Obdachlose - Bis zu 42 Personen, die keine Wohnung haben, können in einer Unterkunft in der Neckarstadt übernachten / Sozialarbeiter helfen bei Wiedereingliederung

Ständig im Freien – auch bei Eiseskälte

Von 
Joana Rettig
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Das Obdachlosenlager am Hans-Böckler-Platz scheint unbewohnt. Ob unter den vielen Decken jemand schläft, ist nicht zu erkennen. © Bluethner

Sechs Grad unter Null. Matratzen lagern unter einem Dach, Decken liegen übereinandergehäuft darauf. Ob hier gerade jemand übernachtet, ist nicht zu erkennen. Das Lager einiger Obdachloser am Hans-Böckler-Platz beim Collini Center ist sonst ein Ort, der selbst im Winter stark frequentiert ist. Heute ist es leer – so scheint es. Verena Schmidt vom Caritasverband erklärt, dass jene, die dort normalerweise übernachten, gerade eher in Mannheims Tiefgaragen aufzufinden seien. „Trotzdem schlafen an diesem Platz im Schnitt, auch bei diesen Temperaturen, zwei bis drei Menschen“, sagt sie. Abgesehen von einigen wenigen Studenten, die durch die Straßen ziehen, ist auch in den Quadraten niemand zu sehen. Bis 22.30 Uhr streifen die zwei „MM“-Autoren mit dem Fotografen durch die Stadt, schauen in Ecken, Hauseingänge und Passagen. Niemand da. Ein Glück.

Ortswechsel. Gerhard Grobe sitzt an seinem Schreibtisch. Das Büro dient als Rezeption der Wohnungslosenunterkunft in der Bonadiesstraße. Jeder, der kommt, meldet sich dort an und erhält seine Bettwäsche. Es gleicht einer Jugendherberge. „Bisher sind 15 Leute da, zehn erwarte ich noch.“ Woher Grohe weiß, wie viele Wohnungslose noch kommen? „Weil die auch gestern schon da waren.“ 25 Betten hält er in dem Haus bereit, notfalls kann er sogar noch 17 weitere Menschen aufnehmen. Es wird gekocht, man kann seine Kleidung waschen.

Etwa zehn Menschen draußen

Dennoch sind Obdachlose, die schon lange auf der Straße leben, selbst bei den gerade herrschenden Temperaturen, eher selten zu Gast. „Zur Zeit sind es Zehn, die ständig auf der Straße wohnen“, erklärt Hubert Ogon vom Fachbereich Arbeit und Soziales der Stadt Mannheim. Die Dunkelziffer sei gering. „Wenn wir mit dem Kältebus unterwegs sind, kommen die wenigsten von ihnen mit in die Unterkunft. Die sind komplett ausgestattet und wollen meist gar nicht zu uns. Die können oft aus psychischen Gründen nicht mit vielen Leuten in einem Raum sein.“

Das Haus ist unscheinbar. Eine gelbe Fassade, drei Stockwerke. Lediglich ein kleines Schild neben der Tür weist darauf hin, was innen vor sich geht. Dort, wo der ein oder andere möglicherweise ein Lager vermutet, mit etlichen Feldbetten in einem Raum. Dort, wo man vielleicht sogar einen unangenehmen Geruch erwartet und klägliche, unwürdige Zustände. Dort ist es aber warm. Die Wände sind gestrichen – mal weiß, mal in einem hellen Gelb mit violetten Farbzügen. Bilder zieren die Räume. Es gibt Einzel- und Doppelzimmer. Ein Frauenbereich ist abgetrennt. Im Aufenthaltsraum steht ein Bücherregal, gefüllt mit verschiedenen Romanen. Pflanzen gibt es und einen Fernseher. Es wirkt wohnlich. „Die Zimmer könnten einen neuen Anstrich gebrauchen.“ Ogon hat einen hohen Anspruch. „Wir wollen, dass sich die Leute hier wohlfühlen und ihnen eine besondere Betreuung zuteil wird.“

Jene Menschen, die zu Ogon und Grobe kommen, hätten meist ihre Wohnung verloren, seien zu Hause rausgeflogen oder würden von Stadt zu Stadt ziehen, um überall ein paar Tage in Notunterkünften zu schlafen. „Etwa die Hälfte der Leute hier kommt ein paar Tage, manchmal auch über einen Winter. Danach sehen wir die nie wieder.“ Für die andere Hälfte werde nach Wegen gesucht, sie wieder in ein normales Leben zurückzuführen. „Auch die wollen wir nie wieder sehen“, sagt Ogon. Dabei zieht er die Augenbrauen hoch. Er lächelt ein wenig. Es sei etwas Positives, wenn er diese Menschen nicht mehr zu Gesicht bekommt. Für sie selbst. Sie würden dann Unterstützung vom Amt bekommen und könnten nach Wohnungen suchen. „In 95 Prozent dieser Fälle sind wir auch erfolgreich“, so der Beamte. „Wenn jemand wirklich wieder ein normales Leben will, dann haben wir die Möglichkeiten, ihm zu helfen und bekommen das auch hin.“

Zurück in der Innenstadt. Am Hans-Böckler-Platz hat sich nichts geregt. Kochutensilien, Trinkflaschen und Kleiderberge liegen unter dem Pavillon verteilt. Ob hier jemand schläft, ist weder zu sehen noch zu hören. Hingehen und Aufwecken kommt nicht in Frage. „Sie wollen auch nicht, dass plötzlich jemand in ihrem Schlafzimmer steht“, sagt Ogon vorab im Gespräch. Deshalb halten die Autoren Abstand. Die Menschen, die hier im Normalfall übernachten, stammen meist aus Polen. Sie haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Das heißt, der Unterkunft in der Neckarstadt-West bleiben sie lieber fern. „Sie haben Angst, gemeldet zu werden“, erklärt Verena Schmidt. Sie betreut diese Menschen, die zum Großteil an einer Alkoholsucht leiden.

„Alkohol ist auch hier das größte Problem.“, sagt Ogon. „Viele werden aggressiv, wenn sie getrunken haben. Eigentlich ist es verboten, aber wir dulden es.“ Das Gleiche gelte für Drogenkonsum. „Ein Verbot ist nicht durchsetzbar.“ Läuse oder Krankheiten gibt es laut Ogon nicht: „Falls mal jemand mit Hepatitis oder Krätze kommt, haben wir für ihn ein Quarantänezimmer, das wir desinfizieren können.“

Obdachlose

Einblick in verschiedene Übernachtungsstellen für Wohnungslose

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Eine Auswahl verschiedener Hilfsangebote

  • Im Jungbusch (Holzstraße 3) ist die zentrale städtische Beratungsstelle für Obdachlose.
  • Für eine kurzfristige Hilfe hält die Stadt insgesamt 130 Betten bereit. Dazu zählen auch die 42 der Notunterkunft in der Neckarstadt-West.
  • Der Kältebus ist bei Temperaturen um und unter null Grad im Einsatz. Die Mitarbeiter versorgen die Menschen und bieten ihnen an, sie zur Notunterkunft zu bringen.
  • Der Caritasverband unterhält in D 6, 7 eine Tagesstätte. Zudem bietet er mit der Oase (H 5, 4) eine Tagesstätte für Frauen. Freezone betreibt in J 7, 23 eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche. jor

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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