Uni Mannheim

Selbstversuch im Mannheimerer Debattierclub

Die „Mannheim Debating Union“ richtet am Wochenende die Süddeutschen Debatiermeisterschaften aus. Unser Reporter hat beim „Training“ vorbeigeschaut.

Von 
Kilian Harmening
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Mannheim. Im Finale einer Debattier-Meisterschaft sieht sich Bastian Schieck dieses Jahr zwar nicht. Trotzdem hat er mit 47,75 Punkten eine der besten Bewertungen des Abends erzielt, als er wie jede Woche das wortgewandte Argumentieren probte. So entschieden zumindest drei seiner Mitstreiter, die eine Jury mimten. Denn der frisch gebackene Masterabsolvent weiß, dass es im Debattieren nicht nur um Fakten geht, sondern vor allem um das scharfe Wort, die präzise Argumentation und die Kunst, den Gegner in die Ecke zu drängen – ohne die eigene Haltung zu verlieren.

Fitnessstudio? Tennis-Matches? Nein, das bevorzugte Hobby ist hier der verbale Schlagabtausch. Jeden Mittwochabend trifft sich die „Mannheim Debating Union“ an der Universität. Gerade fiebern die Studenten einem besonderen Ereignis entgegen: Am 12. und 13. April richten sie in Mannheim die süddeutsche Debattiermeisterschaft aus. Ein eigenes Team stellen sie nicht – stattdessen springen einige als Ersatzredner ein, falls andere Teams Lücken haben. Ihren persönlichen Fokus richten sie auf andere nationale Meisterschaften, derweil bereiten sie sich auf die Gastgeber-Rolle vor, für sie eine Premiere.

Hitzig-laute Wortgefechte in den Seminarräumen

Auf den Fluren hallen unüberhörbare Pausengespräche, im Seminarraum spitzen sie sich später zu hitzig-lauten Wortgefechten zu. Wer die konfrontativsten Zwischenfragen stellt, erhält von der Jury Extra-Punkte. Dass hier Menschen zugegen sind, für die Reden eine Leidenschaft ist, ist bei all den forschen Worthülsen und kämpferisch-betonten Einwürfen schwer zu verstecken. Wer all das fehlerlos meistert, kann auf bis zu 100 Punkte hoffen – theoretisch. Es wäre gleichbedeutend mit „perfekt, internationale Spitzenleistung“ und gilt in der Praxis als unerreichbar.

Acht junge Männer und eine junge Frau sitzen an zu einem Halbkreis geformten Tischen. Die Stoppuhr tickt. Ob verpflichtende Ladenschlusszeiten abgeschafft und damit die Gesellschaft in ein nächtliches „Konsumparadies“ verwandelt werden soll – wie einer der Debattierer den Gedanken später vorwurfsvoll umschreibt – ist Streitfrage des Abends. „Wir suchen meistens lockere Themen aus“, erläutert Schieck, Präsident der studentischen Initiative. Denn wer jede Woche hart auf hart zu Krisen und Kriegen Position beziehen müsse, lasse sich seltener blicken.

Ins kalte Wasser geworfen wird auch der „MM“-Reporter: Bitte eine dreieinhalbminütige „fraktionsfreie Rede“ halten. Vorbereitungszeit 15 Minuten – ob Pro oder Contra, bleibt Geschmackssache. Nicht aber für diejenigen, die per Los zu Mitgliedern der „Regierung“ oder „Opposition“ werden. Sie müssen im Zweifel von ihrer Fähigkeit Gebrauch machen, eine fremde Position glaubhaft zu vertreten.

Wie ich als „MM“-Reporter zum Thema stehe, zurre ich fest: Die Sonntagsruhe ist in unserer Gesellschaft hoch verankert. Zum einen besteht staatliche Verantwortung, Arbeitnehmerrechte zu wahren. Zum anderen finden ehrenamtliche Aktivitäten – genau wie Wahlen – meist am Wochenende statt, wenn viele gleichzeitig frei haben. Das bröckeln zu lassen, kann schnell das Fundament unserer Demokratie angreifen, wird Argumentationskette der Rede sein.

Die Jury lobt den freien Vortragsstil, nennt aber auch Verbesserungspotenzial: öfter aktiv Pausen setzen, bewusstere Gestik, nicht zu viele Aspekte kurz hintereinander einwerfen. Phil Mayr weist auf die Taktik hin, sich länger an einem Punkt entlangzuhangeln, um die eigene Sichtweise unangreifbar zu machen.

Schlagfertigkeit braucht jahrelanges Rhetorik-Training

Beide Seiten schicken ihre Argumente ins Kreuzfeuer. Unverhofft schnell verheddern sie sich an geschickt platzierten Einwänden der anderen. Es zeigt, dass Schlagfertigkeit, wie man sie von großen Bühnen kennt, oft jahrelanges Rhetorik-Training voraussetzt. In einer Zeit, in der populistische Rhetorik Wahlen entscheidet und Fake News Debatten dominieren, sieht Bastian Schieck das Wirken seines Clubs auch als Dienst an der Demokratie.

Elias Meyenberg vertritt die liberale Seite der Ladenöffnungsdebatte und argumentiert mit „Freiheit“. Seinem Kontrahenten, der mehr „Menschlichkeit“ einfordert, hält er entgegen: „Du bist eins zu eins unserer Meinung, nur eine Sache hast du nicht gesehen.“ Meyenberg weiß, dass dieses regelmäßige Rhetorik-Training ihm eine steile Lernkurve beschert – und ihn ausreichend fordert. Er gibt zu, dass ihm an stressigen Tagen abends nicht mehr nach einer nervenaufreibenden Debatte ist. Wettkampf-Ambitionen hat er noch keine – das viele Sprechen vor seinem Team fordere ihm teils noch Überwindung ab. Anzumerken ist es ihm wenig, denn selbst die Erfahrensten kommen nicht ohne Stolperer in ihren Redebeiträgen aus.

Schärfe der Gedanken entscheidet über den Sieg

Neben den Debatten, deren Themen im Voraus nicht bekannt sind, üben sich die Studenten alle zwei Wochen in Workshops zu Erwiderung, Rhetorik, Schlagfertigkeit oder der Ausgestaltung eines Arguments. Die süddeutsche Meisterschaft werden erfahrene Rhetoriker bepunkten, außerdem stellvertretender Ministerpräsident Thomas Strobl und Dagmar Schmidt, Leiterin des SWR Mannheim.

Akribisch tragen die Juroren schon beim alltäglichen Trainingsabend vor: Wer wich aus? Wer argumentierte überhaupt präzise? Wer verfing sich in Widersprüche? Am Ende entscheidet eben nicht die Lautstärke, sondern souveränes Auftreten – und die Schärfe der Gedanken.

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