Handel - Noch bevor alle Straßenumbauten erledigt sind, fordern rund 100 Gewerbetreibende, das Projekt abzubrechen

Rund 100 City-Betriebe fordern in offenem Brief Ende des Verkehrsversuchs in Mannheim

Von 
Christian Schall
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Mannheim. Seit fast sechs Wochen ist die Freßgasse für den Durchgangsverkehr unterbrochen. Die Sperrung auf Höhe von P 1/Q 1 war die erste Teilmaßnahme des einjährigen Verkehrsversuchs in der Innenstadt. Teil zwei, die Fahrradstraße zwischen E 1 und E 2, ist ebenfalls realisiert. Mit den Umbauten am Stadthaus, die den Verkehr in der Kunststraße unterbrechen sollen, ist die Stadt auch schon weit gekommen. Ab 6. Mai soll alles fertig sein und die neue Verkehrsführung in der gesamten City gelten.

Doch solange wollten 103 Gewerbetreibende in der Nachbarschaft der betroffenen Straßen nicht warten. Am Mittwochmorgen haben sie einen von ihnen unterschriebenen Brief an Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) verschickt. In dem fast zweiseitigen Schreiben fordern sie das sofortige Ende des Verkehrsversuchs, „bis wieder etwas Ruhe eingekehrt ist, und der Mannheimer Einzelhandel sich von den Ereignissen in den letzten 4-5 Jahren in der Mannheimer Innenstadt erholt hat“.

Die Interessengemeinschaft nennt sich „Gruppe von Gewerbetreibenden zum überparteilichen Dialog mit der Stadt Mannheim bezüglich der Innenstadtentwicklung“. Bestand sie ursprünglich aus 17 Teilnehmern, die sich im August 2020 zusammengefunden haben, um „sinnvolle Impulse hinsichtlich der Innenstadtentwicklung im Rahmen der City-Werbegemeinschaft und anderen Institutionen einzubringen“, ist der Unterstützerkreis nun stark gewachsen. Auf der Unterschriftenliste finden sich Inhaber von Modegeschäften, Optikern, Friseuren, Schuhgeschäften, Juwelieren, Kosmetik- und Massagestudios, Blumenläden, (Döner-)Imbissen, Bäckereien, Cafés, Feinkostgeschäften, Telefonshops, aber auch jeweils eine Musikschule, Fahrschule und Apotheke sowie Arztpraxen.

„Existenzgefährdete Einbußen“

Die Gewerbetreibenden in der Freßgasse und der Kunststraße waren schon im Vorfeld keine großen Verfechter der geänderten Verkehrsführung. Doch jetzt, noch bevor alle Einzelmaßnahmen umgesetzt sind, erneuern sie ihre Kritik. Es sei „unverständlich“, dass ein Verkehrsversuch gestartet wurde, der „weitere existenzgefährdende Umsatzeinbußen mit steigender Tendenz verursacht“.

In den vergangenen fünf Jahren seien den Betrieben durch die Corona-Krise, den Planken-Umbau, bauliche Eingriffe in den Verkehr und nun den Ukraine-Krieg „immer wieder Hindernisse in den Weg gelegt“ worden. Die Erreichbarkeit der City habe sich durch Baustellen und die Sperrung des Fahrlachtunnels „drastisch verschlechtert“, jetzt komme die „schlecht durchdachte Verkehrsführung in der Innenstadt“ dazu. Und: „Die Maßnahmen in der Kunststraße zeigen noch nicht einmal ihre volle Wirkung.“

Wenige hätten diese Veränderungen unbeschadet überstanden, „so dass nur mit finanzieller Unterstützung Dritter oder Angreifen privater Reserven ein Fortbestand der Mehrheit der Geschäfte gewährleistet werden konnte“. Die tiefsten Löcher in die Finanzen hätten der Planken-Umbau und Covid-19 gerissen. Kritik gibt es am Gemeinderat, der den Verkehrsversuch im Herbst 2020 beschlossen hatte: „Die meisten der Gemeinderäte haben mangelndes Gespür für das Führen eines Einzelhandelsgeschäfts, respektive einer Gastronomie und die damit verbundenen Sorgen und Nöte. Sonst wäre so eine einschneidende, geschäftsschädigende Entscheidung für den Einzelhandel nie gefallen.“

Bürgermeister Ralf Eisenhauer (SPD). „Die Bedenken der Händler nehmen wir ernst, weshalb wir sie zu einem Gespräch einladen werden, um über den aktuellen Stand zu sprechen“, kündigt Hiss an.

Die Initiative verweist darauf, dass ein florierender Handel zu „tollen Gewerbesteuereinnahmen“ führt und Mannheim noch so attraktiv sei, dass die Kunden von weit her kämen, um einzukaufen oder zu essen. „Aber wenn selbst Essen nicht mehr geht, dann sollten alle Alarmglocken läuten.“

Bald erste Verkehrszählungen

„Ich sehe den Brief nicht als Affront oder Misstrauen“, erklärt auf Anfrage Lutz Pauels. Der Vorsitzende der City-Werbegemeinschaft war vorab über das Schreiben informiert und sagt: „Dass die Betroffenen auf ihre Probleme aufmerksam machen, ist ihr gutes Recht.“ Er bestätigt, dass weniger Menschen in die Stadt kämen und bei einigen Händlern auch die Umsätze rückläufig seien. „Das hat aber mehrere Ursachen, das allein auf den Verkehrsversuch zu schieben, wäre nicht korrekt.“

Trotzdem verhehlt Pauels nicht, dass ihm eine Verschiebung des Verkehrsversuchs auch lieber gewesen wäre: „Sicher ist es nicht der geschickteste Zeitpunkt. Aber es gab einen Gemeinderatsbeschluss, und den führt die Stadt nun aus.“ Der Verlauf müsse beobachtet werden, und bei großen Schwierigkeiten müsse der Verkehrsversuch abgebrochen werden.

Die Stadtverwaltung bestätigt am Nachmittag den Eingang des Schreibens. Die Entwicklung werde von der Verwaltung stetig beobachtet, in Kürze sollen erste Verkehrszählungen durchgeführt werden, sagt Corinna Hiss, Sprecherin des für den Verkehrsversuch zuständigen Dezernats von Bürgermeister Ralf Eisenhauer (SPD). „Die Bedenken der Händler nehmen wir ernst, weshalb wir sie zu einem Gespräch einladen werden, um über den aktuellen Stand zu sprechen“, kündigt Hiss an

Redaktion Redakteur in der Wirtschaftsredaktion

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