Mannheim. Sie ist merkbar bemüht, die richtige Wortwahl zu treffen. Nichts ganz „Falsches“ zu sagen – und trotzdem ihren Frust über die aktuelle politische Lage in den USA kundzutun. Dass „wir alle uns warm anziehen können, wenn Trump gewinnt“, davon ist Christine Gebhard überzeugt. Und doch hat es die 68-jährige Deutsche erst kurz Überwindung gekostet, bevor sie sich gegenüber dem „MM“ nicht nur telefonisch zum Trump-Attentat äußerte, sondern Tags darauf gerne auch ein Foto zur Verfügung stellte.
Obwohl sie selbst nie für längere Zeit in Amerika lebte, ist sie eine, die wissen muss, wie die Nation tickt: Verflechtungen in die Vereinigten Staaten hat sie wie nur wenige andere Deutsche. Aufgrund ihrer frühen Faszination für die USA war Gebhard mehr als 30 Jahre lang für die in Mannheim stationierte US-Armee tätig, zuletzt als Pressesprecherin der US-Garnison in Mannheim. Dies endete, als sich die amerikanischen Soldaten 2011 endgültig aus der Quadratestadt zurückzogen, Gebhard wechselte bis zu ihrer Rente zum Logistikkommando. Zuvor lernte sie 1995 ihren Mann Raymond Eden kennen, US-Soldat in Mannheim, gebürtiger US-Amerikaner aus dem Bundesstaat Idaho. Auch heute – kurz vor seiner Rente – arbeitet er noch für das US-Militär.
Offen über Politik zu sprechen, ist nicht gern gesehen
Als „erzkonservatives Trump-Land“ beschreibt Christine Gebhard die Heimat ihres Mannes – Idaho. Mitten auf dem „platten Land“. Fernab der Küste. Fernab des politischen Treibens im Weißen Haus. Zumindest, was das Interesse daran angeht. So drückt es Gebhard aus. „Dort denkt man nur an die eigene Gemeinde, den eigenen Bundesstaat. Die, die in Washington sitzen, sind zumindest suspekt. Und der Rest der Welt ist uninteressant.“
Es war erst im vergangenen Jahr, als die 68-Jährige gemeinsam mit ihrem Mann Raymond Eden das erste Mal seine unmittelbare Heimat kennenlernte. Die Orte und die Menschen, bei denen Eden seine Kindheit verbrachte. „Er hat mich ausdrücklich gebeten, in der Öffentlichkeit nicht zu politisieren“, berichtet Gebhard über die Tage dort – weil es schlicht nicht gern gesehen ist, dort ausgelassen und offen über Politik zu sprechen. Ob ihr das schwergefallen ist? „Nein.“
Aber es ist eine rationale Erklärung für „America First“, an die sich Gebhard heranwagt. Nationale und internationale Politik ist für viele US-Amerikaner uninteressant, glaubt sie. Es ist ein anderes Lebensgefühl, das sich nur in der eigenen Provinz abspielt, will sie deutlich machen. „Viele Europäer verkennen die USA. Der Durchschnittsamerikaner lebt nicht an den Küsten, sondern dort, im Heartland.“
Hinzu kommt: Die USA sind flächenmäßig nur knapp kleiner als ganz Europa. Sie bieten beeindruckende Landschaften, Küsten und Strände, abgelegene Orte und pulsierendes Leben, unendlich erscheinende Möglichkeiten in verschiedensten Facetten. Der Teller „USA“ ist groß. Der Tellerrand weit entfernt. Warum also über den Tellerrand hinausblicken?
In Europa gilt Ähnliches: Niemand stellt fremde Interessen ganz über die eigenen. Und so ist die Debatte über die US-Wahl hierzulande logischerweise europazentriert. Sie dreht sich mehr um die Auswirkungen auf uns, weniger um die Beweggründe dort. Warum wählen also US-Amerikaner so, wie sie wählen? Dafür muss man einen Perspektivwechsel wagen.
Die US-amerikanische Gesellschaft ist gespalten
Bei einigen ihrer Gedanken scheint sich Gebhard einig zu sein mit Mary Anna Shiraef, einer US-Postdoktorandin an der Universität Mannheim. Shiraef erzählt von einer Erfahrung in Deutschland, die sie selbst sehr überrascht habe: „Ich spreche über die USA viel mehr, wenn ich in Europa bin, als in den USA selbst. In Europa ist es ein Thema von besonderem Interesse“, äußert die 32-jährige Wissenschaftlerin, die an der Universität zur Integration von Minderheiten forscht. „In den USA ist es einfach die traurige Realität.“
Die traurige Realität – ein Gefühl, das auch bei anderen jungen US-Amerikanern herrscht, die sich gegen ein Studium auf ihrem Heimatkontinent, dafür aber für ein Studium an der Universität Mannheim entschieden haben. „Ehrlich gesagt war es keine Überraschung, ein Attentat in diesem politischen Klima zu sehen“, sagt der 28-jährige Student Mitchell Ewald.
