Mannheim. Vor dem Landgericht liegt ein stattlicher Weihnachtsbaum, an die drei Meter lang. Damit er am Freitag abgeholt werden kann, müsste man ihn nach den Vorgaben der Stadt Mannheim eigentlich auf die Hälfte kürzen. Aber bei dem dicken Stamm wäre das schwierig.
Und Aufgabe der Justiz ist es ja nicht, die grobe Axt oder gar eine Motorsäge zu schwingen. Vielmehr ist Fingerspitzengefühl angesagt. Was das in diesem Fall heißt, offenbart ein Schild in Sitzungssaal 1. Vorsorglich hängt es schon zum Prozessbeginn um 9 Uhr drinnen. Eine halbe Stunde später, nach Verlesung der Anklageschrift, wird es dann an seinem Bestimmungsort draußen an der Tür befestigt. Darauf steht: „Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen.“
Das hat der Verteidiger des 25-jährigen Angeklagten beantragt. Mit Verweis auf die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten, der unter paranoider Schizophrenie leidet und seit einer Messerattacke auf AfD-Lokalpolitiker Heinrich Koch im Juni 2024 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist. Dort soll er nun nach dem Willen der Staatsanwaltschaft dauerhaft bleiben.
Tatvorwurf: Versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung
Zu Prozessbeginn macht der Angeklagte auf Aufforderung von Gerd Rackwitz, Vorsitzender der Großen Strafkammer, ein paar knappe Angaben zur Person: geboren im April 1999 in Mannheim, keine Berufsausbildung, mittlerweile in der geschlossenen Einrichtung und unter rechtlicher Betreuung.
VideoAngriff auf AfD-Kandidat in Mannheim
Dann bekommt Staatsanwältin Melanie Reichardt das Wort. Sie schildert den Tathergang. Am 3. Juni vorigen Jahres, einem Dienstag, habe der 25-Jährige gegen 22.30 Uhr auf der Rheinau mehrere AfD-Wahlplakate abgerissen. Koch, von einer Veranstaltung in einem Lokal in der Relaisstraße zufällig vorbeigekommen, sei dem 25-Jährigen nachgegangen und habe ihn aufgefordert, die Plakate niederzulegen. Dabei habe er mehrfach „Hinlegen!“ und „Polizei!“ gerufen. Daraufhin habe der Angeklagte unvermittelt mit einem Cuttermesser, besser bekannt als Teppichmesser, gezielt in Richtung Kopf des ihm unbekannten AfD-Mannes gestochen. Koch sei ausgewichen, aber an zwei Stellen leicht verletzt worden.
Reichardt berichtet von einer fünf Zentimer breiten und einen Zentimeter tiefen Wunde am Ohr, die in einem Krankenhaus genäht werden musste. Außerdem habe der 62-Jährige einen drei Millimeter tiefen Stich in den Bauch erlitten, der nicht lebensbedrohlich gewesen sei. Gleichwohl habe der 25-Jährige eine tödliche Verletzung zumindest billigend in Kauf genommen. Daher werde ihm versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Last gelegt.
„Zwar war der Angeklagte in der Lage, das Unrecht der Tat zu erkennen“, so die Staatsanwältin. „Aber nicht, danach zu handeln.“ Weil von ihm weitere Straftaten zu erwarten seien, mache ihn das zu einer Gefahr für die Allgemeinheit.
Im laufenden Wahlkampf soll Koch keine Plakate mehr aufhängen
Der stellvertretende AfD-Kreisvorsitzende Rüdiger Ernst teilte dem „MM“ auf Anfrage mit: „Heinrich Koch leidet noch an den Folgen der Messerattacke, er wird daher keine Plakate mehr im Wahlkampf aufhängen, sondern nur an den Podiumsdiskussionen teilnehmen.“
Zum Prozess ist der AfD-Bundestagskandidat nicht erschienen. „Er wurde nicht eingeladen“, sagt Ernst, der unter den Zuschauern sitzt. Später heißt es von Anwalt Stefan Wildemann, der Koch als Nebenkläger vertritt, dazu telefonisch, sein Mandat habe eine Ladung als Zeuge nicht erhalten. Zum nächsten Termin am 22. Januar werde er kommen. Vier Verhandlungstage sind angesetzt, der letzte ist für den 4. Februar vorgesehen. Die Öffentlichkeit bleibt jetzt allerdings bis zur Urteilsverkündung ausgeschlossen.
Der Fall sorgte bundesweit für große Aufmerksamkeit. Er ereignete sich vier Tage nach dem Anschlag auf dem Marktplatz, wo der Polizist Rouven Laur erstochen wurde. Obwohl beide Taten nichts miteinander zu tun hatten, gingen erneut die Schlagworte „Mannheim“ und „Messerattacke“ durch die Medien.
Die AfD stufte die Tat als politisch motiviert ein
Das Polizeipräsidium erklärte dann direkt am Tag nach dem Angriff auf Koch, dass der - nach kurzer Flucht auf der Rheinau festgenommene - 25-Jährige deutliche Anzeichen einer psychischen Erkrankung aufweise und in eine entsprechende Einrichtung gebracht worden sei.
Dennoch wertete die AfD die Tat als politisch motiviert. Bei einer Kundgebung auf dem Paradeplatz äußerte Ernst vom Rednerpult Zweifel daran, dass die Polizei so schnell zu einer Diagnose gekommen sei. Das verwundere ihn nach wie vor, meint er nun. „Ein fundiertes medizinisches Gutachten kann nicht mal eben so über Nacht erstellt werden.“ Aber auch eine psychische Erkrankung schließe eine politische Motivation nicht aus. „Der Täter hat gezielt und planmäßig AfD-Plakate zerstört, eine linksextreme Gesinnung ist daher naheliegend.“
Der Stadtrat fragt sich auch, was mit möglichen anderen Beteiligten ist. Im Polizeibericht hieß es damals, beim Plakate-Abreißen hätten zwei weitere Personen mitgemacht, die unerkannt geflohen seien. Ernst will sich später bei Kochs Nebenkläger-Anwalt erkundigen, was dazu im Gerichtssaal vorgetragen wird.
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