Mannheim. Sie waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Universitäten in der Ukraine, der Krieg hat ihre Karrieren zu einem abrupten Ende gebracht.
Olha Lukash lehrte an der Sumy State University Wirtschaftswissenschaften. Sumy liegt 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, es bestanden viele Verbindungen ins Nachbarland. Es gab gemeinsame Projekte, Studentenaustausche, das alles ist nicht mehr.
Spenden für geflüchtete Forschende weiter benötigt
- Die Universität und die Stiftung Universität Mannheim hatten im vergangenen März einen Notfallfonds eingerichtet.
- Mit dem Geld sollten Wissenschaftler aus der Ukraine und Russland unterstützt werden.
- Es gab insgesamt zehn Anfragen, vier Personen haben ein Stipendium erhalten. Vier weitere Forschende sind in laufenden Projekten untergekommen oder erhielten anderweitige Förderungen.
- Den Ukraine-Notfallfonds existiert nicht mehr, die Stiftung Universität Mannheim freut sich aber weiterhin über Spenden für Forschende und Studierende.
- Spenden an das Konto bei BNP Paribas, IBAN DE25 7603 0080 0300 0153 17
Kontakte nach Russland auf Eis gelegt
Schon 2014, als Russland die Krim, die ukrainische Halbinsel, nach einer bewaffneten Intervention annektierte, wurde die Zusammenarbeit teils auf Eis gelegt. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vor einem Jahr endeten die Beziehungen endgültig. Olha Lukash sagt, es sei schwierig mit Freunden und Verwandten in Russland zu sprechen. „Viele wissen nur das, was die staatlichen russischen Medien berichten, die verstehen uns nicht.“ So spreche man besser gar nicht mehr miteinander.
Zehn Anfragen von Wissenschaftlern
Auf dem Campus der Universität in Sumy ist es jetzt meist leer. „Zur Sicherheit von Studierenden und Mitarbeitern führen die meisten Professoren ihre Vorlesungen, Seminare und Arbeitstreffen online durch, nur noch die Verwaltung ist da“, sagt Olha Lukash. Auch sie unterrichtet ihre Studierenden in virtuellen Konferenzen. Die 42-Jährige lebt mit ihrer elfjährigen Tochter und ihren Eltern seit Februar in Mannheim. Sie wird nun hier ihre Forschungen zur Umweltökonomie fortsetzen. Olha Lukash ist eine von vier Forschenden, die ein Stipendium der Universität Mannheim erhalten hat.
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Universität und Stiftung Universität Mannheim richten Notfallfonds ein
Die Universität und die Stiftung Universität Mannheim hatten im März vergangenen Jahres einen Notfallfonds eingerichtet, aus dem Stipendien für geflüchtete und gefährdete junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Ukraine und aus Russland finanziert werden sollten. Insgesamt hat es zehn Anfragen gegeben, vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ein Stipendium erhalten, darunter der Mann von Olha Lukash, der die Ukraine aber bislang nicht verlassen durfte. Vier weitere sind in laufenden Forschungsprojekten untergekommen oder haben anderweitige Förderungen erhalten.
Tochter Masha kann nicht zurück
Alina Ivanenko gibt bereits Vorlesungen an der Universität. Die 33-Jährige ist Historikerin, sie hat zwei Doktortitel, ihre zweite Promotion beschäftigte sich mit der Besatzung der Ukraine durch die Deutschen während des zweiten Weltkrieges. Nun ist ihr Thema die Staats- und Rechtsgeschichte der Ukraine. „Ich freue mich, dass sich Studierende in Mannheim dafür interessieren“, sagt Alina Ivanenko. Die Mutter einer sechsjährigen Tochter kommt aus Chernihiv, die Stadt liegt nördlich von Kiew. Ihre Familie ist noch dort, nur Masha, die Tochter, ist mit ihr nach Deutschland gekommen. Im Juni läuft das Stipendium aus, was dann ist, weiß sie nicht. Masha müsste im Sommer eigentlich eingeschult werden. Zurück in die Ukraine kann sie nicht. „Das ist zu gefährlich, schon in den ersten Kriegstagen hatte Masha große Angst.“
Von der Krim nach Israel nach Mannheim
Ganna, die ihren vollen Namen nicht nennen möchte, ist Linguistin und Medienwissenschaftlerin. Nachdem sie nach Kriegsbeginn zunächst nach Tel Aviv in Israel geflohen war, hörte sie dort von der Möglichkeit, sich für ein Stipendium an der Universität Mannheim zu bewerben. Seit Oktober lebt die 39-Jährige nun hier. Sie kommt von der Krim. Viele sahen die russische Annexion der Halbinsel 2014 als einen Warnschuss, dennoch habe niemand mit einer Eskalation gerechnet. „Wir hätten das nicht für möglich gehalten“, sagt Ganna.
Stipendien für ein Jahr
Ihr Forschungsprojekt passt in die Zeit - die Sprachforscherin beschäftigt sich mit Slogans, die sich in politischen Umbrüchen herausbilden und nationale Identitäten ausdrücken. „Um russisch sprechende ukrainische Soldaten von russischen Soldaten zu unterscheiden, ist ein Codewort entstanden - die Leute sagen: ,Nun, sag’ Palyanytsya’“, erklärt Ganna. Palyanytsya ist ein ukrainisches Brot, die richtige Aussprache des Wortes ist für Ausländer schwierig, auch für Russen, die ansonsten die ukrainische Sprache beherrschen. „So ist Palyanytsya zu einem Phänomen geworden, auch in den sozialen Medien, um sich als Ukrainer zu identifizieren.“ Weil Sprache ihr Metier ist, lernt Ganna nun intensiv Deutsch. Jeden Tag drei Stunden in einem Kurs an der Universität.
Dringend Geldgeber gesucht
Wie es mit den auf ein Jahr ausgelegten Stipendien weitergeht, ist noch nicht geklärt. Die Universität Mannheim arbeitet derzeit an einer Anschlussfinanzierung. Und bittet weiter um Spenden.
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