Mannheim. Der Gerichtssaal ist genau so voll, wie er es in Coronazeiten sein darf. Mehr geht nicht. Weitere Zuschauer müssen draußen bleiben, sie warten vor der Tür. Niemand kann glauben, dass sich die Szenen, die der Oberstaatsanwalt in der Anklage beschreibt, tatsächlich in dem Kellerraum eines Wohnhauses auf der Rheinau abgespielt haben. Ende April soll der 23-jährige Angeklagte bei einem Trinkgelage seinen Kumpel so lange in den Schwitzkasten genommen haben, bis er erstickte.
Sein ebenfalls angeklagter 30-jähriger Bekannter soll ihm dabei zugesehen und „den Todeskampf“, wie es Oberstaatsanwalt Peter Lintz beschreibt, teilweise mit seinem Handy gefilmt haben. Und er sei erst dazwischengegangen, als es zu spät war. Nachdem der Angreifer geflüchtet sei, habe der 30-Jährige dem leblos am Boden liegenden Opfer den Geldbeutel aus der Tasche gezogen und dann die Rettungskräfte informiert.
Stille im Gerichtssaal
Ein abfälliges Stöhnen kommt aus den Zuschauerreihen, als der Oberstaatsanwalt die Szene beschreibt. Mehr als zwei Promille habe man kurz nach der Tat beim 23-jährigen Angeklagten gemessen, mehr als 0,6 Promille bei dem 30-Jährigen, beim Opfer sei ein Blutalkoholwert von 1,6 Promille gemessen worden, sagt Lintz noch. Dann ist es ruhig im Saal. Der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz unterbricht die Stille. Jetzt darf der Mann sprechen, der sich wegen Totschlags vor Gericht verantworten muss.
Er kündigt an, sich nicht zu den Vorwürfen zu äußern, wohl aber zu seinem Lebenslauf. Der schmächtige Deutsche wirkt nervös. Ein hellblaues, schickes Hemd trägt er, Seitenscheitel. Er redet leise, zurückhaltend, macht kurze Sätze, überlegt lange. 23 Jahre ist er alt. „Bis zum Abi war alles gut“, sagt er, „da war mein Leben strukturiert“. Notendurchschnitt 1,6. Danach direkt an die Uni – Wirtschaftsinformatik. Da sei Alkohol längst ein Thema gewesen. Und seine Depressionen. Mehrmals habe er sich einweisen lassen, machte einen Entzug, wurde medikamentös eingestellt. Immer wieder machte er Pläne, immer wieder stürzte er ab. Kiffte, soff, brach bald auch das zweite Studium ab. „Ich habe meine depressive Stimmung mit Alkohol betäubt. Für mich war mein persönliches Versagen nur mit Alkohol aushaltbar“, berichtet er. Kurz vor der Tat habe es schon mal eine Eskalation im Rausch gegeben, sagt er noch, da habe er zwei Flaschen auf den Kopf bekommen. „Das war’s“. Mehr will er nicht sagen.
Der 30-jährige Mitangeklagte gibt über seinen Anwalt Thomas Dominkovic eine Erklärung ab: „Der Sachverhalt, so wie ihn die Anklage beschreibt, ist zutreffend. Umfassend.“ Mehr gebe es dazu nicht zu sagen. Den Lebenslauf schildert sein Mandant selbst. Er habe einen Hauptschulabschluss, sei ausgebildeter Landschaftsgärtner, zurzeit arbeitete er als Zimmermann. Alkohol trinke er nur am Wochenende, mit Drogen habe er nichts zu tun. Wegen unterlassener Hilfeleistung, Unterschlagung und Verletzung von Persönlichkeitsrechten muss er sich nun verantworten.
Nach der Mittagspause wird der Prozess fortgesetzt. Wieder sitzen viele Leute im Saal. Freunde, Bekannte, Verwandte. Der Richter kündigt an, dass er nun die Videosequenzen der Tatnacht zeigen werde. Einige gehen sofort, andere bleiben. Aber auch sie verlassen wenige Minuten später den Saal, können nicht aushalten, was sie sehen.
Die Eltern und die Schwester des getöteten 28-Jährigen ahnten wohl, dass es ihnen ähnlich gehen würde. Sie treten beim Prozess als Nebenkläger auf, haben sich aber kurzfristig entschieden, nicht vor Gericht zu erscheinen. Opferanwältin Sabrina Hausen vertritt die Familie und weiß, was ihr wichtig ist: „Sie suchen nach Antworten, sie können nicht begreifen, wie ein Abend mit Kumpels so eskalieren konnte.“ Die Eltern seien am Tatabend im Haus gewesen, hätten aber erst davon erfahren, als die Polizei kam und ihr Sohn schon tot war. Bis heute sei ein normaler Alltag nicht möglich, sagt Hausen. Die Familie könnte vor Gericht Schmerzensgeld einfordern. Aber: „Sie wollen kein Geld, sie wollen nur Antworten.“ Am Montag geht der Prozess weiter.
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