27 Jahre lang hat er nach seiner Pensionierung als Nachlasspfleger im Notariat gearbeitet - und fragt man Freddi Schüttler (90) nach besonderen Momenten, skurrilen Geschichten, einzigartigen Gegenständen, lächelt er: Vor einigen Jahren habe er Briefe in der Hand gehalten, die Richard Wagner und Johannes Brahms einem Mannheimer Anwalt gesendet hatten. Er fand Rechnungen über Tausende Euro, die ein Lottogewinner aus dem Jungbusch in Kneipen auf den Kopf gehauen hat. Er erinnere sich auch gerne an Fotos zurück, oder an die Tagebücher-Einträge. Im ersten Jahr sei es beklemmend gewesen, in die Wohnungen und Anwesen fremder Verstorbener zu gehen und den Nachlass zu begutachten. "Doch irgendwann habe ich die Hemmschwelle überwunden. Dann wurde das zur Routine", erzählt Freddi Schüttler jetzt bei seiner Verabschiedung.
Quereinsteiger mit Gespür
Schüttler hat im Notariat das Erbe von Verstorbenen verwaltet, Erben benachrichtigt und Wohnungen aufgelöst. Vor seiner Pensionierung war er als Industriekaufmann bei Siemens tätig. "1989 haben mich Bekannte gebeten, mich um den Nachlass einer Verwandten zu kümmern. Ich habe den Fall spontan übernommen", erzählt Schüttler. Da alles reibungslos lief, sei das Notariat auf ihn zugekommen und habe ihm eine freie Mitarbeit angeboten.
Sein Büro hat der gebürtige Mannheimer zu Hause. Bis vor zehn Jahren habe er noch eine Schreibmaschine benutzt. "Doch dann kam die Einsicht, dass ich mich dem Fortschritt anpassen muss", so Schüttler. Heute stehen auf seinem Schreibtisch Laptop, Drucker, Faxgerät und ein Internetrouter. Petra Wabersich, die den ehemaligen Nachlasspfleger als Sachbearbeiterin im Notariat seit 21 Jahren kennt, zieht ein nahezu perfekt formatiertes Blatt Papier hervor - eingerückte Zeilen, fett markierte Begriffe, zentrierte Überschriften. "Für seine Berichte hat Freddi inhaltlich und formal die Messlatte sehr hoch gelegt. Kein Bericht wurde beanstandet", lobt Wabersich.
Kontakt zu Menschen
Seit 27 Jahren kam Schüttler jeden Donnerstag Punkt elf Uhr, bepackt mit seinem schwarzen Aktenkoffer und Papierschnellheftern, ins Notariat, um Fälle zu besprechen. "Wir haben uns für unsere Fälle immer Kosenamen ausgedacht", erinnert sich Notariatsmitarbeiterin Wabersich und schmunzelt. Zum Beispiel gab es "den Cowboy", einen amerika-begeisterten Mann, der sein Haus ganz im Stil einer Western-Ranch dekorierte - mit Blockhütten-Tapete, Tierfellen, Gewehren und Pferdesätteln an den Wänden.
Und dann war da Schüttlers wohl spektakulärster Fall: Ein kaufmännischer Angestellter, der während seiner Kriegszeit in Italien Klöster besuchte und zwei päpstliche Bullen von Papst Pius mitgenommen hat. "Die päpstlichen Urkunden waren noch original mit Blei versiegelt und lagen in seiner Wohnung auf dem Tisch", erinnert sich Schüttler. Heute sind sie im Archiv des Bistums Speyer.
Fragt man den 90-jährigen danach, was ihn am Beruf des Nachlasspflegers besonders reizte, wählt er seine Worte mit Bedacht: "Ich war ein tüchtiger Rentner und wollte den Kontakt zu anderen Menschen halten. Vor allem im Zusammenhang mit dem Erbe lernt man die gute und auch die schlechte Seite des Menschen kennen." Bei seiner Arbeit habe er gelernt, den Tod und auch das Leben aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Oft sei er erstaunt gewesen, wie armselig und sparsam Familien gelebt hatten, obwohl viel Geld da war.
Künftig Rosen schneiden
Für seine Zukunft hat der fitte Rentner mit seinen 90 Jahren nur kleine Pläne: das Klavierspielen wieder lernen, im Garten die Rosen schneiden, ab und zu mit Ehefrau Christel essen gehen. Doch nach der Verabschiedungsfeier wird zu Hause erst einmal die Ehrenurkunde der ehemaligen Kollegen aufgehängt. Besonders gefreut habe ihn das Kompliment des Notariatsdirektors Lutz Milzer. Der habe gesagt, er gehöre mit seinen 330 Nachlassverfahren gewissermaßen zum "Inventar des Notariats". Freddi Schüttler sagt es so, als sei dies das schönste Kompliment für einen Nachlasspfleger.
Nachlasspfleger
- Ein Nachlasspfleger sichert und verwaltet den Nachlass eines Verstorbenen.
- Zuerst verschafft sich der Nachlasspfleger einen Überblick über das Vermögen und die Schulden. Zu den weiteren Aufgaben zählen dann die Benachrichtigung der Erben oder die Begutachtungen und Kündigungen von Wohnungen.
- Ein Nachlasspfleger wird immer dann eingeschaltet, wenn es keine Verwandten gibt, die rechtlich ermächtigt sind, den Nachlass zu verwalten, wenn keine Erben bekannt sind oder wenn die Erben eine Erbschaft ablehnen.
- Stehen die Erben fest oder wurden alle Schulden bezahlt, endet die Tätigkeit des Nachlasspflegers.
- Nachlasspfleger werden vom zuständigen Nachlassgericht ausgewählt. Berufliche Voraussetzungen gibt es keine.
- Zum 31. Dezember 2017 wird das Notariat Mannheim aufgelöst. Das Nachlassgericht siedelt dann zum Amtsgericht über. (laro)
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