„Was beunruhigend ist, ist, wie wenig das Attentat die Dinge verändert hat“, äußert Ewald. Die US-Amerikaner seien enttäuscht. „Viele wollten andere Kandidaten. Viele wollen im Allgemeinen einen echten politischen Wandel. Aber wir sind uns nicht einig, wie wir unsere Politik und Gesellschaft ändern wollen.“
Darauf spielt auch der 19-jährige VWL-Student Emil Hettich an, der seit einem Jahr in Mannheim lebt und derzeit für den Sommer zurück in den USA ist: „Es ist schwierig, sich an sinnvollen politischen Gesprächen zu beteiligen, und so dürfte es eigentlich in einer demokratischen Gesellschaft nicht sein.“ Es fänden in seiner Heimat – der 19-Jährige ist in den USA bilingual aufgewachsen und spricht fließend Deutsch – nur wenige Gespräche mit Leuten statt, die für die andere Partei stimmen werden. „Weil die Gesellschaft so gespalten ist.“
Eine Herausforderung des Zwei-Parteien-Systems in den USA: Wer Veränderung wünscht, dem bleibt fast nichts anderes übrig als die Partei zu wählen, die in der vergangenen Periode keine Regierungsverantwortung hatte. Sprich bei der anstehenden Wahl im November: Trump. Ein Grund, warum der 78-Jährige auch mit Stimmen von Menschen rechnen kann, die wenig bis gar nicht mit seiner Person sympathisieren.
Macht Bidens Rückzug den Weg für Veränderung frei?
Ob daran der Biden-Rückzug etwas ändert, der den Weg für Veränderung bei den Demokraten freimacht? Das ist Mary Anna Shiraefs Hoffnung. „Ursprünglich dachte ich, das Attentat würde Trumps Sieg sichern“, sagt sie. Nun sieht sie es als einen der zentralen Auslöser, warum Biden doch von seiner Kandidatur zurücktrat – „Zeit für einen jüngeren, vielversprechenden Kandidaten, um eine erfolgreiche Kampagne aufzubauen“, äußert die Postdoktorandin. „Es ist ungewiss, wie sich die Dinge entwickeln werden. Aber sicherlich hat das Attentat die Wahl interessanter gemacht.“
Äußerst gewiss ist dagegen für Hopeton Dias, der seit April 2019 nicht mehr in den USA, sondern in Mannheim lebt: „Ich möchte nie wieder in diesem Land leben!“ Der 42-jährige Schwarze ist homosexuell und hat auch wegen Trump die USA verlassen. Er sage nicht, dass Deutschland das beste Land der Welt sei, äußert er. „Ich bin immer noch ein Amerikaner. Aber ich bevorzuge Deutschland, ich bevorzuge die Menschen hier“, ist sich Dias sicher. „Wir leben in einer Welt, in der Gerechtigkeit nicht garantiert ist. Freiheit und Sicherheit für legitime Minderheiten sind nicht gesichert.“
Für seinen augenscheinlichen Hass auf Ex-Präsident und Präsidentschaftskandidat Trump findet Hopeton Dias deutliche Worte: „Dieser Mann ist ein Rassist, Sexist und Lügner. Er feiert Gewalt. Er ist der Grund für diese Art von Klima in dem Land.“ Für Dias steht fest: „Ich schätze Leben über alles. Ich würde nie den Tod von irgendjemandem feiern.“
Darin, dass Trump beinahe der Gewalt zum Opfer gefallen wäre, die er höchstselbst zelebriere, sieht Dias die größte Ironie des Attentats. Größten Respekt zollt der 42-jährige Wahl-Mannheimer dagegen dem aktuellen Präsidenten Biden und seinem Rückzug: „Joe Biden tut, was richtig ist, im besten Interesse des Landes. Er stellt sein Land über seine Ambitionen. Das macht ihn zu einem Patrioten.“
Trump wird wahrgenommen als einer, der sich als König gebärdet
In Hopeton Dias entfacht der Biden-Rückzug große Hoffnung für seine amerikanische Heimat, die er weiterhin im Herzen trägt: „Kamala Harris ist eine erprobte und einsatzbereite Führungspersönlichkeit, deren Kompetenz an ihrem schlechtesten Tag zehnmal größer ist als die, die Trump jemals haben wird!“, plädiert er für die Kandidatur der 59-jährigen aktuellen Vize-Präsidentin. „Sie ist eine Renaissance-Frau, eine Pionierin und ein großes Vorbild für Frauen und Mädchen!“ Mitchell Ewald sieht das anders: „Ich hätte einen kurzen Auswahlprozess lieber, bei dem mehrere Kandidaten um die Nominierung konkurrieren.“ Wenn es aber auf Harris hinauslaufe, werde Ewald für sie stimmen.
Was aber, wenn es Trump wird? Werden dann weitere Amerikaner Hopeton Dias nachfolgen und das Land verlassen? „Meine nicht-weißen amerikanischen Freunde fragen mich nur halb im Scherz, ob ich sie in Deutschland beherbergen kann, wenn Trump gewinnt“, berichtet Mary Anna Shiraef. „Wirst du uns für eine EU-Staatsbürgerschaft sponsern, jetzt, wo wir kurz davor sind, einen Gottkaiser zu haben?“, sei die exakte Frage. Dass Trump wahrgenommen werde als jemand, der sich als König gebärdet und übermenschliche Fähigkeiten beanspruch, zeige einmal mehr, wie tief die Risse sind, die sich in der amerikanischen Gesellschaft auftun. „Ein Schock für alle“, sagt Shiraef, scheint nicht nur das Attentat gewesen zu sein, sondern auch seine Folgen.
Und das Licht am Ende des Tunnels? „Was man Trump zugutehalten muss: dass er in den vier Jahren seiner Amtszeit keine kriegerischen Handlungen angezettelt hat“, sagt Christine Gebhard. „Ich glaube, keiner in Amerika möchte Krieg.“ Fast im selben Atemzug bezeichnet sie den einst und womöglich erneut mächtigsten Mann der Welt als „fasziniert von Autokraten“. Eine Glaskugel hat sie nicht, sagt die 68-Jährige, aber einen Wunsch für die Zukunft formuliert sie doch: „Eine dritte Partei würde denen sehr gut tun.“
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