Studie

Schwindende Lesekompetenz: Wer liest in Mannheim noch in Büro und Uni?

Jeder fünfte Erwachsene in Deutschland liest schlecht. Wir haben bei Südzucker und an der Universität nachgefragt, wie sich das in Beruf und Studium bemerkbar macht.

Von 
Valerie Gerards
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Die Lesekompetenz ist auch bei jungen Erwachsenen auf dem Rückzug, heißt es in einer aktuellen OECD-Bildungsstudie. © picture-alliance/ ZB

Mannheim. Die Lesefähigkeit hat abgenommen: Jeder fünfte Erwachsene in Deutschland kann nur schlecht oder sehr schlecht lesen, wie Forscher der aktuellen Bildungsstudie PIAAC der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) herausgefunden haben. Im Hochschulbetrieb und in der Unternehmenskommunikation sind die Einschätzungen allerdings verschieden.

Die kürzere Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen wirkt sich auf die Kommunikation in Unternehmen aus, wie Dominik Risser, Unternehmenssprecher der Südzucker AG in Mannheim, bestätigt. „Seit einigen Jahren passen wir unsere internen Kommunikationskanäle dem heutigen Leseverhalten an. Wir würden nicht davon sprechen, dass wir eine gesunkene Lesekompetenz sehen. Vielmehr passt man sich dem Umfeld an, welches die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch außerhalb des Unternehmens erleben.“

Wer nicht im „Rauschen“ untergehen will, muss prägnante Botschaften setzen

Einen großen Einfluss auf die geänderte Kommunikation sieht Risser in den Sozialen Medien. Erfolgreiche Posts seien meist einfach und kurz gehalten, aktuell und unterhaltsam. Bilder und Videos seien nicht mehr wegzudenken. „Unsere internen Kanäle, zum Beispiel Mitarbeitermagazin, Intranet, Newsletter, Info-Screens oder Video-Botschaften, richten sich entsprechend aus. Dabei ist die Reduktion von Komplexität auf griffige, unterhaltsame Botschaften eine wirkliche Herausforderung für die Interne Kommunikation“, erklärt der Unternehmenssprecher weiter. Nach seiner persönlichen Einschätzung leben wir in einer Zeit der medialen Reizüberflutung. „Wenn man in diesem Umfeld Botschaften setzen will, dann muss dies sehr prägnant passieren, sonst geht man im ,Rauschen‘ unter.“

Nach der Lesekompetenz der Studierenden gefragt, will Cornelia Ruhe, Professorin für romanische Literatur- und Medienwissenschaft an der Uni Mannheim, zwei Dinge unterscheiden: Auf der einen Seite die jüngste Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und auf der anderen Seite die sehr alte Klage darüber, dass Studierende immer schlechter werden und nicht mehr lesen. „Die Studierenden vor 30 Jahren haben zwar nicht die KI benutzt, aber haben die Bücher auch nicht ganz gelesen, sondern eben im Literaturlexikon die Zusammenfassung gelesen oder sich vom WG-Mitbewohner erzählen lassen, worum es geht. Es gab immer schon Methoden, um zu umgehen, den Text ganz zu lesen“, meint Ruhe.

Für Erstsemester ist eine wissenschaftlich fundierte Zusammenfassung durchaus sinnvoll

Vielmehr sei der Rückgang der Studierendenzahlen dafür verantwortlich, dass manche Lehrende dem geänderten Leseverhalten entgegenkommen und die Seminare mit Erzählungen oder Kurzgeschichten gestalten würden. Allerdings müsse man zwischen Bachelor- und Masterstudiengängen entscheiden. „Die Leute, die im Master angekommen sind und sich für Literaturwissenschaft entscheiden, lesen meistens auch die ganzen Bücher“, berichtet Ruhe.

„Erwachsenen-Pisa“

  • PIAAC – auch bekannt als „Erwachsenen-PISA“ – ist eine international vergleichende Studie im Auftrag der OECD , die seit 2012 alle zehn Jahre durchgeführt wird. Untersucht werden dabei die Alltagsfähigkeiten von Erwachsenen im Alter von 16 bis 65 Jahren.
  • Im Mittelpunkt stehen bei PIAAC Schlüsselkompetenzen wie Lesen, Mathematik und adaptives Problemlösen .
  • PIAAC ist mit weltweit rund 160.000 Teilnehmenden in 31 Ländern die umfassendste Studie mit arbeitsmarktbezogenem Fokus, die bislang durchgeführt wurde.

Wenn es um theoretische Texte geht, würde jedoch bei den heutigen Studierenden eher die Zusammenfassung gelesen als das Original, berichten die Germanistikprofessorin Regine Zeller und Sandra Beck, akademische Rätin am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Sie können jedoch nicht feststellen, dass sich die Lesekompetenz seit 2005 verschlechtert hätte. Im Gegenteil: Für die Erstsemester sei eine wissenschaftlich fundierte Zusammenfassung einer Theorie durchaus sinnvoll und angemessen. In höheren Semestern sei es dann entscheidend, die Theorien und Texte im Original und ganz zu lesen.

Die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Studierendenrats AStA der Uni Mannheim, Charlotte Grünen, hat im Austausch mit Kommilitonen festgestellt, dass die Lesekompetenz unter Studierenden sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. „Während einige äußerst pflichtbewusst jeden vorgegebenen Text oder jedes Buch vollständig lesen, orientieren sich andere stärker an Kriterien wie Effizienz und Zeitmanagement“, sagt Grünen, die derzeit Geschichte und BWL studiert.

„Entscheidender Faktor ist die Relevanz eines Textes“

Besonders im Fach Geschichte sei es üblich, umfangreiche Texte zu lesen, da dies mit den fachlichen Anforderungen zusammenhängt. Die Studierenden würden dazu angehalten, wissenschaftliche Arbeiten kritisch zu hinterfragen. Deshalb sei es selbstverständlich, alle in der Arbeit verwendeten Texte gründlich zu lesen. Im Gegensatz dazu erfordere ein BWL-Studium oft keine vorbereitende Lektüre für Vorlesungen. „Zwar existiert in beiden Disziplinen weiterführende Literatur, doch nur wenige in meinem Umfeld greifen freiwillig darauf zurück“, meint sie.

„Ein entscheidender Faktor für das Leseverhalten ist die Relevanz eines Textes. In meiner Erfahrung und in meinem Umfeld wird generell weniger gelesen, jedoch steigt die Bereitschaft zur eigenständigen Lektüre deutlich, wenn es um die Vorbereitung einer Hausarbeit geht“, sagt Grünen. Die Vorbereitungstexte für Seminare hingegen würden oft gar nicht gelesen oder lediglich in zusammengefasster Form durch KI genutzt, da sie im Hinblick auf Effizienz und Zeitmanagement als weniger notwendig betrachtet würden.

KI wie ChatGPT würden laut Grünen vor allem als unterstützendes Hilfsmittel verwendet, um sich alternative Formulierungen oder Zusammenfassungen anzeigen zu lassen. „Nur selten verlassen sich Studierende ausschließlich auf KI-gestützte Textzusammenfassungen, auch wenn deren Nutzung mittlerweile weit verbreitet ist“, sagt sie.

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