Serie „Wissenschaftlerinnen aus Mannheim“ - Anna-Katharina Gisbertz über die Bedeutung der Familie in der Forschung

„Mütter bringen vieles mit ein“

Von 
Viola Eigenbrodt
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Literaturwissenschaftlerin Anna Katharina Gisbertz von der Universität Mannheim liebt Begegnungen mit klugen Menschen. © Rittelmann

Seit guten zehn Jahren bringt Anna-Katharina Gisbertz, gebürtige Nordhessin, ihre innovative Ideen an der Universität Mannheim ein. Die Privatdozentin, die in diesem Jahr im Bereich Neuere deutsche Literaturwissenschaft ihre Venia legendi, die Lehrberechtigung, erhielt, fühlt sich wohl in der Kurpfalz. „Die Mannheimer sind sehr offen“, erklärt sie im Vergleich zu den „eher spröden“ Menschen ihrer Heimat.

„Eine emotionale Verbindung haben mir schon vorher die wunderschönen Heimatfilme von Mario di Carlo vermittelt“, sagt sie weiter, einen Regisseur, den – zu Unrecht – noch nicht viele Kurpfälzer kennen würden. In Schriesheim wohnen und in Mannheim arbeiten, das sei eine schöne Achse quer durch die Rheinebene, die zu durchfahren ihr tagtäglich Spaß macht, so Gisbertz.

Nach dem Studium der Fächer Germanistik, Geschichte, Komparatistik und Deutsch als Fremdsprache 1992 bis 1998 an den Universitäten von Mainz, München, Dijon und der Washington University, St. Louis schloss sie mit dem Master of Arts (St. Louis) ab und hängte ein zweijähriges Lektoratsvolontariat bei Kiepenheuer & Witsch daran. Ein Graduiertenstipendium am Department für German Studies der University of Chicago führte die 1973 geborene Forscherin nach Amerika, seit 2006 ist sie Lehrbeauftragte an der Universität Mannheim.

Doch eine Verbindung in die Vereinigten Staaten hat sie noch immer, denn ihre Doktorarbeit legte sie in Chicago vor. So kann sie sich auch vorstellen, nicht für immer in dieser Gegend zu bleiben. „Ich habe schon im Studium sehr schöne Jahre in Frankreich, Deutschland und den USA verbracht. Es zieht mich gern fort. Warum sollte es also woanders nicht auch schön sein?“, überlegt die resolute Frau, der eine Verbindung der Geisteswissenschaften mit den kulturellen Aktivitäten der Stadt Mannheim besonders am Herzen liegt. Wünschenswert sei es, eine Brücke zu bilden zwischen dem intellektuellen Elfenbeinturm der Studenten in einer schon rein verkehrstechnisch vom Stadtkern abgeschlossenen Universität und dem pulsierenden Leben in den Quadraten. Von daher versteht es sich, dass für die akademische Rätin neben ihren Forschungsschwerpunkten wie der Literaturgeschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts auch die Gegenwartsliteratur, insbesondere Zeitwahrnehmung, Intermedialiät und Emotionsforschung, die Vermittlung von Literatur in Kooperation mit Kulturzentren, Verlagen einen zentralen Punkt in ihrem Leben einnimmt.

Dazu gesellt sich für die Mutter dreier Kinder eine sehr wichtige Erkenntnis: die Bedeutung der Familie für die Wissenschaft. Sie referiert ad hoc: „Die Wissenschaft hat mittlerweile zahlreiche Frauen- und Familienförderprogramme initiiert. Wenn es aber um den Ruf auf eine Professur geht, zählen harte Faktoren wie die Quantität der Publikationen. Das habe ich noch nie verstanden, denn damit ist auch viel über fehlendes Selektionsvermögen gesagt.“ Die sogenannte Bestenauslese brauche hier neue Maßstäbe. Sie denke dabei an Faktoren wie präzises Ausdrucksvermögen, aber auch gesellschaftliche Verantwortung in einem umfassenderen Sinn, Führungsqualitäten, Flexibilität, Teamfähigkeit, Toleranz, Organisationstalent, Empathie. „All das bringen Mütter aus ihren Lebenserfahrungen mit ein.“

Interesse an Menschen

Die Autorin mehrere Bücher, die gelegentlich auch für diese Tageszeitung Rezensionen verfasst, spornt ein grundsätzliches Interesse an Menschen an – ganz allgemein in der Faszination und zugleich Irritation darüber, dass wir leben, ohne als Menschen unsere Herkunft und unsere Bestimmung genau zu kennen.

„Bestimmte Grundfragen boten also den Anlass zur intellektuellen Arbeit. Dabei empfand ich zum einen Bücher stets als enorm hilfreiche Ergänzung des Erlebens und Fragens, zum anderen auch die Begegnungen mit klugen Menschen.“ Sie liebe es, wenn in einem Raum gemeinsam nachgedacht werde, dass es vibriere. „Wenn ich meinen Beitrag dazu leisten kann, ist es umso besser.“ Ihre Studenten danken ihr dieses Engagement.

Freie Autorin

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