Dieser akustische Rausch ist ein Teufelswerk in Virusgrün. Warnend grüßt eine mahnende Seuchenretterin mit Gasmaske und gelbem Schutzanzug noch an der Eingangstür – und ahnt doch, dass es für jede Heilung hier längst zu spät ist. Denn 10 000 frenetisch feiernde Menschen wissen genau, mit welchem Virus sie sich beim „Toxicator“-Festival in der Maimarkthalle infizieren, und denken gar nicht daran, sich davon kurieren zu lassen. Eine Nacht der Überzeugungstäter, dazu gemacht, um die harten Klänge elektronischer Musik zu zelebrieren.
Masken und Kontaktlinsen
Dabei ist der Cocktail dieser zehn Stunden keineswegs ein konventioneller. Es sind Klänge digitaler Gezeiten, denen hier das Parkett geboten wird – auf dass sie sich in die Sinne fressen. Der Heidelberger Hardtechno-Lokalmatador Dominik Stuppy gibt da nur einen sanften Eindruck auf das, was die kommenden Stunden noch folgt. Denn was bei Stuppy noch tief und dröhnend durch die Anlage grollt, verwandeln die Hardcore- und Hardstyle-DJs in ein Feuerwerk bassgetriebener Gewalten. Szene-Protagonisten wie „Thorax“, „Re-Style“ oder „Villain“ zerlegen ihre Sounds in mikroskopische Artefakte, die in wilden Vibrationen über den zitternden Boden zucken.
Denn eines ist bei Hardstyle-Events wie diesem klar: Nicht nur die Musik, auch die Menschen sind von Entschlossenheit geprägt, diese Nacht zu einer Feier des Moments auszugestalten: mit Fratzen-Masken, Gothic-Brillen und grellen Kontaktlinsen. Die bombastische Inszenierung zwischen Laser-Kollagen, Feuerstößen und CO²-Kanonen leistet ihren visuellen Beitrag, die rastlosen Schrittakrobaten bieten ästhetischen Widerstand. Nach und nach formiert sich eine Allianz der Gleichförmigkeit. Die Zeit wird zunehmend zur relativen Konstante, die sich nur noch durch die ansteigende Hitze messen lässt: Die Bekleidung wird knapper, jeder Wimpernschlag zum Erlebnis. Fotografieren lässt sich in dieser Szenerie so mancher – ihren Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. Es sind dies ungewöhnliche Kennwerte, auf die Svenja Heinemann von Veranstalter I-Motion im Gespräch mit dieser Zeitung jedoch sichtlich stolz ist. Denn auch, wenn die Agentur aus dem beschaulichen Mühlheim-Kärlich mit „Nature One“ ein nahezu fünf Mal so großes Festival auf der Raketenbasis Pydna veranstaltet: „Dass wir die Hardstyle-Fans aus Europa mit unserem Konzept über die Jahre hinweg so konstant in der Quadratestadt vereinen konnten, ist ein großartiges Geschenk.“
Dass einige Dutzend Menschen die laut Polizei insgesamt „vorbildlich ruhige Party“ nicht ohne Diebstahl, Sachbeschädigung oder Drogenkonsum überstehen, ist in der Branche nicht neu – wirft aber einen Schatten auf ein sonst grandios gestaltetes Jubiläum.
116 Verstöße geahndet
- Das „Toxicator“-Festival wurde 2009 von der Agentur I-Motion gegründet, die auch das „Nature One“ auf der Raketenbasis Pydna verantwortet.
- Das Festival präsentiert internationale Elektro-DJs aus den Bereichen Hardcore, Hardstyle und Hardtechno und ist das größte Festival seiner Art in Deutschlands Südwesten.
- Zur Premiere vor zehn Jahren kamen 3000 Besucher, beim Jubiläum am Samstagabend feierten nach Veranstalterangaben 10 000 Fans bis in den Morgen.
- Die Polizei registrierte vor, während und nach dem Festival insgesamt 116 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz - sichergestellt wurden 21 Gramm Marihuana, 69 Ecstasy-Tabletten, 55 Gramm Amphetamin, knapp sechs Gramm Cannabis, 31 Joints sowie geringe Mengen an LSD, Metamphetaminen, Kokain, Crystal Meth, Ketamin und Codein.
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