Mannheim. Es vergehen nur wenige Sekunden, dann sitzt mir der erste fremde Mann gegenüber. „Hey Mark, warum hast du dich zuerst zu mir gesetzt?“, begrüße ich den großen Mittdreißiger, während mir das Herz bis zum Hals schlägt. Seine grünblauen Augen haben es mir direkt angetan, mein Flirtmodus schaltet sich ein. Außerdem bin ich extrem erleichtert, dass ich nicht als Letzte ausgewählt wurde - kurz fühlt es sich nämlich so fürchterlich an wie damals in der Tanzschule, als es darum geht, von einem der Männer zum Tanzen aufgefordert zu werden. Aber das alles lasse ich mir natürlich nicht anmerken. Denn die Frauen haben an diesem Speed-Dating-Abend im Bistro Eisblick feste Sitzplätze, und so sind es die Männer, die sich zu Beginn eine Herzdame aussuchen dürfen.
Genau sechs Minuten bleiben mir also ab jetzt, um den blonden Mark, der wie alle anderen Männer in diesem Text eigentlich anders heißt, besser kennenzulernen. Rauszufinden, ob bei uns die Funken fliegen. Neben und hinter uns sitzen ebenfalls Pärchen, zehn Frauen und zehn Männer zwischen 25 und 39 Jahren treffen an diesem Abend aufeinander.
Bevor es losgeht, mustern ich und die anderen Frauen wirklich jeden Mann, der neu zur Tür hereinstolpert - denn bis auf wenige Ausnahmen sind die Herrschaften zu spät. Dabei will ich von meinen Mitstreiterinnen wissen, warum bei ihnen bislang Amors Pfeil noch nicht ins Schwarze getroffen hat. Die meisten Single-Ladies sind frisch getrennt und vom Online-Dating genervt. Was sie alle gemein haben: Sie wollen es heute locker angehen lassen, lieber Spaß haben als verzweifelt nach einem Traumprinzen zu suchen.
Bis zu 20 Dates an einem Abend
Was die anderen aber auf keinen Fall über mich wissen dürfen: Zwar bin ich tatsächlich Single und auf der Suche nach dem Einen, der mein Herz zum Rasen bringt, die Funken fliegen lässt und den gemeinsamen Lebensabend im Haus am See im Schaukelstuhl verbringt. Trotzdem hat mich die berufliche Neugier zum „Speeddating-XXL“ getrieben. Meine Mission: als Undercover-Reporterin herausfinden, wer diese mutigen einsamen Herzen sind, die sich in Zeiten von Online-Dating überhaupt noch trauen, in der echten Welt echte Männer und Frauen zu treffen. Und natürlich, um der Frage auf den Grund zu gehen, ob sechs Minuten Gespräch wirklich ausreichen, um zu spüren, ob es tatsächlich Liebe ist? Der Veranstalter bietet deutschlandweit solche Events an, wirbt damit, dass Singles für 25 Euro Gebühr statt wie üblich nur sieben, sogar bis zu 20 neue Gelegenheiten für die wahre Liebe an einem Abend treffen können. Nach 20 Minuten Speed-Dating und drei Begegnungen hat mich bisher leider noch keiner von Amors Pfeilen erwischt - vielmehr brummt mir vom intensiven Turteln schon jetzt der Schädel. Eine Flirtpause gibt es aber erst nach Mann Nummer fünf.
Die Regeln
- Alle Teilnehmenden erhalten zu Beginn eine Nummer samt Namenschild. Auf einem ausgeteilten Zettel können sich die Singles Notizen zu den einzelnen Dates machen sowie deren Nummer notieren und sie mit einem eigenen Punktesystem bewerten.
- Weil viele beim ersten Kennenlernen nervös sind, liegen auf den Tischen Fragekalender, die beim Gespräch helfen können.
- Einen Tag nach dem Treffen erhalten alle eine E-Mail samt Namensliste. Erst wenn sich beide gegenseitig digital markieren, also ein „Match“ haben, werden ihre Kontaktdaten freigeben, damit sie sich für ein weiteres Treffen verabreden können.
Ein Glück, dass das nächste Bimmeln der Glocke schon den nächsten Kandidaten herbei läutet: Fasziniert mustere ich den 30-jährigen Chris - mit seinen blonden Haaren, Bart und der sportlichen Statur ist er für mich zumindest optisch schon jetzt eine Augenweide. Für die Begrüßung versucht sich der schöne Chris dann direkt mit einem lockeren Spruch im breiten Pfälzisch - und bricht damit sofort den Zauber: „Der Tisch wackelt, ich halte ihn mit meinen starken Armen gerne für dich fest“, ist der erste Satz, den ich von ihm höre. Das kommt so unerwartet, dass ich laut lachen muss - doch ein Volltreffer?
