Foodsharing

Produkt-Retter eröffnen Laden in Mannheim

Von 
Tanja Capuana
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Ab Montag im Einsatz (v.l.): Nicolas Rodriguez, Roman Kress und Björn Moschinski eröffnen auf dem Lindenhof den „Rettermarkt“. © Kress/Fenner

Mannheim. Lebensmittelverschwendung ist für Roman Kress ein Reizthema. „In Deutschland landen 50 Prozent der Lebensmittel im Müll, bevor sie überhaupt in den Handel kommen“, erklärt er. Der Gastronom geht nun aktiv dagegen vor. Auf dem Lindenhof eröffnet er einen Supermarkt mit Waren, die nicht mehr in den Einzelhandel kommen, aber noch einwandfrei sind. Er kauft den Erzeugern die Produkte zu einem günstigeren Preis ab. So verhindert er, dass die Hersteller Lebensmittel vernichten müssen. Gleichzeitig können seine Kunden die Ware preiswerter erwerben. Ein ähnliches Konzept gibt es bereits in Berlin.

Viele pflanzliche Produkte

In der Meerfeldstraße 32 hat der 33-Jährige das passende Objekt für sein Herzensprojekt gefunden. Mit im Boot sind seine Geschäftspartner Björn Moschinski und Nicolas Rodriguez. Palettenweise Ramschprodukte soll es im „Rettermarkt“ nicht geben. „Wir wollen überwiegend Bio-Lebensmittel, je nachdem, wie das Angebot gerade ist.“ Darunter seien viele pflanzliche Produkte. Es gibt verschiedene Gründe, warum die Ware in den „Rettermarkt“ kommt, sagt Kress. Einer davon ist eine Mindesthaltbarkeit, die für den Handel zu kurz sei. Auch Gemüse und Obst, das auf dem Mannheimer Großmarkt nicht umgesetzt werden kann, kauft Kress. Sein Sortiment sei daher nicht zwingend saisonal oder regional. Auch Pomelos aus China beispielsweise, die aufgrund des Transports eine schlechte CO2-Bilanz haben, aber nicht verkauft wurden, gibt er eine zweite Chance. Im „Rettermarkt“ landen zudem falsch etikettierte Kosmetika, krumme Gurken oder Güter, deren Verpackungen Dellen haben. Teilweise werden die geretteten Lebensmittel auch in den Restaurants von Kress verarbeitet. Denn Essen in Großverpackungen seien für den Endverbraucher zu viel. Auch andere Gastronomen könnten von den Produkten profitieren.

Essen retten

  • Jedes Jahr werden in Deutschland rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Rund 18 Millionen Tonnen kommen nie in den Handel, weil etwa das Mindesthaltbarkeitsdatum zu kurz ist.
  • Roman Kress eröffnet am Montag den „Rettermarkt“ in der Meerfeldstraße 32 (Lindenhof). Der 80 Quadratmeter große Laden ist montags bis samstags von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Dort wird einwandfreie Ware verkauft, die nicht mehr von Supermärkten angenommen wird. Kontakt auf Instagram: derrettermarkt.
  • In Mannheim ist seit 2014 der Verein Foodsharing aktiv. 473 Unterstützer holen Essen bei Supermärkten und Restaurants ab, das sonst weggeworfen würde.

Eine Besonderheit sei das wechselnde Sortiment. Der Laden soll ein breites Spektrum an Aktionsware bieten. „Man bekommt immer hochwertige Produkte aber nicht immer das gleiche oder vom selben Hersteller“, kündigt Kress an. Außerdem gelte für den Rettermarkt das „Tafel-first-Prinzip“, was bedeutet, dass erst die Tafel und die Foodsharing-Gruppen den Vorrang bekommen, bevor die Produkte abgenommen werden.

Denn auch der Verein Foodsharing, zu Deutsch: Lebensmittel teilen, rettet in Mannheim seit 2014 Waren, um die natürlichen Ressourcen zu schonen. „Foodsharing an sich nennt sich eine Umweltbewegung“, sagt Vorstandsvorsitzende Carolina Fenner. Zudem betreibt der Verein Bildungsarbeit, um auf Lebensmittelverschwendung hinzuweisen. „Wir haben in Mannheim im Durchschnitt bereits 930 000 Kilogramm Lebensmittel gerettet“, sagt sie stolz. Kooperationen hat der Verein aktuell mit 48 Betrieben. Tendenz steigend.

„Wir retten nicht nur in Supermärkten, sondern auch bei Caterern, Imbissen, Restaurants, Schulkantinen, Bäckereien und Wochenmärkten“, so Fenner: Mit dem jeweiligen Betrieb werde vereinbart, wie oft jemand dort Ware abholt. „Wenn es möglich ist, retten wir ohne Auto, um das Essen klimaschonend abzuholen.“ Im Gegensatz zu Kress erhalten sie die Ware unentgeltlich. „Die Lebensmittel werden in Kisten für uns hingestellt. Dann sortieren wir und nehmen alles mit, was noch verzehrbar ist“, erklärt die Vorstandsvorsitzende. Die Foodsaver nutzen das Essen selbst oder verschenken es. Vieles werde auch in sogenannte Fairteiler gebracht. „Das sind drei Schränke in Mannheim, in denen wir Obst, Gemüse, Brot und Trockenware öffentlich zugänglich machen. Die Ware kann jeder nehmen.“

Kochen, was es gibt

Foodsaver könne jeder werden, sagt Fenner. Auf der Internet-Plattform www.foodsharing.de. könne man Teams beitreten. Aufgrund von Corona sei die Mitgliederzahl gestiegen, berichtet sie. Ob es daran liege, dass die Leute sparen möchten oder mehr Zeit haben, wisse sie allerdings nicht. „Gleichzeitig wird weniger abgeholt, da viele Restaurants geschlossen sind.“

Beim Retten wisse man nie, was einen erwarte. „Hauptsächlich retten wir Obst, Gemüse und Backwaren. In Supermärkten gebe es viel Molkereiprodukte oder Fleisch. Man muss auf alles vorbereitet sein und lernt, spontan Lebensmittel zu verarbeiten und das zu kochen, was es gibt“, sagt Fenner. Sie selbst ist seit fünf Jahren Foodsaverin: „Ich bin über einen Fairteiler gestolpert, als ich noch in einer Studenten-WG gewohnt habe.“

Freie Autorin Kulturredaktion, Lokalredaktion, Wochenende. Schwerpunkte: Bunte Themen, Reisereportagen, Interviews, Musik (von elektronischer Tanzmusik bis Pop), Comedy und Musicals

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