Hitlers Rache kennt kein Halten vor Frauen und Kindern: Noch am Tag des gescheiterten Stauffenberg-Attentats läuft seine Vergeltungsmaschinerie an. Mit aufgepflanzten Bajonetten dringen Soldaten in die Berliner Stadtkommandantur ein, besetzen die Wohnung des Mitverschwörers Generalleutnant Paul von Hase. Die ganze Familie wird festgesetzt, bewacht von Soldaten mit Handgranaten in den Stiefeln.
Erinnerung der Soldatenfrau
Szenen brutaler Gewaltausübung, Angst und Schrecken in Höchstdosis. Margarethe von Hase, Ehefrau des "Verräters", hat ihre Erinnerungen von den Monaten am Rande des Abgrunds in den 60er Jahre aufgeschrieben, als ein Vermächtnis für ihre Angehörigen und eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Jetzt erscheint - 70 Jahre nach dem Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 - dennoch das Zeitzeugnis der Soldatenfrau, die am eigenen Leib den Hass des Nazi-Regimes zu spüren bekam. Sie durchlitt zusammen mit ihren Kindern über Monate die Rituale seelischer Folter.
Ihr jüngster Sohn, der in Mannheim lebende Professor Dr. Friedrich-Wilhelm von Hase, hat die Dokumente des familiären Alptraums in ein Buch gebunden, das den Titel trägt "Hitlers Rache. Das Stauffenberg-Attentat und seine Folgen für die Familien der Verschwörer". Als Archäologe will der 77-Jährige das authentische Material nicht länger unter Verschluss halten, sondern Verschüttetes und Verdrängtes freilegen, damit die Topografie des Terrors besser verstanden wird und für alle Zukunft Lehren gezogen werden.
Von Hase hat indes nicht nur das eigene Schicksal aufgearbeitet, sondern mit anderen Leidengefährten und Opfern jener fernen Tage kommuniziert, sie um ihre bislang unveröffentlichten Erinnerungen gebeten an jene finstren Zeiten des Ausgegrenzt- und Eingesperrtseins in Sippenhaft. Und als Herausgeber legte von Hase auch Wert auf eine wissenschaftliche Grundierung: Ergänzt werden die Opferberichte durch fachliche Erläuterungen der damaligen zeitgeschichtlichen Hintergründe zum Staatsstreich am 20. Juli 1944. Auch Roland Hartung, als Erster Vorsitzender der Mannheimer Alfred-Delp-Gesellschaft eingeschworen auf das Thema Widerstand, ist mit einem Artikel zum Thema Fahneneid in dem Band vertreten, er moderierte jetzt die Buchpräsentation in der Abendakademie.
Doch zurück zu Friedrich-Wilhelm von Hase: Während der Vater verhaftet, vor Gericht gestellt und am 8. August 1944 in Plötzensee gehängt wurde, kamen die Familien in die vom Reichsführer SS Heinrich Himmler ersonnene altgermansiche Sippenhaft. Als Siebenjähiger riss man den kleinen Friedrich-Wilhelm also sofort nach dem Scheitern des Staatsputsches weg von seiner Familie und deportierte ihn ins Kinderheim bei Bad Sachsa.
Das hatten die Nazis eigens freigeräumt, um hier 46 Söhne und Töchter der Widerständler umzuerziehen, ihre Wurzeln zu kappen, ihnen alles zu nehmen: auch den Namen. Die Söhne des Grafen Schwerin erhielten den Namen Seiffert, die Stauffenbergs sollten sich als Meister loslösen von der adeligen Sippe, in der der Chef der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Robert Ley, die Wurzel allen Übels entdeckte: "Degeniert bis in die Knochen, blaublütig, bis zur Idiotie . . . das ist die Adelsclique, die der Jude gegen den Nationalsozialismus verschickt. . . Dieses Geschmeiß muss man ausrotten, mit Stumpf und Stiel vernichten."
Aber auch darin gefielen sich die totalitären Machthaber, sie vollzogen die Sippenhaft nach eigenem Gutdünken, dem allmächtigen Himmler gefiel es, die Häftlinge in der Hand zu haben, mit ihnen ein teuflisches Spiel zu treiben. Nach rund sechs Wochen kam Friedrich-Wilhelm wieder frei, durfte zurück zur Familie. Für die Geächteten begann ein weiterer Alptraum, enteignet, entrechtet, ohne Dach überm Kopf suchte Margarethe von Hase mit ihren Kindern dort Halt, wo alles wegbrach. In einem Rittergut bei Freunden kam man unter, nicht lange - und schon war man wieder auf der Flucht, diesmal vor den Russen, und landete in Bad Driburg.
Da verdiente Margarethe von Hase ihr Geld mit Kreativität: Sie bemalte alte Munitionskisten - davon gab's zur Not genug.
Hitlers Rache
Das Buch "Hitlers Rache. Das Stauffenberg-Attentat und seine Folgen für die Familien der Verschwörer" erscheint im SCM Hänssler Verlag, 350 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,95. ISBN: 978-3-7751-5537-3
Der Herausgeber ist Friedrich-Wilhelm von Hase, Sohn des am 8. August 1944 in Plötzensee ermordeten Widerstandskämpfers Paul von Hase. Mitautor ist unter anderenvRoland Hartung, Vorsitzender der Mannheimer Alfred-Delp-Gesellschaft.
Eine Lesung aus dem Buch findet am 11. Juli, 19 Uhr, im Florian-Waldeck-Saal der Reiss-Engelhorn-Museen statt. räu
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