Sie war ein Schauplatz von Leid und Verbrechen: Von September 1944 bis März 1945 waren in der ehemaligen Sandhofer Friedrichschule in der Kriegerstraße 1056 polnische Zwangsarbeiter untergebracht. Die Männer lebten im Außenlager des KZ-Natzweiler-Struthof als Häftlinge und leisteten Arbeitsdienst im Benz-Werk Waldhof. Es dauerte lange, bis die Öffentlichkeit mehr erfahren konnte: Erst vor 20 Jahren eröffnete in der heutigen Gustav-Wiederkehr-Schule die KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen.
Die polnischen Häftlinge wurden damals in 16 Klassenzimmer im ersten und zweiten Obergeschoss gepfercht. "Der Jüngste war 14 Jahre alt", weiß Dr. Susanne Schlösser, Leiterin des Historischen Archivs im Stadtarchiv. Im Erdgeschoss waren Wache, Büro und Magazin, die Turnhalle diente als Vorratsmagazin und Häftlingsküche. Die Bewachung im Lager und beim Benz übernahmen 40 bis 50 Mann.
Täglicher Marsch zur Arbeit
Tagtäglich marschierten die Häftlinge zu Fuß durch Sandhofen nach Waldhof. "Alle hatten Holzpantinen an, das muss laut gewesen sein", verweist Schlösser darauf, dass viele Bürger nichts von den Häftlingen gewusst haben wollen. Keineswegs heimlich geschah auch die Hinrichtung von Marian Krainski am 4. Januar 1944 im Schulhof: Er wurde vor seinen Kameraden, vor Benz-Angestellten, SS-Leuten und Zuschauern, darunter Kinder, gehenkt, weil er an einer Drehbank 25 Achsen zu stark ausgeschliffen hatte. Wahrscheinlich verstellte ein Vorarbeiter seine Maschine, als Krainski zur Toilette ging. "Wir waren in Reihen aufgestellt und mussten zusehen. Der Baum steht noch", weiß der ehemalige Häftling Zdzislaw Swiniarski.
Für den Verein KZ-Gedenkstätte war die Verwirklichung des Museums kein einfaches Projekt. Viele Bürger wehrten sich dagegen. "Bis in die 80er Jahre hatte man von diesen Lagern deutschlandweit nichts gewusst, nicht darüber geredet", so Schlösser. Doch die Mitglieder des Vereins, der jetzt Träger ist, haben sich gegen alle Widerstände für die Gedenkstätte eingesetzt. Die Stadt unterstützt die inhaltliche Weiterentwicklung, der Stadtjugendring übernimmt die Geschäftsführung.
Heute zeigt im Keller der Gustav-Wiederkehr-Schule in der Kriegerstraße 28 eine Zeitleiste das Geschehen von 1933 bis 1945. Zu sehen ist auch eine Karte Mannheims mit allen bekannten Zwangsarbeiterlagern und -unterkünften Ende 1944. "Bücher der Gefangenen" verdeutlichen Schicksale der Inhaftierten.
Bürger wehren sich
Eine Vitrine enthält den Häftlingsanzug und den Rosenkranz von Vincent Krier aus dem Außenlager des zweiten Sandhofener KZ-Außenkommandos Hinzert auf dem Sandhofener Fliegerhorst, dessen Existenz erst 1990 entdeckt wurde. Hier waren von September 1944 bis März 1945 etwa 80 Männer untergebracht. Die Geschichte dieses Außenkommandos lässt sich jedoch kaum noch rekonstruieren, die beiden Ausstellungsstücke sind wohl die letzten Überreste des Standorts.
Der größte Raum der Gedenkstätte informiert über Konzentrationslager und das KZ-Außenkommando Sandhofen. Ein weiterer Häftlingsanzug, ein Gürtel, ein Aluminiumbecher mit Gravuren und ein Rosenkranz aus Pritschenholz sind die einzigen Original-Dokumente - mit Absicht. Im Mittelpunkt stehen Aussagen von Betroffenen und Zeugen, unterstützt durch Grafiken und Bilder. In weiteren Zimmern werden Zitate auf den Boden projiziert oder bleibt Raum zum Nachdenken.
Trotz des ungeheuren Ausmaßes an Grausamkeit ist Sandhofen nur einer von vielen Orten mit Leid und Verbrechen. Allein in Mannheim gab es 142 Zwangsarbeiterlager und -unterkünfte, in denen Häftlinge aus Italien, Russland, Frankreich oder Holland hausten. Sie arbeiteten in der Landwirtschaft oder bei der Heinrich Lanz AG, Vögele, BBC, Bopp & Reuther oder der Zellstofffabrik. "Es waren 15 000, eher mehr", schätzt Schlösser die Zahl der Mannheimer Zwangsarbeiter.
Zahl der Toten unbekannt
Wie viele Menschen in Mannheim nicht überlebt haben, bleibt unbekannt. "Namentlich weiß man von 250, aber ein Teil kam ja später nach Buchenwald oder Dachau, wurde bei den Todesmärschen erschossen oder starb an Erschöpfung", so Schlösser. Nur wenige schafften die Flucht.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-oeffentliche-hinrichtung-im-schulhof-_arid,214669.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/waldhof-gartenstadt-luzenberg.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html