Mannheim. Es ist mitten in einer Mainacht im vergangenen Jahr, als ein 30-jähriger Ukrainer seinen tonnenschweren Sattelzug langsam durch die Untermühlaustraße Richtung Innenstadt lenkt – und plötzlich ein Hammer mit voller Wucht durch seine Windschutzscheibe kracht. Woher der Hammer kommt, wer ihn warum geworfen hat – und was an diesem frühen Donnerstagmorgen passiert ist, kann der Mann, der den Sattelzug mit polnischem Kennzeichen fährt, den alarmierten Polizisten zunächst nur auf Russisch schildern.
Weitere Attacken
Ein dazugerufener sprachkundiger Beamter übersetzt die Schilderungen seinen Kollegen, erklärt dem verwirrten Fahrer, wie es nun weitergeht. Im Polizeibericht gibt der Mann aus der Ukraine zu Protokoll: Er habe nur eine schwarz gekleidete Silhouette aus einem Hinterhof rennen sehen. Die Person soll das Wurfgeschoss gegen den Sattelzug geschleudert haben – einen Zimmermannshammer, wie die Ermittler später feststellen. Die Wurfkraft ist offensichtlich so stark, dass der Hammer in drei Meter Höhe in der Frontscheibe einschlägt.
Dass es sich dabei um keinen Einzelfall handelt, sondern um Wiederholungstäter, wird den Ermittlern klar, als sich weitere Fälle in der Untermühlaustraße häufen: Mal mit Steinen, mal mit Hantelscheiben oder Werkzeug attackieren die unbekannten Täter vorbeifahrende Autos. In den meisten Fällen durschlagen die Geschosse die Scheiben der Autos, die Fahrer und Fahrerinnen kommen glücklicherweise mit dem Schrecken davon.
Ein Jahr später gelingt es Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft Mannheim dann, zwei mutmaßliche Tatverdächtige zu ermitteln: Den einen, einen 19-Jährigen, nehmen die Ermittler bei einer Durchsuchung in seiner Wohnung in Mannheim fest. Er sitzt nun in Untersuchungshaft. Dem 19-Jährigen wird Mittäterschaft bei versuchtem Mord in vier Fällen sowie versuchte gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen vorgeworfen. Die Fahndung nach seinem Komplizen, einem 18-Jährigen ohne festen Wohnsitz, laufe aktuell auf Hochtouren, so das Polizeipräsidium (PP) Mannheim auf Anfrage.
Am Ende sind es sichergestellte DNA-Spuren, die die Ermittler zu den jungen Männern führen – denn ihre Daten sind bereits im polizeilichen System registriert. Nach derzeitigem Ermittlungsstand sollen beide zumindest in sechs Fällen in den frühen Morgenstunden die Gegenstände auf die mit 50 Stundenkilometern stadteinwärts fahrenden Fahrzeuge geworfen haben. In vier Fällen wurden Scheiben durchschlagen, ein 27-jähriger Opelfahrer wurde dabei leicht verletzt.
Kopf nur knapp verfehlt
Der 27-Jährige war dabei an einem Freitagmorgen im Mai gegen 5.30 Uhr auf der Untermühlaustraße unterwegs, als die Tatverdächtigen eine zwei Kilo schwere Hantelscheibe auf seinen Opel warfen und flüchteten. Die Hantel schlug in die Fahrertür ein, verfehlet den Kopf des 27-Jährigen knapp. Der trug leichte Verletzungen von den umherfliegenden Glassplittern davon – und war an diesem Tag nicht das einzige Ziel, das die beiden Täter anvisierten. Nur wenige Minuten später sollen die mutmaßlichen Steinewerfer eine zweite Hantelscheibe geschleudert haben – diesmal krachte das tödlich schwere Geschoss auf Höhe der Jungbuschbrücke in den VW einer 36-Jährigen. Einen Monat später flogen erneut Geschosse auf vorbeifahrende Autos, diesmal große Steine.
Steine, die von Brücken geworfen werden – das erinnert an die sogenannten Steinewerfer auf der Autobahn, die immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Etwa 2016, als eine von einer Autobahnbrücke geworfene Betonfliese die Windschutzscheibe eines Familienautos zerstörte und die 33-jährige Mutter tödlich und den Vater schwer verletzte. Ob es in Mannheim noch weitere Fälle gab? Ein Blick auf die vergangenen drei Jahre zeigt: Auf Anfrage erklärt das PP Mannheim, in diesem Zeitraum keine Vorfälle dieser Art verzeichnet zu haben. Ein Fall hat sich vor mehr als zehn Jahren an der Konrad-Adenauer-Brücke ereignet. Damals hatte ein 19-Jähriger Steine auf Autos geworfen, die auf der B 36 in Richtung Lindenhof unterwegs waren. Zeugen alarmierten die Polizei. Ein Wurfgeschoss traf die Windschutzscheibe eines Fahrzeugs, in dem ein 25-Jähriger hinterm Steuer saß. Der Mann bremste, hielt an und nahm die Verfolgung auf. Der Täter hatte sich von der Brücke entfernt und versuchte, in Richtung Schloss zu flüchten. Eine Streife nahm ihn später fest.
Mehrjährige Haftstrafen drohen
Welche Strafen solchen Steinwerfern und damit den Tatverdächtigen drohen könnten, die in der Neckarstadt-West so viele Autos attackiert haben? In einem ähnlich Fall hat 2019 das Nürnberger Landgericht einen 17-Jährigen und einen 20 Jahre alten Mann unter anderem wegen versuchten Mordes zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten Pflastersteine und Holzpaletten von Brücken auf Autobahnen und auf einen Zug geworfen. Für die Angeklagten sei nicht kontrollierbar gewesen, was durch die Würfe passiere, erklärte der Vorsitzende Richter laut einer Mitteilung bei der Urteilsbegründung. Sie hätten somit den Tod von Menschen in Kauf genommen. Eine Tötungsabsicht unterstellte ihnen der Richter dagegen nicht.
Zwar wurde durch die Steinewerfer in der Neckarstadt kaum jemand verletzt, u Und auch der auf den Sattelzug geschleuderte Hammer landete „nur“ im Innenraum vor den Füßen des Fahrers. Trotzdem fahnden die Ermittler noch nach dem Komplizen des 19-jährigen Tatverdächtigen, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei dauern an.
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