Serie Gartentraum/Traumgarten - Künstler Günter Karl und seine Schwester Ilona Wolf bewirtschaften einen Schrebergarten in Neuhermsheim

Ort voller Erinnerungen und Inspiration

Von 
Fabian Busch
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Mannheim. Schon ohne all die Geschichten wären diese 350 Quadratmeter ein besonderer Flecken Erde. Obstbäume werfen Schatten, Rankpflanzen klettern an den Toren in die Höhe, in den Beeten erröten große und kleine Tomaten. Wenn Günter Karl und seine Schwester Ilona Wolf ins Erzählen kommen, wird aber schnell klar, dass diese Parzelle auf dem Gelände der Gartenfreunde Mannheim-Ost 1910 in Neuhermsheim viel mehr ist. Nämlich ein Treffpunkt der beiden Geschwister, ein Jungbrunnen, ein Atelier. Und ein Ort, um Trauer zu verarbeiten und neuen Lebensmut zu schöpfen.

34 Jahre ist es inzwischen her, dass Günter Karl und seine Frau Anne den Schrebergarten bekamen. Karl ist freiberuflicher Maler und Illustrator, gestaltete früher mit seinem Freund, dem Mannheimer Fotografen Gerhard Vormwald, Plattencover oder Titelseiten des Magazins "Stern". Auch im Garten lebte er seine Kreativität aus, nach Ausstellungseröffnungen wurde auf dem Gelände auch mal gefeiert.

In den vergangenen zehn Jahren hielt das Leben für die Geschwister dann aber einige Schicksalsschläge bereit. 2008 starb der Vater von Günter Karl und Ilona Wolf. Ganz plötzlich an einem Herzschlag, hier im Garten, mit Blick auf den alten Kirschbaum. "Eigentlich kann man nicht schöner sterben", sagt Günter Karl. Trotzdem traf der Tod des Vaters die Geschwister schwer. Günter Karl überlegte, die Parzelle aufzugeben. Doch seine Frau überredete ihn, sie zu behalten.

Mehrere Schicksalsschläge

2011 starb auch Karls Mutter - den schwersten Schlag hatte er aber schon 2010 zu verdauen. Ganz unerwartet wurde seine Frau aus dem Leben gerissen. Dieses Mal war für ihn klar: Den Garten würde er nicht behalten. Zu viele schöne Erinnerungen warteten dort, die nach dem Verlust zu bitter geworden waren. "Du musst wissen, was du machst", sagte seine Schwester damals zu ihm. "Aber schlaf eine Nacht drüber." Das machte er, und am Morgen war für Günter Karl klar: Er würde das Stück Natur behalten. Seine Frau hätte es so gewollt.

Auch vier enge Freunde von Günter Karl, darunter Gerhard Vormwald, sind in den vergangenen Jahren gestorben. Der Tod, der die ihm nahestehenden Menschen holt, wurde ein ständiger Begleiter. Aber der Mannheimer schöpfte künstlerische Kraft daraus. 2012 ging er den Sommer über nach Königswinter bei Bonn, um an einem Kunstprojekt in einem ehemaligen Krankenhaus teilzunehmen. Mehr als hundert Kunstschaffende ließen ihrer Kreativität dort freien Lauf. Karl strich "seinen" Raum zunächst Schwarz, dann erweckte er ihn über Monate nach und nach zum Leben. Er verteilte Erde im ehemaligen Krankenzimmer, ließ Gras, Bohnen und Kartoffeln sprießen, bis ein grüner Teppich den Boden bedeckte. Das karge Zimmer wurde zu einem fast unwirklich bunten Raum. Karl zeigt ein Fototagebuch, mit dem er den Sommer in Königswinter dokumentiert hat. "So habe ich meine Trauer verarbeitet."

Noch nie Gift gespritzt

Die Leidtragende war allerdings seine Schwester. Ilona Wolf machte ihm klar: Alleine kann sie sich nicht um den Garten kümmern. Also kam Günter Karl zurück und nutzt den Schrebergarten seitdem auch als Atelier. Er fotografierte Engelsfiguren, grub die großen Digitaldrucke in die Erde ein, ließ Gras darauf sprießen. "Das hat etwas Morbides" sagt Günter Karl. Und doch symbolisiert das Gras auch das Leben, das sich immer wieder seinen Weg bahnt. Wochenlang sei es dann so gewesen, erzählt der 70-Jährige und lacht: "Meine Schwester gießt morgens ihre Tomaten und ich meine Bilder."

Er wohnt in der Augustaanlage, sie auf dem Luzenberg. Jeden Morgen telefonieren die Geschwister. "Wir haben ja nur noch uns", sagt Ilona Wolf. Oft verabreden die beiden dann, sich später im Garten zu treffen. "Ich bin die ausführende Arbeitskraft, er macht die Gestaltung", scherzt die 68-Jährige. Im Frühling blühen Rosen und Hibiskus, im Sommer ernten die Geschwister Tomaten, Zucchini, Kirschen und Mirabellen, im Herst Birnen. Alles können sie gar nicht verarbeiten, deshalb geben sie Obst und Gemüse auch Freunden und Bekannten mit.

Das Leben entsteht nicht nur in den Beeten. Vier Nistkästen hängen in den Bäumen, die Vögel seien zuverlässige Schädlingsbekämpfer, sagt Günter Karl. "Ich habe hier in all der Zeit noch nie gespritzt."

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Schrebergarten und Atelier: Günter Karls Parzelle in Neuhermsheim

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