Innere Sicherheit

Innenminister Strobl: „Auf Worte können brutale Taten folgen“

Viele Mannheimer fühlen sich unsicher. Das liegt nicht nur an dem Messerangriff auf Rouven Laur. Konflikte werden rauer, Anfeindungen heftiger. So bewertet Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl die Lage:

Von 
Marco Pecht und Miriam Scharlibbe
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Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl im Interview beim „Mannheimer Morgen“. © Pressefotoagentur Thomas Tröster

Mannheim. Herr Strobl, wir erleben in Mannheim bei den Menschen häufig ein Gefühl der Unsicherheit. Der Umgangston in der Gesellschaft ist rau. Nehmen Sie das auch so wahr?

Thomas Strobl : Die Verrohungstendenzen beschäftigen mich sehr. Leider beginnt Gewalt oft in Worten und dann können rauen Worten brutale Taten folgen. Ich habe den Eindruck, dass die Rohheit des Netzes immer mehr in das reale Leben hinüberschwappt. Das haben wir in Mannheim besonders schmerzhaft erleben müssen. Mir steckt bis heute in den Knochen, wie im Mai des vergangenen Jahres auf dem Marktplatz der Polizist Rouven Laur bestialisch angegriffen wurde und zwei Tage später sein Leben lassen musste.

Der Messerangriff bewegt auch viele Mannheimer noch sehr. Was hat diese Tat mit der Polizei gemacht?

Strobl : Es ist ein würdiges Zeichen, dass es mit der Gedenkplakette jetzt einen Ort der Erinnerung auf dem Mannheimer Marktplatz gibt. Das finde ich sehr wichtig und richtig. Rouven Laur, dieser sympathische, freundliche, so kluge und so exzellente Polizist darf nicht vergessen werden. Die Ermordung von Rouven Laur hat die Menschen weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus bewegt. Ich habe im Grunde genommen aus ganz Europa von den Sicherheitskräften Anteilnahme verspürt.

CDU-Innenminister Thomas Strobl

Der aus Heilbronn stammende CDU-Politiker Thomas Strobl wurde 1960 geboren und ist seit Mai 2016 Innenminister im Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).

Der Jurist ist außerdem stellvertretender Ministerpräsident und war bis 2023 Landesvorsitzender der CDU.

Strobl ist mit der ARD-Programmdirektorin Christine Strobl , der ältesten Tochter des verstorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble verheiratet.

Nirgendwo lebt es sich so sicher wie in Bayern und Baden-Württemberg. Die Kriminalstatistik belegt das. Trotzdem sagen viele Bürger: Ich traue mich ab einer bestimmten Uhrzeit oder in bestimmten Gegenden nicht auf die Straße. Wie begegnen Sie diesen Menschen?

Strobl : Es ist eine Tatsache, dass es sich nirgends so sicher lebt wie in Bayern und Baden-Württemberg. Es ist freilich auch eine Tatsache, dass es dieses Empfinden von Unsicherheit gibt. Und wenn sich Menschen nicht mehr auf die Straße trauen, dann hat das Auswirkungen auf unsere Freiheit. Deswegen arbeiten wir auch täglich daran, nicht nur objektiv die Sicherheitslage zu verbessern, sondern auch das Sicherheitsempfinden der Menschen zu stabilisieren. Ein gutes Beispiel ist in Mannheim die intelligente Videoüberwachung, die wir 2018 gestartet haben. Wir hoffen, dass das System in den nächsten Jahren immer perfekter arbeitet und auch anderswo eingesetzt wird. Das Interesse aus ganz Europa und darüber hinaus ist da.

Die Idee dieser Videoüberwachung ist, dass Bewegungsraster gescannt werden. Daraus soll abgeleitet werden, ob die Muster einer Straftat vorliegen. Haben Sie Ergebnisse?

Strobl : Die intelligente Videoüberwachung ist noch ein lernendes System. Wir sind leider durch Corona um ein, zwei Jahre zurückgeworfen worden. In der Corona-Zeit war weniger los, sodass das System nicht so viel lernen konnte. Dieser intelligente Videoschutz wird von der Mannheimer Bevölkerung, das zeigen Befragungen, aber in einem sehr großen Maße akzeptiert. Die Menschen fühlen sich dadurch sicherer.

Innenminister Thomas Strobl (Mitte) im Gespräch mit „MM“-Chefredakteurin Miriam Scharlibbe und Nachrichtenchef Marco Pecht. © Pressefotoagentur Thomas Tröster

Hätte dieses System so eine Tat, die Rouven Laur das Leben gekostet hat, verhindern können?

