Nachtleben

So soll das Feiern für Frauen in Mannheim sicherer werden

Von 
Lisa Uhlmann
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Soll Vorbild werden für andere Gastronomen: Im Jungbusch hat sich ein Großteil der Barbesitzer samt Personal zum Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen schulen lassen. © Christoph Blüthner

Mannheim. Wie verhält sich jemand, dem K. O.-Tropfen in den Drink gemischt wurden, was ist dann zu tun? Und ab welchem Punkt ist es Zeit, den aufdringlichen Gast, der Frauen belästigt, rauszuwerfen? Wie man als Barkeeper, Türsteherin und Mitarbeitende in genau solchen Situation am besten reagiert, sollen nun auch die Mannheimer Gastronomen samt Personal in Schulungen von Expertinnen des Mannheimer Frauen- und Mädchennotruf lernen.

Die Schulungen werden vor Ort oder digital angeboten und sind Teil der landesweiten Kampagne „nachtsam. Mit Sicherheit besser feiern“ des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration. In 17 Städten in ganz Baden-Württemberg will das Ministerium mit Kooperationspartnern vor Ort damit präventiv und aktiv gegen sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Übergriffe gegen Frauen im Nachtleben vorgehen. Seit einigen Wochen sollen Plakate mit der etwas kryptischen Aufschrift „Mannheim feiert nachtsam. Und du?“, überall in der Stadt und in der Straßenbahn auf die Kampagne aufmerksam machen. Was genau dahinter steckt wird aber erst ersichtlich, wenn man mit den Mannheimern Kooperationspartnern wie etwa dem Nachtbürgermeister oder der Leiterin des Mädchennotrufs spricht.

Plakat als Gütesiegel

„Viele Frauen fühlen sich im Nachtleben nicht sicher, sexuelle Belästigungen werden oft nicht angezeigt. Das Problem ist da, und das wollen wir angehen“, erklärt Nachtbürgermeister Robert Gaa. Bislang habe sich ein Großteil der Barbesitzer aus dem Jungbusch bereits an der Kampagne beteiligt, bei den Clubbesitzern dagegen seien nicht so viele an Bord, sie kämpften noch mit den Folgen der Pandemie. Gaa wünscht sich allerdings für den Jungbusch, dass die Partymeile bei diesem Thema eine Vorreiterrolle einnimmt.

Die Kampagne „nachtsam“ und ihre Partner

  • In Mannheim beteiligen sich der Nachtbürgermeister, die Gleichstellungsbeauftragte, sowie der Mädchennotruf an der landesweiten Kampagne „nachtsam. Mit Sicherheit besser feiern“. Ebenso der Drogenverein Mannheim, der Interessensverband Clubkultur Baden-Württemberg, der Verein EventKultur Rhein-Neckar sowie das Gründungszentrum Next Mannheim und das Verkehrsunternehmen RNV.
  • Die Schulungsinhalte für Gastronomen bestehen aus sechs Bausteinen: Beim Punkt „Gäste“, soll deutlich gemacht werden, dass sexuelle Übergriffe in dieser Bar nicht geduldet werden. Der Baustein „Wege und Licht“ beschäftigt sich mit dunklen Ecken und regelmäßiger Kontrolle der Toiletten. Bei „Alkohol und Drogen“ soll klar werden, wann man den Ausschank verweigert. Außerdem erklären die Expertinnen, wie viele Übergriffe angezeigt und verurteilt werden und wie man mit Betroffenen umgeht. Außerdem lernt das Personal alles über K. O.-Tropfen. Beim Thema „Heimweg“ können zudem Fahrplänen, Telefonnummern von Taxiunternehmen oder vom Frauennachttaxi oder dem Heimwegtelefon ausgelegt werden.
  • Hilfe für Betroffene gibt es direkt beim Notruf und Beratung für sexuell misshandelte Frauen und Mädchen unter 0621/10033 und unter www.maedchennotruf.de lia

 

Das Ziel der Kampagne also: Das Nacht-Personal so zu sensibilisieren, dass die Mitarbeitenden erkennen, wenn in der Bar oder im Club die Stimmung kippt, eine Frau sexuell belästigt oder bedrängt wird und dringend Hilfe braucht. Wer bei der Kampagne mitmacht, erhält danach ein Zertifikat samt Plakat, das allen Besucherinnen signalisieren soll: Diese Bar oder dieser Club nimmt das Thema sexualisierte Gewalt ernst, hier können Frauen sich sicher fühlen und erhalten im Notfall Hilfe.

