Architektur - Gespräch mit Prof. Carl Fingerhuth, dem aus der Schweiz stammenden Vorsitzenden des neuen, städtischen Gestaltungsbeirates

"Schönheit kann man nicht zählen"

Von 
Anke Philipp
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Heute in Mannheim, morgen in München, übermorgen in Basel oder anderswo in der Welt: Prof. Carl Fingerhuth ist Handlungsreisender in Sachen Architektur, ein gefragter Referent und Buchautor; einer, der Herausforderungen sucht und gerne annimmt. Seit 2010 kommt der gebürtige Schweizer regelmäßig auch in die Quadratestadt. Grund ist der neue Gestaltungsbeirat, der sich mit Bauvorhaben im Besonderen und der Qualität der gebauten Umwelt im Allgemeinen kritisch auseinandersetzt. Fingerhuth hat in dem städtischen Beratungsgremium den Vorsitz übernommen.

Stadt keine technische Maschine

Dreimal tagte der Rat zunächst hinter verschlossenen Türen. Nun soll der Disput öffentlich geführt werden. Schließlich, so Fingerhuth im Gespräch mit dieser Zeitung, sei das Bauen ein öffentlicher Akt, ein Beitrag zur Stadt, mit dem die Bürger sowieso konfrontiert würden. Reden allein im stillen Kämmerlein reiche da natürlich nicht aus. Um Dinge zu bewegen, müsse man mitreißen, begeistern, mit Argumenten die Öffentlichkeit überzeugen. Das Bauen selbst - für den Professor ein gesellschaftlicher Auftrag.

Als gebürtiger Schweizer und ehemaliger Baudezernent in Basel weiß Fingerhuth genau, wovon er spricht: Wer Volksabstimmungen überstehen will, muss permanent präsent sein. Dazu gehöre, die Menschen ernst zu nehmen und Pläne frühzeitig ins Bewusstsein der Leute zu rücken. Auch im Gestaltungsbeirat "spricht man über Themen, stellt sich den Fragen, und schon wenn man redet, findet eine Abstimmung statt". In Basel, erzählt er, habe er einmal über fünf Jahre für ein bestimmtes Projekt alle neun Monate Berichte verfasst, um dafür zu werben. In Deutschland steckten diese partnerschaftlichen Prozesse noch in den Anfängen, herrsche vielfach Misstrauen, vor allem gegenüber der Politik und ihren Absichten.

Das zu ändern, ist mit Aufgabe der Experten-Runde und des ebenfalls neu gegründeten Baukompetenzzentrums: Entsprechende Strukturen, die in Zukunft Interessierten Architektur über Vorträge, Veranstaltungen und Ausstellungen näher bringen, sollen entstehen. Leicht wird der Wandel indes nicht: Im Rathaus sind derzeit eher die Strategen am Werk: Sie versuchen, Entwicklungsziele mit Kennzahlen und Zielwerten zu belegen. "Doch soziale und kulturelle Aspekte lassen sind nur schwierig in Zahlen fassen", sagt Fingerhuth: Die Stadt sei nun mal keine leicht zu steuernde technische Maschine; sie habe vielmehr ihr eigenes komplexes und vielfältiges Leben.

"Schönheit kann man sowieso nicht zählen", warnt der Experte. Er weiß um die langsame Abkehr von der Moderne und dem Primat des Privaten, ihrer nüchternen Zeichenhaftigkeit. Die Stadt als Marke und Architektur als bloßes Zur-Schau-Stellen - kaum Zukunftskonzepte. Stattdessen gebe es - auch im Wohnungsbau - wieder ein Bedürfnis nach Schönheit und ein Interesse an Qualität. Generell sei man gut beraten, sinnlich-emotionale, ästhetische Qualitäten im Stadtraum zu beachten, die Identität sowie den unverwechselbaren Charakter eines Ortes zu wahren. Bei aller nötigen Veränderung sei es Aufgabe des Gestaltungsbeirates, die Stadt dabei zu unterstützen, dies zu respektieren. Und zu verhindern, dass "sich Politik nur mit der Wirtschaft verbindet".

In der Architektur sei der Drang nach einfachen Lösungen zwar immer noch nicht verklungen - und damit der Glaube, "nur groß und hoch bedeutet automatisch billig und urban". Die Zeit der Dogmen, der großen Wahrheiten - für Carl Fingerhuth ist sie vorbei. Für ihn lautet die Herausforderung längst: "Respektvolle Kreativität" - ein Abwägungsprozess, der auf Vertrauen und partnerschaftlichem Umgang basiere, den Meinungsstreit fördere. Abzuwägen gelte es, zwischen bewahren und gestalten, zwischen Einheitlichkeit und Widerspruch, zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig. Zuwenig führe zur morschen Stadt, zu viel zur heimatlosen. Dazwischen müsse man mutig und sorgsam Veränderungen gestalten, Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen.

"Die Städte brauchen Entscheidungen", sagt Fingerhuth am Ende noch und schnappt seinen Koffer. Zu Fuß geht's zum Hauptbahnhof, dann weiter mit der Bahn nach München: Dort wartet am nächsten Morgen schon die nächste Herausforderung als Gratwanderung zwischen Bewahren und Gestalten.

Redaktion Mitglied der Lokalredation, seit 1991 zuständig für den Bereich Mannheim-Mitte mit den Stadtteilen Innenstadt, Jungbusch, Neckarstadt-West und-Ost, Schwetzingerstadt, Oststadt, Neuostheim und Neuhermsheim.

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