Kriminalität

Nach Attacken auf fahrende Autos in Mannheim: Was Steinewerfer antreibt

Knapp den Kopf verfehlt: Haben zwei Freunde große Steine, kiloschwere Hanteln und einen Hammer auf fahrende Autos geworfen? Was solche Jugendliche dazu bewegt, unbekannte Autofahrende zu attackieren

Von 
Lisa Uhlmann
Lesedauer: 
Entlang der Untermühlaustraße sollen zwei 19-Jährige mehrfach Autos mit Hanteln und Steinen attackiert haben. © T. Tröster

Mannheim. Haben zwei Freunde große Steine, kiloschwere Hanteln und einen Hammer auf fahrende Autos geworfen? Nach einer Fahndung von über einem Jahr nach zwei Tatverdächtigen ist nun der Zweite, ein gerade erst 19 Jahre alt gewordener Mannheimer, verhaftet worden. Wie Staatsanwaltschaft und Polizeipräsidium Mannheim gemeinsam mitteilten, wurde der 19-Jährige ohne festen Wohnsitz in der vergangenen Woche in einer Parkanlage in der Innenstadt festgenommen.

Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren

Der erste Tatverdächtige sitzt bereits in Untersuchungshaft. Ihn hatten die die Ermittler bei einer Durchsuchung in seiner Wohnung in Mannheim bereits Anfang Juli festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Tatverdächtigen, die laut Polizei befreundet sind, unter anderem versuchten Mord sowie versuchte gefährliche Körperverletzung vor. Zwischen dem 12. Mai und 28. Juli 2022 sollen die beiden Kumpels in vielen Fällen verschiedenste Gegenstände auf fahrende Autos geworfen haben. Mehrere Male durchschlugen die Wurfgeschosse die Windschutzscheiben der Fahrzeuge. Ein Fahrer wurde dabei leicht verletzt.

Sensationslust und Langeweile

Was aber treibt solche jungen Menschen dazu an, den möglichen Tod von völlig unbekannten Autofahrenden in Kauf zu nehmen und warum wollen sie anderen schaden? Was in Jugendlichen vorgeht, weiß Alexander Häge, Leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit: „Die Beweggründe jugendlicher Täter und Täterinnen sind unterschiedlich. Zuweilen ist es Langeweile, Sensationslust, Suche nach Aufmerksamkeit oder Bestätigung durch andere.“

In seltenen Fällen sind es Jugendliche, die im Rahmen einer psychischen Störung nicht einsichts- und steuerungsfähig waren.
Alexander Häge Leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit

Machtfantasien darüber auszuleben oder sadistische Motive spielten bei solchen Taten aber oft keine Rolle, sagt Häge. „In seltenen Fällen sind es Jugendliche, die im Rahmen einer psychischen Störung nicht einsichts- und steuerungsfähig waren.“ Dass dabei wirklich Menschen schwer verletzt oder sogar sterben können, blenden Jugendlichen während der Tat aber häufig aus, so Häge. Auch wenn normal entwickelte Heranwachsende durchaus in der Lage seien, die möglichen Folgen ihres Handelns abzusehen. „Wenn sich Jugendliche erst im Nachhinein hinreichend bewusstmachen, was sie getan haben, folgen meist Gefühle der Scham und des Bedauerns“, erklärt Häge. Deutlich ungünstiger sei die Prognose aber für junge Täter, denen die möglichen Konsequenzen zwar umfänglich bewusst sind, diese aber emotional gar nicht berühren.

Fahrende immer wieder attackiert

Rückblick: Dass es sich bei den nächtlichen Attacken entlang der Untermühlaustraße und in der Neckarstadt-West vor mehr als einem Jahr um keine Einzelfälle handelt, wird den Ermittlern klar, als sich weitere Attacken in der Straße häufen: Bis dahin Unbekannte werfen mal mit Steinen, mal mit Hantelscheiben oder Werkzeug auf vorbeifahrende Autos.

In den meisten Fällen durschlagen die Geschosse die Scheiben der Fahrzeuge, die meisten Fahrer und Fahrerinnen kommen glücklicherweise mit dem Schrecken davon. Am Ende sind es sichergestellte DNA-Spuren, die die Ermittler zu den jungen Männern führen – denn ihre Daten sind bereits im polizeilichen System registriert. Nach derzeitigem Ermittlungsstand sollen beide zumindest in sechs Fällen in den frühen Morgenstunden die Gegenstände auf die mit 50 Stundenkilometer stadteinwärts fahrenden Autos geworfen haben. In vier Fällen wurden Scheiben durchschlagen, ein 27-jähriger Opelfahrer wurde leicht verletzt.

In diesem Fall ist der 27-Jährige an einem Freitagmorgen im Mai gegen 5. 30 Uhr auf der Untermühlaustraße unterwegs, als die Tatverdächtigen eine zwei Kilo schwere Hantelscheibe gegen seinen Opel schleudern und flüchten. Die Hantel schlägt in die Fahrertür ein, verfehlt den Kopf des 27-Jährigen knapp. Der trägt leichte Verletzungen von den umherfliegenden Glassplittern davon – und es war an diesem Tag nicht das einzige Ziel, das die beiden Täter anvisieren.

Nur wenige Minuten später sollen die Steinewerfer eine zweite Hantelscheibe geschleudert haben – diesmal kracht das tödlich schwere Geschoss auf Höhe der Jungbuschbrücke in den VW einer 36-Jährigen. Einen Monat später fliegen erneut Geschosse auf vorbeifahrende Autos, diesmal große Steine.

Keine Brückenwürfe

Welche Strafen solchen Steinwerfern und damit den Tatverdächtigen drohen könnten, die in der Neckarstadt-West so viele Autos attackiert haben? Zwar sollen die beiden verhafteten Freunde die Gegenstände nicht von einer Brücke, sondern immer seitlich der Fahrbahn auf die Autos geworfen haben. Sollten sie verurteilt werden, könnten sie ein ähnliches Strafmaß erhalten, wie ein 20-Jähriger und 17-Jähriger vor vier Jahren: Damals hatte das Nürnberger Landgericht die beiden unter anderem wegen versuchten Mordes zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten Pflastersteine und Holzpaletten von Brücken auf Autobahnen und einen Zug geworfen.

Für die Angeklagten sei nicht kontrollierbar gewesen, was durch die Würfe passiere, erklärte der Richter bei der Urteilsbegründung. Sie hätten somit den Tod von Menschen in Kauf genommen. Eine Tötungsabsicht unterstellte ihnen der Richter dagegen nicht.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen