Wahl am Sonntag

Politikwissenschaftler: Mannheimer OB-Wahl "sehr umkämpftes, offenes Rennen“

Der Mannheimer Politik-Professor Marc Debus nennt den Oberbürgermeister-Wahlkampf sehr spannend. Auch die vielen Plakate findet er gut, allerdings nicht von allen Bewerbern

Von 
Steffen Mack
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Die vielen Wahlplakate – wie hier in der Fressgasse – deuten laut Politik-Professor Marc Debus auch darauf hin, dass die Protagonisten alles ihnen Mögliche tun, um zu gewinnen. © Bild Thomas Troester

Herr Professor Debus, wie finden Sie den OB-Wahlkampf? Spannend oder eher langweilig?

Marc Debus: Langweilig ist er auf keinen Fall, sondern sehr spannend. Ich glaube, der Ausgang ist ziemlich offen. Schon die Kandidatenauswahl fand ich spannend.

Inwiefern?

Debus: Interessant fand ich etwa, dass die Grünen als stärkste Fraktion im Gemeinderat am längsten gebraucht haben, jemanden zu finden. Und dass der dann auch relativ lange gebraucht hat, die nötigen Unterschriften zusammenzukriegen.

Eigentlich darf es für die größte Fraktion in einer 320 000-Einwohner-Metropole überhaupt kein Problem sein, 250 Unterschriften einzusammeln, oder?

Debus: Genau, das sollte völlig unkompliziert und schnell gehen. Insofern deutet auch das darauf hin, dass bei der Kandidaten-Findung bei den Grünen nicht alles optimal gelaufen ist.

Der Wissenschaftler Marc Debus



  • Geboren wurde Marc Debus 1978 im hessischen Biedenkopf.
  • Er studierte in Marburg und Mannheim Politikwissenschaft sowie Soziologie.
  • Debus ist Projektleiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung und an der Universität Professor für Vergleichende Regierungslehre.

Was finden Sie noch spannend?

Debus: Dass die drei aussichtsreichsten Kandidaten alle in lokalpolitischer Verantwortung stehen. Einer als Kandidat der SPD, die den bisherigen Oberbürgermeister stellt, sowie als Fraktionschef im Gemeinderat. Dort gehört auch der Grünen-Kandidat zur gestaltenden Mehrheit, und der dritte Bewerber ist ja sogar seit 2005 Bürgermeister. Was im Gegensatz zu anderen Wahlen dagegen diesmal fehlt, ist ein klassischer Oppositionskandidat einer großen Partei.

Merkt man das dem Wahlkampf nicht vielleicht auch negativ an?

Debus: Das sehe ich nicht so. Es gibt durchaus noch größere programmatische Unterschiede. Das zeigt sich etwa am Kandidat-O-Mat. Da war ich bei der Zusammenstellung der Thesen beteiligt, und die Kandidaten haben sich ganz unterschiedlich positioniert. Und selbst wenn sie mal einer Meinung sind, kann auch das eine große Aussagekraft haben.

Haben Sie da ein Beispiel?

Debus: Alle haben sich für Ganztagsbetreuung in Kitas ausgesprochen. Das ist für einen Christdemokraten nicht selbstverständlich, aber in einer Großstadt wie Mannheim, wo Kita-Plätze leider generell Mangelware sind, die richtige Taktik.

Was finden Sie noch auffällig?

Debus: Die vielen Plakate. Es gibt ja fast keinen Straßenzug, wo die nicht hängen. Das zeigt, dass es ein sehr umkämpftes, offenes Rennen ist. Herr Riehle und Herr Specht haben ja auch schon früh mit Plakaten auf sich aufmerksam gemacht.

Dabei haben sie aber die Regeln großzügig ausgelegt. Thorsten Riehle verkaufte „viel Spaß auf der Buga“ als politische Aussage . . .

Debus: Ja, vor allem für ihn war wichtig, seine Bekanntheit zu steigern.

Und Christian Specht plakatierte schon vor der Sechs-Wochen-Frist einen seinem Namen nicht unähnlichen Vogel. Dafür wurde der Ordnungsbürgermeister auch in Leserbriefen kritisiert. Kann so etwas nach hinten losgehen?

Debus: Möglicherweise sind diejenigen, die sich daran stören, ohnehin mit der Lokalpolitik unzufrieden. Generell ist es schon sinnvoll und legitim, wenn Kandidaten oder Parteien im öffentlichen Raum für sich und ihre Ziele werben.

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Was auch auffällt, ist der freundliche Umgang miteinander. Tritte gegen das Schienbein gibt es, wenn überhaupt, nur im Verborgenen. Ist das auch Ihr Eindruck?

Debus: Ja. Die SPD hat zwar einmal kritisiert, dass Herr Specht mit seinen Auftritten als Erster Bürgermeister unzulässig Wahlkampf betreibe. Aber ansonsten geht es in der Tat wenig konfrontativ zu.

Wenn Sie den Blick über Mannheim hinaus richten: Ist der nette Umgang miteinander hier im Wahlkampf ungewöhnlich, oder entspricht das dem Zeitgeist?

Debus: Es liegt am Naturell der Beteiligten und daran, dass kein AfD-Kandidat antritt. Sobald das der Fall ist, geht es im Wahlkampf sehr viel aggressiver zu. Etwa zuletzt im Thüringer Landkreis Sonneberg, wo ein AfD-Mann im ersten Durchgang fast die absolute Mehrheit geholt hätte.

