Mannheim. Karolin Arnold ist eigentlich nur zum Geburtsvorgespräch ins Mannheimer Klinikum gekommen. Weil sich ihr Baby in der 38. Schwangerschaftswoche noch nicht gedreht hat, geht es um einen Termin für einen Kaiserschnitt zwei Wochen später. Doch der Arzt Oliver Nowak stellt fest, dass die Gebärmutter schon zwei Zentimeter geöffnet ist.
„Ich hatte nichts gemerkt, keine Wehen, nichts“, berichtet die Frau später. „Am Abend davor war ich noch beim Frauenarzt, dort war noch alles fest verschlossen.“ Da sie 40 Minuten entfernt im Odenwald wohnt, ist Nowak eine Heimfahrt zu riskant. Er lässt die Schwangere zwei Stunden auf dem Klinikum-Gelände spazieren gehen, ob sich etwas tut. Anschließend bittet er sie, zur Sicherheit eine Nacht zu bleiben. Falls die Fruchtblase platzt, damit sich das falsch herum liegende Kind nicht auf der langen Fahrt ins Krankenhaus etwa beim Abrutschen mit der Nabelschnur stranguliert. Oder es zu einer in Beckenlage sehr komplizierten Sturzgeburt kommt.
Am nächsten Morgen, einem Samstag, hat sich der Muttermund nicht weiter geöffnet. Alles scheint okay zu sein. Aber Nowak empfiehlt Arnold noch eine Nacht im Patientenhaus. Bleibe alles so, könne sie am Sonntag nach Hause. Der Arzt erwähnt noch, dass er dann frei habe.
Am nächsten Morgen steht Nowak plötzlich wieder da. Er habe viel nachgedacht und ein schlechtes Gefühl bekommen. Daher wolle er das Baby nun lieber direkt per Kaiserschnitt holen lassen, Dienst habe ein sehr erfahrener Oberarzt. „Für mich erstmal ein Schock“, erzählt die Frau heute. Von „Zurück nach Hause“ zu „Heute werde ich Mutter“ sei ja ein riesiger Unterschied. Nach kurzem „Gedankenkarussell“ stimmt sie zu, ruft den werdenden Vater an und beordert ihn statt zum Abholen in den Kreißsaal. Wegen einiger Notfälle müssen sie bis zum Abend warten. Aber dann geht alles gut. Gerade so.
Neugeborenes hatte nur halb so viel Platz im Bauch der Mutter
„Was ich nicht wusste: Ich habe eine sehr seltene Gebärmutterfehlbildung“, berichtet die Frau. Ihr Sohn habe daher nur halb so viel Platz wie normal gehabt und zum Schluss den Muttermund quasi von innen mit den Füßen aufgedrückt. „Es war eine Frage der Zeit, wann die Fruchtblase geplatzt wäre.“ Und die Nabelschnur habe sich bereits zwei Mal ganz fest um den Hals gewickelt.
Karolin Arnold ist sich sicher: Ihr Sohn Junis, mittlerweile ein halbes Jahr alt, verdanke sein Leben einem „grandiosen Arzt“, der auf sein Bauchgefühl gehört und an seinem freien Tag eine solche Einsatzbereitschaft gezeigt habe. Nach ihrer Hochzeit schreibt sie Nowak eine Dankeskarte, „dass wir diesen Tag zu dritt feiern durften“. Der Arzt antwortet, er freue sich sehr. Solche Worte seien „Balsam für die Seele“, sonst werde ja fast nur Negatives geäußert. Das bewegt wiederum die Mutter, sich an den „MM“ zu wenden und den Fall publik zu machen.
Nowak ist das jetzt fast schon peinlich. „Ich glaube nicht, dass ich der heroische Retter des Kindes bin“, meint er. Erstens habe er ja nur seinen Job gemacht. Zweitens sei nicht gesagt, dass sich der Junge auf der Fahrt vom Odenwald nach Mannheim tatsächlich mit der Nabelschnur stranguliert hätte. Aber er freue sich sehr, dass alles gut gegangen und die Familie glücklich sei.
Doch so löblich es ist, an seinem freien Tag ein für die Arbeit wichtiges Bauchgefühl zu entwickeln: Wäre es als Arzt nicht auch geboten, mal abzuschalten, nicht an den Beruf zu denken? „Keine Sorge“, lacht Nowak. Er sinniere in seiner Freizeit keineswegs ständig über seine Patientinnen. Nur in diesem Fall habe er es eben glücklicherweise getan.
Arnold hat derweil auf die „MM“-Bitte nach einem Foto von ihr und Junis einen anderen Vorschlag: Sie komme lieber nach Mannheim gefahren, damit der Arzt mit aufs Bild könne. Nowak ist einverstanden. So endet die Geschichte voller Harmonie. Ist doch auch mal schön.
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