Das Beethoven-Jubiläumsjahr geht aufgrund der allgemeinen Gesundheitssituation leider ohne große Beachtung an uns vorbei. Keine Konzerte, keine Festvorträge, selbst am Radio wenig von diesem Jubiläum zu hören. Der große Meister Ludwig van Beethoven (1770-1827) hätte wohl Besseres verdient. Von der Taubheit sehr früh geplagt und durch seine Art, Musik neu zu schreiben, wurde er nicht gleich verstanden.
Im Kreis der Menschen oft vermieden, war ihm die Freude der Menschenliebe nicht gegönnt. Kaum einer wie er konnte die dramatische Spannung zwischen dem Schmerz des Gemütes, der Sehnsucht nach Freiheit und dem Ausdruck der Freude mit bisher so unerhörter Tiefe musikalisch beschreiben. Das Adagio des dritten Satzes und der Schlusschor des vierten Satzes in der Neunten Symphonie schildern meisterhaft diese Spannung. Schließlich ertönt zum Staunen der Menschheit die von Friedrich Schiller gedichtete „Ode an die Freude“: „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, (…) Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weht.“
Die Komposition ist heute die Hymne Europas. Nach dem Elend der Napoleonischen Kriege durch ganz Europa rufen Ton und Dichtung zum Frieden und zur Freude.
Klage und Freude: zwei Zwillingsschwestern, die im Menschenleben meistens aufeinanderfolgen. In der Geschichte des Volkes Israel begegnen sie sich ständig: von den Klagen des Propheten Jeremias bis zu den Freudenrufen des Propheten Jesaja. Der Apostel Paulus hält die Freude für eine christliche Grundhaltung: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt.“ (Philipper 4,4)
Hoffnung entsteht aus Not
Gewiss ist die Freude nicht selbstverständlich, aber sie ist lebensnotwendig. Besorgt durch vielseitige Probleme im Beruf, in der Familie oder in der Ehe, gehemmt durch die schwerwiegenden Restriktionen und Folgen der aktuellen Gesundheitskrise haben wir das Wort „Freude“ mit ihrer Schwester „Hoffnung“ in die Abstellkammer der Vergessenheit geschoben. Am Beispiel der Werke Beethovens lernen wir, dass Hoffnung aus der Not entsteht und die Freude aus der Hoffnung hervorgeht.
Es ist schon bemerkenswert, dass ein Mensch mit derartigem Schicksal an Einsamkeit und an unerfüllter Liebe solch eine mit Freude erfüllte Komposition wie in der Pastorale und in der Ode an die Freude schöpfen konnte. Die Freude, die er nicht erleben durfte, hat er uns an gezielten Stellen in seinen Werken hinterlassen.
Die erlebte Zeit von heute scheint mit den Einschränkungen aller Arten für die Freude nicht geeignet zu sein. Oder doch? Es muss keine Symphonie für Chor und Orchester geschrieben werden. Kleine Dinge können große Freude bereiten: ein Lächeln, ein gutes Wort, ein Telefonanruf oder eine Mail, die sagt: „Ich denke an dich. Ich habe dich nicht vergessen“.
Für Beethoven waren der Zusammenhalt unter den Menschen und zugleich die Freiheit der Einzelnen zentral. So erklingt die Ode an die Freude wie eine Krönung all seiner Symphonien, und mit Schillers Worten lässt sich erahnen, wer die echte Quelle aller Freude ist: „Seid umschlungen, Millionen! Brüder! Über ’ m Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen. Ahnest du den Schöpfer, Welt?“
Pierre Gerodez, Diakon, Laudenbach
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