Mannheim. Rozin Yatci hat jüngst ihr B1-Telc-Zertifikat bestanden: „Ich konnte nicht am Sprachkurs teilnehmen mit Kind“, erzählt sie. Müttersprache, der Deutschkurs mit Kinderbetreuung im Nebenraum, rettete Yatci. „Das war für mich und die Kinder sehr gut“, resümiert sie. „Wir haben zusammen gelernt. Ich habe das Zertifikat gemacht und ich will jetzt eine Ausbildung machen als Arzthelferin“, sagt Yatci. „Wenn ich Deutsch kann, ich kann alles machen.”
Sprachkurs Mannheim: Müttersprache wurde von Studis der Uni Mannheim gegründet
Müttersprache, gegründet von Studentinnen der Uni Mannheim, gewann jetzt den Deloitte „Hidden Movers Award“. Der zeichnet zukunftstaugliche Bildungsmodelle aus. Die Jury weiß: Viele, die etwas bewegen, sind nicht laut.Oder drängen sich nicht in den Vordergrund. Mit der Auszeichnung soll das Engagement sichtbarer werden - und mehr Menschen erreichen.
Auch Schülerin Meriem Artal hat in Mannheim dank Müttersprache ihr Zertifikat erfolgreich bestanden: „Wir leben in Deutschland, also sollen wir auf jeden Fall die deutsche Sprache können“, sagt sie. „Wir fühlen uns wie eine Familie mit dem Team“, so Artal. „Sie sind immer da um zu helfen.”
Gratis-Kurse unabhängig vom Aufenthaltsstatus
Müttersprache-Vorständin Eva Breisch sagt, mit dem Angebot von Frauen für Frauen und ihre Kinder wolle man „weibliches Empowerment“ stärken. Mehr als 100 ehrenamtlliche Rentner, Studis, Azubis oder Berufstätige geben in Mannheim die Kurse und betreuen die Kinder. Ehrenamtler sind immer gesucht, so das Team (Kontakt unter WhatsApp 0177 6113626 oder E-Mail an organisation@muettersprache.de) Da komme viel zurück, berichten die Ehrenamtler.
Nicht nur beim Sprache lernen. „In der Kinderbetreuung bleibt das bezaubernde Lachen der Kinder in Erinnerung. Wenn die Kinder freudig in die Betreuung kommen, die Ehrenamtlichen mit ihrem Namen begrüßen und auch auf andere Kinder zugehen und gemeinsam spielen, dann sehen wir, dass nicht nur die Kommunikation mit der Mutter besser klappt, sondern auch Kinder neue positive Erfahrungen machen und bei uns ankommen können.“
Mutter, Haushalt, Nebenjob - und Deutsch lernen?
Die Kursplatzvergabe findet unabhängig vom Aufenthaltsstatus statt. Alle Kurse sind kostenlos. Breisch: „Wir wollen die Gleichberechtigung der Frau vorantreiben und ihnen pragmatisch zu Zugang zur deutschen Gesellschaft und langfristig zum deutschen Arbeitsmarkt verhelfen.” Zudem wolle man Isolation oder Abhängigkeit, etwa von Partnern vermeiden, so Breisch.
„Die individuellen Menschen beeindrucken uns sehr“, sagt Breisch. „Einerseits können wir immer nur staunen, wie erfolgreich die Schülerinnen neben Nebenjobs, Haushalt und Vollzeitjob als Mutter in Deutschland ankommen und die deutsche Sprache lernen“, so Breisch. Durch die Kurse merke man auch: „Sie trauen sich immer öfter, ihre eigene Meinung zu sagen und für sich selbst einzustehen.“
Aha-Moment: Kind fährt Roller und ruft plötzlich „Achtung!“
Auch zunächst unscheinbare Momente sieht das Team als Erfolg, etwa, wenn in der Betreuung ein kleines Mädchen Roller fährt und laut „Achtung“ ruft. Oft passiere auch bei Müttersprache der erste Kontakt mit Gleichaltrigen.
Richard Roth, Vorstand, Ralf und Uschi Kutscheit Stiftung, sagte bei der Preisverleihung von Deloitte in München, der Ansatz trage nachhaltig zur Integration bei. „Für uns ein echtes Vorzeigeprojekt und daher auch Gewinner des Sonderpreises für Sprachförderung, vergeben von der Kutscheit Stiftung.“ 12 500 Euro gehen nach Mannheim an das Projekt. Zudem erhält Müttersprache eine sechsmonatige Projektberatung. Erst vor kurzem war das Projekt mit dem „Held der Straße“ -Preis der Mannheimer Bürgerstiftung ausgezeichnet worden.
Extremer Zulauf durch Frauen, die Freundinnen mitbringen
„Die Nachfrage nach Sprachkursen mit paralleler Kinderbeaufsichtigung ist immens“, sagt Laura Schulz, stellvertretende Vorstandsvorsitzende. „Zu Beginn haben unsere Kurse in Mannheim besonders durch schon teilnehmende Schülerinnen Zulauf erhalten, die Freundinnen oder Bekannte mit zum Unterricht brachten.“ Mittlerweile kontaktierten das Team regelmäßig offizielle Stellen, wie etwa das Jugendamt, Sozialberatungen für Geflüchtete oder Frauenhäuser, „die händeringend nach Kursplätzen für Mütter suchen, die sie betreuen“, so Schulz.
„Auch im Gespräch mit offiziellen Stellen anderer Städte fällt auf, dass dieses Problem kein regionales, sondern mindestens ein überregionales ist“, sagt Breisch. „Die staatlichen Anreize für die integrationskursbegleitende Kinderbeaufsichtigung sind zu gering, die Anforderungen zu hoch - finanziell macht es für die Integrationskursträger wenig Sinn, eine parallele Betreuung für die Kinder von kursteilnehmenden Personen anzubieten“, so Breisch.
Den Brief vom Amt jetzt ohne den Mann lesen und beantworten
„Wir sind der Meinung, dass die eigentliche Lösung des Problems in veränderten Anreizen für Integrationskursträger von staatlicher Seite aus liegt“, resümiert Breisch. Dennoch macht Müttersprache mehr als nur Sprachkurse. Neu sind zum Beispiel ein Sprachmentoring mit 1:1 Betreuung oder viele soziale Events wie etwa der Weihnachtsmarktbesuch oder ein Sommerfest mit internationalem Buffett und Wikingerschach und Volleyball.
„Die Erzählungen unserer Schülerinnen, dass sie bei dem letzten Brief vom Amt ihren Mann nicht um Hilfe bitten mussten und einfach ein Stück Unabhängigkeit fühlen konnten, inspiriert uns zu dieser Arbeit“, resümiert Laura Schulz und will mit ihrem Team - in einer Zeit mit fehlenden Kita-Plätzen und anderer mangelnder Betreuungsangebote - erst recht weitermachen.
Aktuelle Zahlen zeigen indes: 363.000 Kursteilnehmende - etwa sieben Prozent mehr als im Jahr 2022 - begannen im Jahr 2023 in ganz Deutschland mit einem Integrationskurs, zum zweiten Mal in Folge der höchste Wert seit Einführung der Integrationskurse 2005, teilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit.
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