Meßplatz - Mehrere hundert Menschen – zumeist Frauen – demonstrieren gegen Verschärfung des Abtreibungsrechts in ihrer Heimat

Polnische Proteste in Mannheim

Von 
Dieter Leder
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Polnische Frauen und Männer demonstrierten auf dem Alten Meßplatz gegen die Regierungspartei in ihrer Heimat. © Dieter Leder

Eine geköpfte Ente wird zum Star der Demonstration auf dem Alten Meßplatz: Als Malgozata Szal den Entenkopf in die Höhe streckt und ihre Freundin Marta Sadurska den gerade abgetrennten Torso präsentiert, bricht tosender Beifall und Jubel unter den Menschen los. Es handelt sich bei dem Tier um eine Deko-Ente aus Blech, doch ihre Botschaft kam trotzdem an: Sie würden dem Enterich gerne den Kopf abreisen – und mit dem Enterich meinen die Demonstranten den stellvertretenden polnischen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski, dessen Name sich von den dem polnischen Wort kaczka ableitet, übersetzt: Ente. Aber warum wird der stellvertretende Ministerpräsident Polens das Feindbild mitten in Mannheim?

„Niemand darf mir sagen, was wer darf“, fasst Malgozata Szal ihren Protest zusammen: „Wir wollen, dass alle Frauen selbst entscheiden.“ Es geht um das polnische Abtreibungsrecht, das die Regierungspartei PiS seit Jahren gerne dahingehend verschärfen würde, dass Abtreibungen nur noch bei Lebensgefahr für die Schwangeren zulässig sind – also so nur noch in seltenen Ausnahmefällen. Kaczynski ist Vorsitzender er nationalkonservativen Partei, der bisher die Mehrheit fehlte, ihren Plan umzusetzen. Eingebracht war die Gesetzesvorlage schon vor Jahren – und bereits damals lösten sie landesweite Gegenproteste in Polen aus.

Doch Hilfe für die Verschärfung des Abtreibungsrechts bekam die PiS nun Ende Oktober vom obersten polnischen Verfassungsgericht. Das urteilte, dass das ohnehin schon strenge Abtreibungsrecht noch verschärft werden müsse. Seit dem 22. Oktober erlebt Polen plötzlich wieder Proteste, Tausende Menschen gehen auf die Straße, der Rote Blitz ist wieder zu neuem Leben erwacht. Der Rote Blitz ist das Symbol der Protestaktion selbstbewusster Frauen, die selbst über ihre Schwangerschaft entscheiden wollen. Längst sind die Demonstrationen nicht mehr nur auf Polen beschränkt, am Sonntag kamen mehrere hundert meist polnische Frauen aus der gesamten Metropolregion auf dem Alten Meßplatz zusammen.

Der Ton ist bestimmend und rau auf der Mannheimer Demonstration. Unterstützung bekommen die zumeist polnischen Frauen von zahlreichen Autofahrern, die hupend und auch fahnenschwenkend um den Meßplatz herum fahren und sich solidarisch zeigen. „Das ist ein wichtiges Zeichen für uns“, sagt Kinga Ratajczyk, „und es ist ein wichtiges Zeichen für die Leute in Polen.“ Es geht dabei bei Weitem nicht mehr nur um das Abtreibungsrecht, es ist ein Kampf gegen ein nationalkonservatives katholisches Weltbild, das von der als rechtspopulistischen und EU-skeptisch eingestuften Regierungspartei noch verschärft werden soll: „Wir wollen in der EU bleiben“, fordert Ela Wiankowska auf der Demonstration. Und weiter: „Wir brauchen Hilfe und Unterstützung von Europa.“

Kurzfristig vorverlegt

Ratajczyk hält spontan eine kurze Rede, in der sie daran erinnert, dass Frauenrechte auch Menschenrechte sind und in der sie für die Solidarität und die Unterstützung der Menschen in Polen aufruft: „Wir wollen eine laute Stimme sein, wir wollen gehört werden.“ Dass sie gehört werden können, hat sie Ewa Lerch und Natalia Widra zu verdanken: „Ich wollte schauen, wo ich hier in Mannheim protestieren kann“, sagt Widra. Da sie nichts fand, hat sie selbst eine Demo organisiert und sie wegen des angekündigten Lockdowns kurzfristig noch vorverlegt.

Der Wunsch, sich mit den Landsleuten in der Heimat solidarisch zu zeigen, die eigene Meinung zu äußern und sich für Grundrechte einzusetzen, ist für viele Polen aktuell ein wichtiges Anliegen, wie die Resonanz am Sonntag zeigt: Es sprach sich schnell herum in der polnischen Gemeinschaft, immer mehr Demonstranten schlossen sich kurzentschlossen der Bewegung mit ihren Protestplakaten an: „Wir sind froh, dass wir auch die Unterstützung der Männer haben“, sagt Organisatorin Lerch. Symbolisch wird der friedliche Demonstrationszug von zwei Männern angeführt. „Die Leute haben eine Wut“, so Lerch weiter, „und sie wollen die Leute in Polen mit ihrem Protest unterstützen.“ Es wird nicht der letzte Protest gewesen sein, da sind sich die Organisatoren sicher: „Wir werden mehr und lauter, und wir kommen wieder.“

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