Strobl : Nein. Auch der intelligente Videoschutz gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Die gibt es nie im Leben. Ich weiß, dass ich für eine solche Äußerung viel Kritik bekommen kann, aber es ist in unserer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft einfach die Wahrheit.

Es gibt seit dem Messerangriff die Frage, warum gewisse politische Veranstaltungen auf einem Marktplatz zugelassen werden. An diesem Tag war es eine Kundgebung des Islamkritikers Michael Stürzenberger. Finden Sie es richtig, dass zentrale Plätze für jede Versammlung zur Verfügung stehen?

Strobl : Unsere Demokratie schützt auch radikale Positionen. Es ist bei uns ausdrücklich erlaubt, auch großen Unsinn zu verbreiten. Das ist unsere Demokratie, das ist der Schutz der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit. Die Gerichte, und daran hält sich ein Innenminister selbstverständlich, legen diese Rechte sehr weit aus. Das gilt es zu beachten. Eine Grenze ist freilich etwa überschritten, wenn Straftaten begangen werden.

Rouven Laur wurde durch ein Messer getötet, die Zahl der Messerdelikte nimmt zu. Eine Lösung, die ins Spiel gebracht wird, ist der Taser. Warum ist die Polizei damit noch nicht flächendeckend ausgerüstet?

Strobl : Wir haben seit vielen Jahren den Taser bei unseren Spezialeinheiten im Einsatz. Und wir werden jetzt in einigen Polizeirevieren, insbesondere weil es auch eine neue Generation an Tasern gibt, einen größer angelegten Versuch machen. Ich möchte das Thema auf einer fachlichen Ebene bearbeitet und bewertet wissen.

Der Polizist, der geschossen hat, hat beherzt und absolut korrekt von der Schusswaffe Gebrauch gemacht

Hätte der Taser beim Marktplatzattentat geholfen? Letztlich wurde der Täter angeschossen. Ein Polizist hat im Prozess ausgesagt, dass er den Täter im Visier hatte, als er noch mit dem Messer hinter Rouven Laur stand. Er habe nicht schießen können, weil sonst die Gefahr bestanden hätte, den Kollegen zu treffen. Hätte er das mit einem Taser lösen können?

Strobl : Definitiv nein, das ist wirklich Unsinn, der hier verbreitet wurde und wird. Der Einsatz des Tasers macht nur in einer statischen Lage Sinn. In einer so dynamischen Lage ist der Taser absolut ungeeignet und wäre für unsere Polizistinnen und Polizisten viel zu gefährlich. Der Polizist, der geschossen hat, hat beherzt und absolut korrekt von der Schusswaffe Gebrauch gemacht. Das habe ich ihm auch gesagt und ihm meinen großen Respekt und meine Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht. Er hat ein noch größeres Blutbad verhindert.

Ein Thema, das viele gerade in Mannheim beschäftigt, sind pro-palästinensische Kundgebung. Dort werden teils nachvollziehbare Forderungen erhoben, aber auch bedenkliche Parolen skandiert. Jüdische Gemeindemitglieder fühlen sich bedroht. Wissen Sie um diese Lage?

Strobl : Diese schwierigen Versammlungslagen sind mir bekannt. Der Schutz jüdischen Lebens hat bei uns in Baden-Württemberg hohe Priorität. Antisemitismus dulden wir nicht. Das nehmen wir auf unseren Straßen und Plätzen nicht tatenlos hin und das verfolgen unsere Sicherheitsbehörden mit aller Schärfe. Bei uns gibt es keine Berliner Verhältnisse. Wenn es antisemitische Äußerungen gibt, wird die baden-württembergische Polizei tätig.

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Agnes Polewka
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Uns erreichen Schilderungen aus der jüdischen Gemeinde, die Anfeindungen erleben. Sie hören dann aber nichts mehr von Strafverfolgungen. Auch will eine hohe Zahl von jüdischen Familien die Stadt verlassen.

Strobl : Wir haben seit vielen Jahren eine sehr enge Kooperation mit den beiden israelitischen Gemeinden in Baden und in Württemberg. Das Innenministerium, die Polizei und der Verfassungsschutz schauen hier nicht weg, sondern wir schauen sehr genau hin. Antisemitismus geht gar nicht. Es gilt mehr denn je, dass wir hier zusammenhalten. Jüdinnen und Juden sollen nicht nur objektiv sicher sein, sondern sich in unserem Land auch sicher fühlen. Das ist unser Anspruch – dafür arbeiten wir mit aller Kraft, konsequent und entschlossen. Und um es deutlich zu sagen: Antisemitismus ist eine Schande für unser Land – niemals dürfen wir das hinnehmen.

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