüssignahrung mehr von Elke Leib. Vorwiegend Blätter und Gras stehen auf dem Speiseplan - und das gibt es zuhauf überall, nicht nur im Garten des Reiterhofs. "Bambi ist flügge geworden", sagt die 50-Jährige im Herbst - und das macht sie traurig. Es wäre für sie das größte Weihnachtsgeschenk gewesen, wenn das Reh sich wieder öfter gezeigt hätte. Aber die Seckenheimerin will nicht aufgeben. "Ich bin immer auf der Suche - im Wald, bei uns auf dem Hof und auch an der Rennbahn. Dort habe ich Bambi vor kurzem noch gesehen", sagt sie kurz nach den Weihnachtstagen.
Es scheint erfolgreich ausgewildert zu sein - und lebt im Wald. Das hört Elke Leib von den Jägern. "Dennoch sehen viele meiner Bekannten Bambi, nur ich nicht", ist Elke Leib in den vergangenen Wochen oft enttäuscht. "Ich suche und suche, aber finde es nicht." Alle ihre Freunde sagen ihr immer, wo sie das Tier gesehen haben, doch die Rehflüsterin hat kein Glück. Darum hat sie sich Kameras zugelegt, die den Hof filmen. "Die Hunde rennen abends und nachts zur Scheibe. Ich denke, Bambi ist da irgendwo." Ihre größte Sorge schwingt immer mit - dass dem Reh etwas zustößt. Darum trifft die Nachricht vom Tod des Tieres Elke Leib gestern sehr hart.
Die 50-Jährige merkt schon in den vergangenen Wochen, dass es nicht mehr so wird wie im Sommer, als Bambi sogar manchmal ins Wohnzimmer kam. Diese Nähe kann es nicht mehr geben. Die Anzeichen, dass das Reh erwachsen wird, spürt die 50-Jährige bereits im Herbst immer öfter. "Es wurde wilder und ist oft einfach abgehauen - ohne Grund." Diese Freiheit ist es dann, die Bambi leider das Leben kostet.
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