Es gibt Kinder, die nicht in der Lage sind, ihre Gefühle oder Bedürfnisse mitzuteilen. Die neben einer geistigen Behinderung motorische Defizite haben. Die voll inkontinent sind, gefüttert werden müssen, nie unbeaufsichtigt bleiben können. Und die unbedingt feste Bezugspersonen brauchen. Fehlen diese, sind diese Kinder mitunter völlig von der Rolle. Wie zum Beispiel ein Junge an der Eugen-Neter-Förderschule (ENS) für geistige Entwicklung. Immer wieder wechselnde Bezugspersonen hatten zur Folge, dass sich das Kind zu Hause ständig erbrechen musste.
Diesen Fall schildert ENS-Elternbeirätin Alexandra von Gropper. Ein besonders drastischer, aber kein Einzelfall. Denn wenn von vornherein zu wenige Lehrkräfte da sind – und dann zum Beispiel krankheitsbedingt weitere ausfallen, müssen Klassen zusammengelegt werden, fehlen die Bezugspersonen, ist an Einzelförderung der Kinder kaum noch zu denken.
Häufige Probleme
Genau vor solchen Situationen stand die ENS in den vergangenen Monaten häufig. Jetzt sind erst einmal Sommerferien. Und danach? Soll es besser werden, wie aus dem aktuellen Elternbrief hervorgeht, der Unterricht werde wieder „vollumfänglich“ erteilt werden können. Das Staatliche Schulamt Mannheim, so Silvia Challal im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“, habe „alles in seiner Macht Stehende getan“, um die Lehrerversorgung ab September zu verbessern. Erstmals habe die ENS Krankheitsvertretungsstellen über die Sommerferien hinaus verlängern dürfen. Einige Stellen könnten besetzt werden, und „wir haben das Glück, dass niemand in Pension geht, das habe ich bisher noch nie erlebt“, freut sich Challal. Gleichwohl sei die ENS damit „noch lange nicht zu 100 Prozent versorgt“.
Die ENS werde aber ab September „aus heutiger Sicht ausreichend versorgt sein, so dass der Schulbetrieb regulär starten kann“, teilte Schulamtsdirektorin Sabine Hamann dem „MM“ auf Anfrage mit. Die Schule könne außerdem pädagogische Assistenten einstellen und habe „darüber hinaus die Möglichkeit erhalten, zwei neue Abteilungsleiterstellen auszuschreiben“. Diese Personen kämen „mit einem Großteil ihres Deputats natürlich auch im Unterricht zum Einsatz.“ All das soll es der ENS ermöglichen, mit 34 Wochenstunden ins nächste Schuljahr zu starten. Das heißt: montags, dienstags und donnerstags Ganztagsunterricht (jeweils bis 15.10 Uhr). Nach den Pfingstferien in diesem Jahr hatte die ENS den Unterricht montags und dienstags um je zwei Stunden verkürzt – um zumindest in den verbleibenden 30 Stunden halbwegs verlässlichen Unterricht sicherstellen zu können.
Kinder nach Hause geschickt
Diese 30 Wochenstunden – und damit der fast komplette Wegfall des Ganztagsangebots – gab es schon einmal, im Schuljahr 2021/22. In der Folge kam es zu öffentlichen Protesten, die auch in Stuttgart wahrgenommen wurden. Im neuen, derzeit laufenden Schuljahr, kehrte die ENS deshalb wieder zu 34 Stunden zurück. Ende Oktober 2022 informierte sich Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) vor Ort darüber, wie es in der Schule läuft.
Sie bekam Ernüchterndes zu hören. Aber immerhin: 34 Stunden statt 30. Schon damals stellten die Elternbeirätinnen aber klar, dass sie darin keine tragfähige Lösung sehen. Denn, so Alexandra von Gropper: „Es gibt genauso viele, besser gesagt, genauso wenige Lehrer wie bisher.“ Die Stundenaufstockung und damit das Ganztagsangebot funktionierten nur durch mehr Schüler pro Klasse. Und durch den weitgehenden Wegfall der eigentlich dringend notwendigen Lehrertandems. Was nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Schüler der Berufsschulstufe habe, „weil sie viel weniger auf einen späteren Arbeitsalltag vorbereitet werden können“, so von Gropper.
Beim Treffen mit der Ministerin teilte Arnulf Amberg vom Schulamt mit, die Lehrerversorgung der ENS liege bei 74 Prozent. Trotz aller Schwierigkeiten, so Rektorin Challal damals, sei man wegen „überschaubaren Krankheitsstands handlungsfähig“. Aber sie stellte klar: „Schlechter darf es auf keinen Fall werden.“
Es wurde schlechter: Dass es keinerlei Reserve gibt, bekamen Kinder, Eltern und Lehrer in den kommenden Monaten schmerzlich zu spüren. Teilweise, so Alexandra von Gropper, sei an einzelnen Tagen oder sogar mehrere Tage hintereinander so viel Unterricht ausgefallen, dass Kinder nach Hause geschickt werden mussten.
Ministerium erhebt keine Zahlen
Wie viel Unterricht ist ausgefallen, wie sieht die Lehrerversorgung in diesem und anderen Mannheimer Förderzentren aus? Diese Frage treibt Stefan Fulst-Blei um, den bildungspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Er fragte deshalb beim Kultusministerium nach – und bekam zur Antwort: „Erhebungen zur Unterrichtssituation wurden mit Beginn der Corona-Pandemie nicht weitergeführt und stehen daher nicht zur Verfügung.“ Nur so viel: Es treffe zu, „dass in einzelnen Fällen dauerhaft Stunden vorübergehend – auch über einen längeren Zeitraum – nicht erteilt werden können“.
Die Antwort ist für ihn absolut unbefriedigend. Viel mehr erfährt der „Mannheimer Morgen“ auf seine konkrete Anfrage zur ENS auch nicht vom Schulamt. Von November bis März und wieder ab Mai sei es „in unterschiedlichem Umfang zu Unterrichtsausfällen gekommen, und die Kinder mussten punktuell nach Hause geschickt werden“, so die Behörde. Wie oft Kinder auf andere Klassen verteilt werden mussten, dazu lägen „keine Informationen vor, da dies schulintern geregelt wird“.
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