Mannheim. Mannheim hat die Wahl. Mancher gar die Qual der Wahl, in welcher Hinsicht auch immer. Gleichwohl haben sehr viele die Wahl schon hinter sich. Am Freitag um 15 Uhr hatten bereits rund 43 000 Menschen abgestimmt oder zumindest beantragt, das auf dem Postweg zu tun, wie Stadtsprecherin Christina Grasnick auf Anfrage sagt.
Auch wenn die eine oder der andere doch noch verzichten sollte, ist ein neuer Rekord schon sicher. Bei der Kommunalwahl 2019 waren es etwa 39 000 Briefwähler, fünf Jahre zuvor 28 000 und davor 19 000.
Politikwissenschaftler Markus Debus: Corona hat den Trend zur Briefwahl verstärkt
Der Anstieg sei kein lokales Phänomen, erklärt dem „MM“ der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus (Bild). „Die Briefwahl wird immer häufiger genutzt.“ Insbesondere die Pandemie habe „wie ein Boost“ gewirkt. Dieser Trend zeige sich auch in anderen Ländern. In mittlerweile acht US-Bundesstaaten werde sogar ausschließlich postalisch gewählt. Der ursprüngliche Gedanke sei gewesen, jenen die Stimmabgabe zu ermöglichen, die aus beruflichen, gesundheitlichen oder anderen Umständen sonntags nicht ins Wahllokal könnten, so Debus. Bis 2008 habe in den Briefwahlanträgen eine Begründung stehen müssen.
Vor Corona seien Briefwähler tendenziell eher älter gewesen und hätten höheren sozialen Schichten angehört, berichtet der Professor. „Letztere sind auch räumlich-geographisch mobiler, so dass sie an Wochenenden unterwegs sind, was sich wiederum kurzfristig ergeben kann.“ Daher beantragten sie ihre Unterlagen oft auch vorsorglich.
Im Kontext der Pandemie hätten etwa der damalige US-Präsident Donald Trump sowie einige AfD-Vertreter unbegründete Zweifel an der Sicherheit der Briefwahl gesät. „Dies hat in Deutschland dazu geführt, dass bei der Bundestagswahl 2021 die AfD-Wähler unter den Briefwählern unter- und bei den Urnenwählern überrepräsentiert waren.“ Die jeweiligen Zahlen - 6,7 und 13,6 Prozent - klaffen in der Tat auseinander.
Ob Briefwähler eher parteigebunden sind oder sie sich lieber kurzfristig entscheiden, kann Debus nicht beantworten. „Dazu liegen - zumindest meines Wissens nach - keine robusten Erkenntnisse vor.“ Aber eine Studie zur Bundestagswahl 2017 lege nahe, dass im Vergleich zu anderen Wählern keine ausgeprägtere Wechselbereitschaft bestehe.
Generell entschieden sich immer mehr Menschen erst spät, für wen sie stimmten. Bei der Bundestagswahl 2021 hätten das fast 60 Prozent erst in den letzten vier Wochen getan. In den 1960er Jahren seien es nur zwischen fünf und zehn Prozent gewesen. „Das spricht für eine Intensivierung des Wahlkampfs ab circa sechs Wochen vor der Wahl.“
Am Wahlsonntag noch kein Ergebnis, nur eine Prognose
- Bei der Kommunalwahl am 9. Juni wird es in Mannheim erstmals am Sonntagabend noch keinerlei Ergebnisse geben.
- Zwischenstände der Auszählung will die Stadt erst ab Montagmorgen (unter www.mannheim.de) nach und nach veröffentlichen.
- Mit dem vorläufigen Endergebnis ist frühestens Dienstagnachmittag zu rechnen. Wegen einer neuen Auszählungssoftware könne es sogar Mittwoch werden, so Stadtsprecherin Christina Grasnick. „Aber wir bemühen uns, es so schnell wie möglich zu machen.“
- Bisher gab es am Sonntag immer zumindest ein sogenanntes Stimmergebnis aus unverändert angekreuzten Wahlzetteln.
- Diesmal soll am Abend nur das Ergebnis der Europawahl in Mannheim publik werden.
- Der SWR will gegen 20.30 Uhr eine Prognose von Infratest dimap zur Kommunalwahl in Mannheim veröffentlichen, die auf Umfragen vor Wahllokalen basiert. sma
Die klassische „heiße Phase“ eine bis zwei Wochen vor der Wahl verliert indes an Bedeutung. So entsprechen die 43 000, die in Mannheim jetzt bereits abgestimmt oder das per Post beantragt haben, 18 Prozent der Wahlberechtigten. Fällt die Wahlbeteiligung am 9. Juni ungefähr so wie vor fünf Jahren aus, sind das mehr als ein Drittel der Wähler.
Darauf reagieren die Parteien bereits. Das zeigen die als Veranstaltungshinweise oder politische Botschaften getarnten Wahlplakate, die schon vor der Sechs-Wochen-Frist hingen. Dass dies zu Verdruss führen und somit nach hinten losgehen könnte, glaubt Debus nicht. „Wahlkampf politisiert Menschen, weckt ihr Interesse an Politik, steigert die Wahlbeteiligung und beeinflusst die Meinungsbildung.“ Das gelte schon vor der heißen Phase.
Die Fehleranfälligkeit ist bei der Briefwahl höher
Der Politikwissenschaftler weist noch auf einen interessanten Punkt hin. Bei Briefwahlen sei die Wahrscheinlichkeit größer, etwas falsch und seinen Stimmzettel ungültig zu machen. Das belege eine Studie.
Dies ist besonders gefährlich bei der Kommunalwahl, wenn man seine 48 Stimmen auf mehrere Parteien verteilen und einzelnen Kandidaten bis zu drei geben will. Wer sich unsicher über die Regeln ist, kann mit seiner Wahlbenachrichtigung auch einfach ins Rathaus gehen und dort abstimmen. Dann helfen städtische Beschäftigte bei Fragen möglichst weiter. Die Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Rekord bei Briefwählern in Mannheim erfordert Umdenken