Mannheim. Sie nannten sich „Tina“, „Nemi“, „Nicki“ oder „Sasa“. In angemieteten Wohnungen in ganz Deutschland gingen die Vietnamesinnen, die illegal in Deutschland waren, anschaffen. Auf der Liste der Städte, in denen sie arbeiteten, stehen auch mehrere Wohnungen in Mannheim. 120 Euro pro Stunde nahmen sie von den Männern, die zu ihnen kamen. 10 Euro für „Extras“ – Sex ohne Kondom, Analverkehr. Einige von ihnen sollen laut Mannheimer Staatsanwaltschaft zur Prostitution gezwungen worden sein, andere hatten sich in eine schier ausweglose Situation manövriert.
Am Freitag hat vor dem Landgericht in Mannheim der Prozess gegen eine Frau und drei Männer begonnen, die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem schwere Zwangsprostitution vor. Im Zentrum der Anklage steht die Frau. Die Vietnamesin soll mehrere Frauen illegal nach Deutschland gelockt haben, offenbar mit dem Ziel, sie zu Prostituierten zu machen.
Die Frauen flogen laut Anklage zunächst von Vietnam über Dubai nach Ungarn, und von dort reisten sie weiter nach Deutschland. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft zahlten sie mal 15 000 Dollar, mal 20 000 Euro an die Schleuser. Die Rechnungen zahlten die Frauen später in Raten ab, indem sie ihre Körper verkauften.
Zwangsprostitution? Frauen mussten laut Anklage die Hälfte ihres Lohns abgeben
Doch die Angeklagte Thi N. agierte laut Staatsanwaltschaft nicht allein. Zwei Männer aus der Rhein-Neckar-Region sollen eng mit ihr zusammengearbeitet haben: Jörg W. aus Mannheim und Dierk Z. aus Frankenthal. Thi N. übernahm die Akquise der Frauen, alle organisatorischen Fäden liefen laut Anklage bei ihr zusammen – von der Anwerbung über die Reiseplanung bis zur Prostitution.
Ihr Mannheimer „Kollege“ soll unter anderem die Wohnungen, in denen die Frauen arbeiteten, angemietet haben. Auch gab er laut Anklage Anzeigen auf Vermittlungsportalen auf und mietete Fahrzeuge an, mit denen die Frauen von A nach B gefahren wurden. Für alle logistischen Aufgaben soll Dierk Z. zuständig gewesen sein – zum Beispiel chauffierte er die Frauen laut Anklage oder machte Besorgungen.
Die Frauen, die bis zu 20 Freier am Tag bedienten, gaben laut Anklage die Hälfte ihres Lohns ab, die andere Hälfte durften sie behalten, mussten davon aber noch Dierk Z. bezahlen, der sie gefahren haben soll.
Prozess um Zwangsprostitution vor Mannheimer Landgericht: Angeklagte agierte nicht allein
Die 38-jährige Angeklagte Thi N. sitzt in sich zusammengesunken zwischen ihren Verteidigern. Und wäre da nicht der Dolmetscher, der leise für sie ins Vietnamesische übersetzt, trüge sie nicht eine helle gestreifte Bluse, könnte man sie zwischen den Angeklagten und den Roben der Verteidiger fast übersehen. Thi N. ist die einzige Angeklagte, die zu Beginn des Prozesses schweigt – zu den Vorwürfen und dazu, wie es ihr im Leben ergangen ist.
Nicht so ihre mutmaßlichen Komplizen: Jörg W. (38) berichtet von einschneidenden Erlebnissen, der Trennung der Eltern, der Trennung von seiner langjährigen Freundin, Todesfällen. Von seiner Arbeit im Gartenbau, die er wegen einer Allergie aufgeben musste. Und den beruflichen Neuanfängen als Lagerist, Staplerfahrer und später als Fahrer.
Dierk Z. (48) spricht über seine Zeit im Kinderheim und die Rückkehr zu seinen Eltern, über das inzwischen „stabile“ Verhältnis zu seiner Familie und Jahre, die in seiner Erinnerung derart verblasst sind, dass er nur rätseln kann, wo er in einem bestimmten Zeitraum wohnte. Dann sagt er noch, er habe Jörg W. bei der Arbeit kennengelernt. Wie aus Kollegen mutmaßliche Komplizen wurden, was sie verband und antrieb, das bleibt zu Beginn des Prozesses schemenhaft, doch die Verteidiger schließen nicht aus, dass sich die Männer in den kommenden Wochen auch zu den Vorwürfen äußern werden.
Vierter Angeklagter legt im Prozess um Zwangsprostitution vor Mannheimer Landgericht Geständnis ab
Und dann sitzt da am Freitag noch ein weiterer Mann auf der Anklagebank: Heiko C., die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Raub vor. Im September 2024 soll er sich mit Jörg W. zusammengetan haben, um eine Prostituierte in Karlsruhe zu überfallen, über 10 000 Euro an Beute sollen sie sich erhofft haben. Am 5. September sollen beide an der Tür der Frau geklingelt haben – zuvor hatte einer der beiden sich als potenzieller Freier ausgegeben und im Netz einen Termin vereinbart. Im Flur zogen sie sich laut Anklage Sturmhauben über – und wurden in der Wohnung von Beamten eines Mobilen Einsatzkommandos festgenommen.
Heiko C. ist der einzige Angeklagte, der sich am Freitag zu den Anklagevorwürfen äußert. Er gesteht. Über seine Verteidiger Jenny Mohne und Timo Kettler lässt er eine Erklärung verlesen. Darin erzählt er, dass er Jörg W. eigentlich gar nicht gut kannte, er sei ein Bekannter gewesen. Im Spätsommer 2024 plagten C. Geldprobleme, er bekam Bürgergeld und stimmte zu, bei dem Überfall auf die Prostituierte mitzumachen, als „Drücker“, der die Frau einschüchtern sollte. „Das stimmt leider“, liest Mohne vor. Heiko C. sagt laut der Erklärung, dass er sich schäme, die Tat bereue. Und sich aufrichtig dafür entschuldigen wolle.
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