Fünf Minuten später allerdings weiß ich alles über ihn und seine Hobbys - und er irgendwie nichts über mich. Dabei ist Chris kein blutiger Anfänger, was das reale Dating angeht. Denn wie die meisten Männer hier zieht er es vor, seine Traumfrau am ehesten im echten Leben zu finden, statt digital. Warum das besser ist als die verzweifelte Online-Suche nach dem oder der Richtigen? „Die meisten habe alle Apps ausprobiert, sind oft von dem Unpersönlichen genervt“, weiß auch Veranstalter Patrick Kuhlmann vom Speed-Dating XXL. Gerade das persönliche Kennenlernen fänden viele besser, schließlich gibt es so keine bösen Überraschungen. Denn die Vorzüge liegen für Kuhlmann auf der Hand: Wer sich gegenübersitzt, kann direkt sehen, wie sich das Gegenüber gibt, kann spüren, ob man auf der gleichen Wellenlänge liegt. „Das Wie ist wichtiger als das Was. Die ersten drei Sekunden reichen aus, um zu wissen, ob man ein gutes Grundgefühl hat“, sagt Kuhlmann.

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Tatsächlich merke auch ich sofort, ob es funkt - oder eben nicht: Wie etwa bei Markus, dem schüchternen IT-Mann mit Brille. Denn egal, welche Frage ich stelle, das Eis zwischen uns will einfach nicht brechen. Ebenfalls völlig kalt lässt mich Max, der klar erkennbar an seinem T-Shirt bei einem großen Chemiekonzern arbeitet. Mit nur einer Frage zu seinem Heimatort löse ich bei ihm einen unstillbaren Redefluss aus - und so fühlen sich die sechs Minuten so unendlich lang an, dass sich mein Flirtmodus ausschaltet und der Puls gefährlich niedrig wird.
Frauen meist jünger als Männer
Erst beim letzten Kandidaten erwacht mein Jagdinstinkt wieder, flirte ich sogar ein bisschen mit dem charmanten und bärtigen Tom. Unsere sechs Minuten sind viel zu schnell vorbei, und ich muss zugeben: So macht Speed-Dating ziemlich viel Spaß. Trotzdem scheint diese klassische Form der Partnersuche noch nicht wieder bei den einsamen Herzen angekommen zu sein. Grund dafür ist laut Kuhlmann das sich hartnäckig haltende Klischee, hier nur auf schwer vermittelbare Fälle zu treffen. „Dass stimmt überhaupt nicht. Es ist einfach der klassischere Weg. Alle haben mit dem Single-Dasein zu kämpfen. Wenn es bislang nicht geklappt hat, den oder die Richtige zu finden, dann lohnt es sich, auch mal andere Wege zu gehen“, sagt Kuhlmann.
Vom Feuerwehrmann bis zur Professorin seien die Teilnehmer gut durchgemischt. Das trifft tatsächlich auch auf meine Datinggruppe zu. Hier tummeln sich Männer mit ausgefallenen Berufen wie Winzer oder Chirurg. Ob oder wie oft bei den Singles hier die Funken fliegen und daraus sogar Liebe entflammt, kann Veranstalter Kuhlmann zwar nicht mit nackten Zahlen belegen. Aber die Events kämen sehr gut an. „Hin und wieder erhalten wir sogar eine Hochzeitseinladung von Paaren, die sich hier kennengelernt haben“, sagt Kuhlmann. 25 bis 39 Jahre alt seien die willigen Turteltauben im Schnitt, die Männer meistens über 30, die Frauen etwas jünger.
80 Prozent Trefferquote
Nach mehr als zwei Stunden Flirtkarussell bin ich völlig erschlagen, kann mich trotz meiner Notizen auf dem Zettel nicht mehr an alle Flirts erinnern. Trotzdem muss ich mich entscheiden, wen ich wiedertreffen will, indem ich ein digitales Kreuzchen setze. Ein kurzes Nachdenken aber bringt die bittere Erkenntnis: Offenbar hat mich keiner von Amors Pfeilen getroffen, hat es bei keinem so richtig gefunkt.
Wie sich das bei den anderen Singles anfühlt, ob es bei denen öfters gefunkt hat? „80 Prozent der Singles haben im Durchschnitt danach eine Person, die auch sie wiedersehen will“, weiß Kuhlmann. Natürlich könne es auch passieren, dass jemand ganz leer ausgeht. „Aber das ist wie bei einer Party: Mal läuft es gut, mal schlecht.“ Eher schlecht verläuft übrigens das Gespräch mit Mann Nummer Eins: Mein erster Flirtversuch scheitert kläglich, trotz Steilvorlage für ein Kompliment. „Warum hast du mich ausgewählt?“, wollte ich ja anfangs verschmitzt wissen. „Ach“, kommt es da nur nervös aus dem großen Blonden heraus, „du warst mir einfach am nächsten.“
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