Worauf führen Sie es zurück, dass die Mannheimer AfD niemanden aufgestellt hat? Organisatorische Defizite des Kreisverbands?

Debus: Das und die innere Zerstrittenheit, die es da ja offenbar gibt.

Unter den insgesamt Acht, die am Sonntag kandidieren, steht nur Specht nicht links von der Mitte. Doch innerhalb der CDU zählt er nicht zu den Konservativen. Bedeutet das nicht auch, dass ein Teil der Wahlberechtigten sich nicht vertreten fühlen dürfte?

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Debus: Ja, diese Menschen könnten dazu tendieren, der Wahl fernzubleiben. Zumal Herr Specht als Erster Bürgermeister auch für die bisherige Politik der Stadtspitze steht.

Was verheißt das für die Wahlbeteiligung?

Debus: Ich rechne nicht damit, dass die Wahlbeteiligung geringer sein wird als beim letzten Mal, da gab es auch schon keinen rechtspopulistischen Kandidaten. Diesmal spricht vor allem der völlig offene Ausgang – es tritt ja auch der Amtsinhaber nicht mehr an – für eine höhere Wahlbeteiligung.

Tun das auch die sehr vielen, großteils gut besuchten Wahlforen?

Debus: Absolut. Es zeigt, dass ein großes Interesse an den Kandidaten und deren Angeboten besteht. Und je besser die Bürger informiert sind, desto eher sind sie in der Lage, gut informierte Entscheidungen zu treffen.

Wie beurteilen Sie generell die Performance der Bewerber? Sticht jemand positiv oder negativ heraus?

Debus: Nein, ich finde, dass sie alle einen guten Job machen. Die Beteiligten tun alles ihnen Mögliche, um zu gewinnen, auch davon zeugen ja die vielen Plakate.

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Der Grüne Raymond Fojkar ist auf vielen seiner Plakate gar nicht zu sehen, sondern andere Menschen mit individuellen Wünschen. Müsste gerade ein eher unbekannter Kandidat nicht auch mit seinem Konterfei sein Profil schärfen?

Debus: Als ich zum ersten Mal an einem dieser Plakate vorbeigefahren bin, habe ich mich verwundert gefragt: „Ist das Herr Fojkar?“ Das ist schon irritierend. Auch bei den Slogans auf den Plakaten wird nicht klar, ob das jetzt auch seine Positionen sind oder die der Abgebildeten.

Klare Botschaften sind aber auch bei Plakaten von CDU und SPD eher nicht zu erkennen, oder?

Debus: Stimmt, aber man versucht, Assoziationen herzustellen. Wenn etwa bei Herrn Riehle nur „sozial“ oder „Wohnungsbau“ steht, dann soll dieser Begriff mit ihm verbunden bleiben. Damit hat die SPD bei der Bundestagswahl 2021 auf den Plakaten von Olaf Scholz sehr gute Erfahrungen gemacht. Und Herrn Spechts „Dein Mannheim kann . . .“

Über das sich auch schon Leser beschwert haben, die nicht von ihm geduzt werden wollen …

Debus: Mag sein, aber das ist eine moderne, nicht ungeschickte direkte Ansprache an die Wähler, die Distanzen abbauen kann und gerade Menschen außerhalb des bürgerlichen Lagers ansprechen soll, die ein CDU-Kandidat in einer Stadt mit einer Tradition linker Mehrheiten gewinnen muss. Allerdings muss sich Herr Specht natürlich auch die Frage gefallen lassen, warum Mannheim so viel mehr können müsste, obwohl er doch schon seit 2005 als Bürgermeister in der Verantwortung steht.

Und nun zur Frage aller Fragen: Wer wird die Wahl gewinnen?

Debus: Wie gesagt: Ich halte es für ein offenes, spannendes Rennen.

Da sich das linke Lager gegenseitig Stimmen wegnehmen wird, Specht dagegen auch von Mannheimer Liste und FDP aufgestellt wurde, wäre es keine große Überraschung, wenn er nach dem ersten Wahlgang vorne läge, oder?

Debus: Nimmt man zum geschlossenen bürgerlichen Lager hinter ihm noch seine wohl recht hohen Bekanntheits- und Beliebtheitswerte hinzu, ist er zumindest in einer sehr guten Ausgangslage. Ich könnte mir in der Tat vorstellen, dass er nach dem ersten Wahlgang vorne liegt.

Wäre sogar eine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang denkbar?

Debus: Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Mannheim ist zwar keine CDU-Stadt, und das bürgerliche Lager hat hier keine Mehrheit. Aber Oberbürgermeister-Wahlen sind Personen-Wahlen, da spielt Parteidenken eine geringere Rolle. Insofern sind aber auch Prognosen schwierig, in der jetzigen Konstellation ist vieles möglich. Der wahrscheinlichste Fall ist, dass niemand am Sonntag mehr als 50 Prozent bekommt und es drei Wochen später einen zweiten Wahlgang gibt.

Sollten dann der eine oder die andere im ersten Durchgang Abgeschlagene zurückziehen, würden die Karten neu gemischt, oder?

Debus: Ja. Könnte jemand das linke Lager hinter sich vereinen, hätte er weitaus bessere Chancen.

Wie entscheidend wäre dann, dass sich zurückziehende Kandidaten Wahlempfehlungen geben?

Debus: Das wäre schon ein wichtiges Signal an die Anhänger, wie es umgekehrt auch der Verzicht auf eine Empfehlung wäre. Auch da bin ich sehr gespannt, was passiert.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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