Mannheim. Macho Man Randy Savage, Yokuzuna, The Bushwhackers - und natürlich Hulk Hogan! Anfang und Mitte der 90er waren mein Bruder und ich riesige Fans des amerikanischen Show-Wrestlings: Kämpfe im Käfig oder der Royal Rumble, bei dem 30 Mann gleichzeitig im Ring gegeneinander antreten, bis der Gewinner übrigbleibt, schier unfassbare Fehden mit schockierenden Entwicklungen, epische Prügeleien, bei denen einer der Kontrahenten am Ende einen Stuhl über die Rübe gezogen bekommt. Die Live-Übertragungen aus den USA liefen im deutschen Fernsehen für uns Stöpsel damals zu spät. Also saßen wir am Tag danach vor der Glotze und zogen uns die Videos rein, die unser Papa extra aufgenommen hatte. Und dann sollte der Zirkus der World Wrestling Federation (WWF) nach Mannheim kommen!
Die Tour de Force - also die Tour der Gewalt - machte am 14. Juni 1995 Halt im damals noch nicht alten Eisstadion. Ich kann mir nicht erklären, warum, aber mein zwei Jahre jüngerer Bruder kann sich noch besser an das Event erinnern als ich. Fest steht: Wir waren mit unseren Eltern dort, die scheinbar noch weniger Erinnerungen an die choreografierte Gewaltorgie im Friedrichspark haben als wir. „Ich überlege gerade, wo wir geparkt hätten“, ist die erste und scheinbar drängendste Frage meines Vaters im Whatsapp-Familienchat, als ich nach ihren Erinnerungen frage.
In voller Montur am Ring
Wir haben die Szenerie im Eisstadion noch immer vor Augen. Nicht auf der Tribüne mussten wir sitzen, sondern auf Parkettplätzen, würde man im Kino sagen. Mittig. Vierte Reihe, würde ich schätzen, wenn ich mich heute, fast 27 Jahre später, festlegen müsste. Also ziemlich weit vorne. Doch gefühlt waren wir noch viel näher dran! All die Stars liefen neben uns ein, denn direkt rechts von uns führt der Weg aus den Umkleiden zum Ring. Als es nach den Pausen dunkel wurde, wussten wir: Jetzt kommt der nächste Kampf. Ob uns klar war, wer als Nächster zu seiner Melodie Richtung Ring marschieren würde, oder ob wir uns überraschen lassen mussten, weiß ich heute nicht mehr.
Mein Liebling jedenfalls war nicht dabei. Die Halle wurde nicht plötzlich stockdunkel, keine Friedhofsglocken läuteten und kein Totenlied erklang. Der Undertaker kämpfte diesmal nicht in Mannheim. Dabei saß ich sogar in meinem eigenen Undertaker-Kostüm auf dem Plastikstuhl in der Halle: ein an den Ärmeln zerrissenes T-Shirt, eine graue Krawatte vom Papa und einen von Mama geliehenen schwarzen Hut, der damals wohl 70 Mark gekostet hat, wie sie jetzt im Familienchat verrät. Abgerundet mit einem - ebenfalls von ihr geborgten - langen schwarzen Mantel und meinem professionellem Undertaker-Blick hätte ich in der Halle fast als Doppelgänger durchgehen können. Fast, denn schwarze Stiefel konnte ich genauso wenig auftreiben wie eine Urne, die Manager Paul Bearer bei Auftritten des Undertakers immer mit sich getragen hatte. Dafür musste ein Trinkbecher eines weltberühmten US-amerikanischen Plastikschüssel-Unternehmens herhalten. Meine jüngere Schwester mimte Manager Paul Bearer, der den Undertaker im Wrestling-Zirkus auf Schritt und Tritt begleitete. Und irgendwie zog ich mit dem Kostüm die Blicke im Eisstadion auf mich.
Die Tour de Force war eine von vier WWF-Wrestling-Shows in Mannheim. Zwei Jahre zuvor in der Maimarkthalle waren wir angeblich auch schon mit dabei, behauptet mein Papa. Schade, dass ich daran nicht mal mehr die kleinste Erinnerung habe. Denn damals stand der Undertaker im Ring, besiegte Papa Shango. Auch der Rest des Lineups dürfte bei allen, die damals Wrestling-Fans waren, Tränen der Nostalgie in die Augen treiben: Rick Martel, Nasty Boys, Million Dollar Man, The Bushwhackers, Bam Bam Bigelow und Ric Flair, der seinen Titelkampf gegen den „Hitman“ verlor. Wow! Doch nach der Tour der Gewalt im Friedrichspark ebbte meine Begeisterung ab. Bei den Wrestlemania-Revenge-Touren 2007 und 2013 der Nachfolge-Organisation WWE in der SAP Arena waren wir ganz sicher nicht mehr dabei.
Brille verschenkt, Hakushi besiegt
Aber warum eigentlich? Denn bei der 1995er Tour der Gewalt war einiges geboten im Friedrichspark. Es gab zwei Teamkämpfe. Okay, die Kontrahenten kenne ich heute nicht mehr. Auch nicht die beiden Frauen, die sogar einen Titelkampf im Ring ausgetragen haben. Alundra Blayze konnte ihren Titelgürtel (natürlich hatten mein Bruder und ich so ein Ding aus Plastik für unsere Kämpfe auf Matratzen zuhause!) gegen Bertha Faye verteidigen. Mit diesem Fakt kann ich aber nur dank des Internets auftrumpfen. Im Kopf habe ich den nicht mehr. Aber die letzten drei Kämpfe im Eisstadion hatten es in sich! An alle sechs Wrestler kann ich mich bis heute erinnern, bei zweien sogar daran, dass sie damals im Eisstadion aufeinander losgegangen sind. Adam Bomb besiegte in Mannheim King Kong Bundy, bevor Shawn Michaels gegen Irwin R. Schyster gewann. Ziemlich sicher ließ „Heartbreak Kid“ Michaels dem Finanzbeamten mit Aktenkoffer nicht den Hauch einer Chance - ich mutmaße aber nur.
Auf jeden Fall verteilte Shawn Michaels Küsschen und ließ die Herzen der Mannheimerinnen im Friedrichspark höher schlagen. Nur nicht das meiner Mutter - ihr Favorit kam im letzten Kampf des Abends in den Ring: Bret „The Hitman“ Hart. Auch so ein Fan-Liebling: „Bretty-Baby, du bist der König meines Herzens“, heißt es laut „MM“-Bericht von damals auf dem Plakat einer 14-Jährigen in der Halle. Im Ring machte der sympathische Kanadier dann Hakushi platt. Selbstverständlich erst, nachdem er während seines Einlaufs zu den Gitarrenriffs von „Hart Attack“ wie immer seine Sonnenbrille an ein Kind verschenkt hatte. Leider nicht an uns. Wir haben lediglich, und das beklagt mein Papa bis heute, den Schweiß der langhaarigen Gladiatoren abbekommen. Als Belohnung dafür, dass wir Tickets nah am Ring ergattert hatten, sozusagen. Wieso so viele Wrestlingsstars damals derartige Mähnen hatten, die bei Sprüngen vom obersten Seil, bei Legdrops und Closelines durch die Lüfte wehen und Schweiß verteilen? Die Frage bleibt unbeantwortet. Genauso werden wir wohl nie eine Antwort darauf bekommen, wo wir damals eigentlich geparkt hatten.
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