Mannheim. Es wurde gerade dunkel, als die Polizei am Mittwoch an der Tür von Ingrid Noll in Weinheim klingelte. Vor der Tür stand die Spitze der Kripo in der Region: Andreas Stenger und Siegfried Kollmar, Präsident und Vizepräsident der Kriminalpolizei von Mannheim, Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis. Die Herren kamen allerdings nicht zum Ermitteln. In ihrer Aktentasche steckten zwei Urkunden: eine für Ingrid Noll, die andere für ihre Autoren-Kollegin Claudia Schmid aus Mannheim.
Im Wohnzimmer von Deutschlands erfolgreichster Krimi-Autorin wurde es gemütlich. Ingrid Noll servierte Espresso und Weihnachtsgebäck, und schließlich wurde auf ihre „Beförderung“ angestoßen. Denn die Autorin ist schon einmal für ihren kriminalistischen Spürsinn geehrt worden: Die gerahmte Urkunde vom 2. März 2016, die sie als Ehrenkommissarin der Bonner Polizei ausweist, lag auf dem Tisch.
Dieses Mal kam die Würdigung höchst persönlich aus Mannheim – überbracht von Polizeipräsident Andreas Stenger. Per Urkunde ernannte der Polizeichef die 84-Jährige zur Ehrenkriminalhauptkommissarin – für ihren Einsatz für die Hilfsorganisation „Weißer Ring“ und „als Anerkennung ihrer kriminalistischen Arbeit, die sie als Schriftstellerin auf herausragende Weise an den Tag gelegt haben“, sagte Stenger. Claudia Schmid erhielt die Urkunde zur Ehrenkriminalkommissarin. „Ingrid Noll ist jetzt quasi meine Chefin“, sagte sie lächelnd.
Viele Leichen im Keller
Ob sich die Beiden geehrt fühlen, dass ihre Fälle sogar echte Ermittler fesseln? „Ich recherchiere immer vor Ort, war sogar schon in der Ausnüchterungszelle. Aber Krimis sind ja keine Handbücher für Polizisten“, erwiderte Schmid. Und Kripo-Leiter Kollmar ergänzte: „Wahre Mörder sind nicht so raffiniert wie in Krimis.“ Auf dem Ledersofa und umgeben von überladenen Bücherregalen philosophierten die vier dann über knifflige Fälle, und Stenger erwies sich als ein profunder Kenner der Bücher von Noll. Egal ob „Die Apothekerin“, „Die Häupter meiner Lieben“ oder „Halali“: Der Polizeichef hat sie alle gelesen. Besonders spannend fand er die Raffinesse in „Die Apothekerin“, wo die Protagonistin mit einem unter Zahngold versteckten Gift zuschlug. „Diese Idee verdanke ich meinem Mann“, verriet Ingrid Noll. Was Stenger an der Literatur der Weinheimer Autorin so gefällt? „Das sind so liebenswerte Mörder.“ Die kommen in Nolls Krimis erstaunlich oft ungeschoren davon. „Ich bringe es nicht über’s Herz, sie auszuliefern“, gesteht die 84-Jährige. Überhaupt sei eine Beförderung nach der Bonner Auszeichnung längst überfällig, meinten die zum Plaudern aufgelegten Polizisten. Als es um „Halali“ geht, erzählte Noll von teils autobiografischen Inhalten, betont aber schmunzelnd: „Ich schreibe oft in der Ich-Form. Wenn das alles wahr wäre, hätte ich wirklich viele Leichen im Keller.“ Ihre Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg wackelte dabei lustig am Revers ihrer Jacke.
Dass Noll selbst mit einem Delikt aufwarten kann, ließ auch Kollmar schmunzeln. „Ich war 15, als ich in Bonn von einem Polizisten angehalten wurde, weil mein Licht nicht funktionierte. Da bin ich einfach geflohen“, erzählte sie. „Das ist längst verjährt“, stellten die beiden Polizeichefs fest.
Die Ehren-Kommissarinnen
- Ingrid Noll gehört zu den erfolgreichsten Krimi-Autorinnen Deutschlands. Ihre Bücher wurden in 27 Sprachen übersetzt. Die „Grand Dame“ des subtilen Mordens begeistert ihre Leser immer wieder mit schrulligen Heldinnen und amüsanten Beobachtungen des Alltags. Die 84-Jährige wohnt in Weinheim. Viele ihrer Kriminalromane spielen im Rhein-Neckar-Raum (Mannheim und Heidelberg).
- Claudia Schmid lebt in Seckenheim. Die Wahl-Mannheimerin schreibt Krimis, die in der Metropolregion spielen.
- Schmid etablierte 2014 Lesungen im Polizeipräsidium Mannheim. Sie finden im Rahmen des bundesweiten Krimitags statt, veranstaltet von der Autorengruppe Syndikat für deutschsprachige Krimiliteratur. Bei der Benefizveranstaltung in der Quadratestadt kamen für die Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ mehr als 1380 Euro zusammen. Die Ehrentitel wurden zum ersten Mal verliehen. lia
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