Aber hat Mannheim und sein Nachtleben tatsächlich ein Defizit, wird hier noch nicht genug fürs achtsame Feiern getan? „Nein, in jeder großen Stadt können Übergriffe passieren. Aber es braucht noch so viel mehr Arbeit, damit Männer aufhören, Frauen respektlos und übergriffig zu behandeln“, sagt Martina Schwarz. Die Leiterin der psychologischen Beratungsstelle Frauen- und Mädchennotruf weiß genau, wovon sie spricht: Ihre Mitarbeiterinnen betreuen und helfen täglich Frauen und Mädchen, die sexuell misshandelt wurden.

Für 2021 vermeldet die Beratungsstelle einen Anstieg von 65 (2020) auf 73 Anruferinnen, die angaben, vergewaltigt worden zu sein und sich deshalb an die Expertinnen gewandt haben. Dabei lässt sich laut Schwarz die Ursache für den Anstieg nicht klar ausmachen, können die berichteten Vorfälle auch mehrere Monate oder Jahre zurückliegen. Was die Leiterin aber sicher sagen kann: Oft sind die Vergewaltiger der eigene Freund, ein guter Kumpel oder ein Mann, den man gerade datet. Die betroffenen Frauen aber melden sich meistens erst nach einem langen Leidensweg, trauen sich oft nicht, Anzeige zu erstatten, aus Angst, dass man ihnen nicht glaubt.

Hausverbot oder Anzeige

Schwarz betont zudem: „Bei sexuellen Übergriffen fallen Frauen oft in eine Schockstarre. Sie sind nicht in der Lage zu handeln, wenn ihr Leben bedroht wird, das ist ein Überlebensmechanismus.“ Aber kann die neue Kampagne helfen, solche Übergriffe im Nachtleben einzudämmen? Um etwas zu bewirken sollte die Aktion langfristig laufen, findet Schwarz. Durch die neuen Verhaltensregeln für die Gastronomen, die ihre Mitarbeiterinnen vermitteln, könnten die Bars und Clubs dafür sorgen, dass „ein belästigender Mann zur Rechenschaft gezogen, ihm Hausverbot erteilt oder er bei der Polizei angezeigt werden kann.“

Laut Ministerium erhalten die beteiligten Lokale zudem einen Handlungsleitfaden, der auf dem Tresen liegt. Darin enthalten ist eine Zusammenfassung der Schulung und eine Liste von wichtigen Anlaufstellen. Darunter fallen etwa Taxiunternehmen, die Heidelberger Gewaltambulanz, der Frauen- und Mädchennotruf, die Antidiskriminierungsstelle, das Hilfetelefon und Heimwegtelefon oder auch die Suchtberatungsstellen.

Das klare Bekenntnis, sich gegen sexualisierte Gewalt im Nachtleben auszusprechen, soll auch Betroffenen Mut machen, sich zusammenzuschließen, zu wehren und Hilfe zu suchen. „Denn viele Frauen wissen nicht einmal, dass es uns gibt, kennen das Hilfesystem gar nicht“, sagt Schwarz. Sie hält es ebenfalls für wichtig, auch die Männer mit ins Boot zu holen, damit sie sich beim Feiern aktiv für andere Frauen einsetzen. „Es hat eine ganz andere Wirkung, wenn man als guter Kumpel seinen Freund in die Schranken weißt und sagen kann: Das ist nicht in Ordnung, so behandelt man Frauen nicht.“

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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