Mannheim. Eigentlich sollte man annehmen, dass die Eltern sauer sind. Mehr als zwei Jahre Ausnahmezustand wegen Corona, und jetzt schon wieder ein Tag ohne Betreuung. Warum? Weil das Personal der städtischen Kindertagesstätten, Krippen und Horte ganztägig an diesem Mittwoch streikt – zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten. Aber der Stadtelternbeirat (STEB), die Vertretung der Eltern städtischer Betreuungseinrichtungen, steht voll hinter dem Ausstand.
Hildwin Wonner, Vorsitzender des STEB, hat sich zu den Streikenden auf die Neckarwiese gesellt. Man unterstütze die Forderungen der Betroffenen „vollumfänglich“, betont er im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“. Natürlich sei die durch den Streik verursachte Situation für Eltern „nicht schön“. Aber ganz wichtig sei doch, „dass die Kitas und Krippen „in der angespannten Situation adäquates Personal bekommen“. Und das gebe es eben nur, wenn die Arbeitsbedingungen stimmten.
Mehr Anerkennung und Zeit
Im Moment stimmt da eigentlich gar nichts mehr. Und das nicht nur, weil die Arbeitgeber bisher nicht auf die Forderungen der Arbeitnehmer eingegangen sind. Sondern weil die Corona-Pandemie zusätzlich riesige Probleme verursacht hat – und immer noch verursacht. Darauf hat vor wenigen Tagen Sabine Gaidetzka im Jugendhilfeausschuss hingewiesen. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen vor der Pension listete die städtische Fachbereichsleiterin für Kitas auf, was die Infektionen allein in den Monaten Februar und März angerichtet haben. 30 Kitas, Krippen oder Horte und damit 56 Prozent aller Einrichtungen seien von Corona-Krankheitsfällen „zumindest einmal“, mitunter auch mehrfach, durch die komplette Schließung einer Gruppe betroffen gewesen. Teilschließungen habe es in weiteren 78 Einrichtungen gegeben. Jede dritte Fachkraft sei in diesem Zeitraum erkrankt. Das sei eine „Situation an der Grenze des Erträglichen“.
Weiterer Streiktag
- Seit Februar verhandelt die Gewerkschaft Verdi mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände über Verbesserungen bei Erzieherinnen und Erziehern und Angestellten anderer sozialer Berufe.
- Nach der zweiten Verhandlungsrunde beklagt Verdi das Fehlen eines konkreten Angebots der Arbeitgeber. Um den Druck zu erhöhen, streikten am Montag bundesweit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Am Mittwoch gingen Beschäftigte von Kitas und Ganztagsbetreuung an Schulen ganztägig in den Ausstand.
- In Mannheim blieben deshalb die 54 städtischen Kitas beziehungsweise Krippen geschlossen. Das Kita-Personal in Mannheim hatte bereits am 8. März ganztätig gestreikt.
- Am Montag, so die Stadt, sei es bei der Jugendförderung vereinzelt zu Beeinträchtigungen gekommen.
- Wegen der Streikaktion wurde die Kurpfalzbrücke über Mittag für den Autoverkehr gesperrt.
So sehen es auch die Streikenden auf der Neckarwiese. Und gerade deshalb erwarten sie von den Arbeitgeberverbänden neben einer finanziellen Anerkennung ihrer Arbeit mehr Zeit für die eigentliche pädagogische Tätigkeit. „Dass dazu Vorbereitungs- und Nachbereitungszeiten gehören und dass Dokumentationspflichten ordentlich eingeplant sein müssen, ist so klar wie Kloßbrühe“, ruft Jürgen Lippl, Geschäftsführer von Verdi Rhein-Neckar, den Streikenden zu.
„Pädagoginnen und Pädagogen haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie sie arbeiten wollen, was sie arbeiten wollen, was sie erreichen wollen. Wenn sie das nicht realisieren können, verlassen sie diesen Bereich“, hat Andrea Gerth vom Paritätischen Wohlfahrtsverband im Jugendhilfeausschuss betont. Das kann Erzieherin und Verdi-Vertrauensfrau Sabine Leber-Hoischen nur bestätigen. Alle seien „sehr ausgebrannt – und die Kitas am Limit“. Es gebe einige, „die sich umgucken, die dann wechseln“ in eine andere Einrichtung – oder gleich abwandern, umschulen, den Beruf aufgeben.
"Die Qualität leidet darunter"
Dass die meisten aber mit Herzblut dabei sind, das sei keine Frage. Gerade deshalb „hadern viele Kolleginnen mit sich“, wenn die angespannte Personalsituation zu Einschränkungen führt: „Wenn weniger Leute da sind, guckt man, dass man irgendwie über den Tag kommt. Die Qualität leidet darunter. Aber gerade das will man nicht.“
Wie sehr Corona alle gebeutelt hat, betont auch Ulrike Kahlert, Erzieherin in der Schulkindbetreuung an der Rheinauschule. Der Corona-bedingte Wechsel von offener zur Gruppenarbeit habe viele Ressourcen verschlungen. „Wir geben alles und sind sehr kreativ geworden in der Zeit“, sagt sie. Aber es gebe so viele zusätzliche Belastungen. „Deshalb sei ein „finanzieller Ausgleich“ wichtig. Es könne doch nicht sein, dass etwa Facharbeiter „mehr verdienen als wir“. Durch die Bildung der Kinder trage man schließlich „zur Gestaltung der Zukunft und der Gesellschaft bei“.
Die Mannheimer Streikenden tragen eindrucksvoll ihren Teil zum bundesweiten Streik bei. Dabei sei hier manches besser als anderswo, betont Sabine Leber-Hoischen. Die von der Stadt initiierte „Weiterqualifikation ist super“, ebenso der Ausbau der praxisintegrierten Ausbildung (PIA) und die höhere Eingruppierung einzelner Gruppen. Defizite sieht sie dagegen angesichts des hohen Fachkräftemangels bei der aktiven Werbung für den Beruf.
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