Sie schrieb ihre Gefühle unverfälscht und lebensecht nieder, setzte sich mit dem Elend von Müttern und deren unehelichen Kindern während des Ersten Weltkriegs auseinander, ließ auch Privates einfließen: Elisabeth Blaustein, Pionierin für Frauenrechte und Gründerin des Vereins für Mutterschutz. Ihr Tagebuch tauchte jetzt auf und gelangte auf glücklichem Wege ins Stadtarchiv, wo die Archivarin Elke Schneider den handschriftlichen Schatz auswertete.
Einem Frankfurter Ehepaar ist es zu verdanken, dass die Aufzeichnungen der äußerst bemerkenswerten Vorkämpferin jetzt an den Ort ihres Entstehens zurückgelangten. Bei einer Haushaltsauflösung fand sich zwischen anderen Büchern das unscheinbare Büchlein mit der Aufschrift "Kurze Chronik eines Krieges". Neugierig geworden, begann die Finderin in den Notizen zu lesen und war nach eigenen Worten "hingerissen". 120 Seiten private Aufzeichnungen, spannend und emotional zugleich, verfasst von Elisabeth Blaustein in den Kriegsjahren 1915-1916, die offensichtlich auch im Bereich Mutter- und Kinderfürsorge tatkräftig gewirkt hatte. Da die Schreiberin aus Mannheim stammte, kam "Google sei Dank" der Kontakt mit dem Stadtarchiv zustande.
Das Institut für Stadtgeschichte betrachtet den Zufallsfund als Glücksfall angesichts der schweren Kriegsverluste, die man hinsichtlich der städtischen Überlieferung hinnehmen musste. Elisabeth Blaustein (1884-1942) war nämlich nicht nur die Ehefrau des Handelskammersyndikus Arthur Blaustein (über den sie sich an mancher Stelle auslässt), sondern auch die Vorsitzende des 1907 für ledige Mütter und ihre Kinder gegründeten Vereins für Mutterschutz in Mannheim.
Selbst Mutter von zwei Kindern, entstand 1918 auf ihre Initiative ein Krippe-Mütterheim. Bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts erkannte sie als emanzipierte und couragierte Frau die Notwendigkeit, sich mit Themen wie Mutterschutz und Krippenbetreuung zu befassen. Auch die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf den Alltag in Mannheim beschäftigen Elisabeth Blaustein. Deutlich werde, so die Wissenschaftlerin im Stadtarchiv, dass Tagebücher eine einzigartige Quelle seien. Insbesondere die Notizen von Blaustein, die sich vieles von der Seele schrieb, das nun die Geschichte jener Tage mit Empfindungen auflädt. An ihren Berichten über die Attacken auf das Mütter- und Säuglingsheim wegen der Aufnahme von ledigen Müttern lassen sich die Moralvorstellungen jener Zeit ablesen. Ein richtiger Schatz also, der geborgen wurde und einen Beitrag zur Aufarbeitung der Frauenbewegung zu Anfang des 20. Jahrhunderts leistet.
Tragisch ist das weitere Schicksal der Familie Blaustein. 1933 musste Arthur Blaustein als "Nichtarier" seine Tätigkeit bei der Handelskammer aufgeben. Auch seine Ehefrau war gezwungen, ihre soziale Arbeit niederzulegen. Ihres Lebensinhalts beraubt, verstarb Elisabeth Blaustein 1942 vereinsamt in Baden-Baden. Ihr Mann verübte kurz darauf Selbstmord. red / räu
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