Der erste Tag
Mannheim. Trinken, trinken, trinken. Es sind locker 30 Grad im Schatten am Parkplatz in Brand, wir schwitzen, ohne uns zu bewegen. Aber die „MM“-Lesergruppe lacht den Schweiß weg. Auf zur ersten Etappe: zur Oberzalimhütte auf knapp 1900 Höhenmetern. Die schweren Rucksäcke geschultert, die Wasserflaschen griffbereit, machen wir uns auf den Weg. Mehrere Waldstücke spenden Schatten, aber die Hitze macht uns zu schaffen. Nach gut anderthalb Stunden die erste Pause in der Hütte an der Unteren Brügglealpe. Dann wird‘s ernst: Die Passage zur Oberzalimhütte verläuft über Steilhänge, mit der Höhe verändert sich die Bodenbeschaffenheit, Geröllpfade statt Schotterwege. Aber was für ein Panorama!
Ein männliches Fluchen ist zu hören: „Des isch net mei Terrain. Hätt ich des gwusst!“ Der Aufstieg geht auf die Knochen. Es wird noch steiler, jetzt bloß kein falscher Tritt. „Aufpassen, sonst gibt‘s Domino!“, ruft ein Teilnehmer. Am Fürkelesteig hangeln wir uns an Sicherungsketten entlang, einer unserer herausragenden Führer des Deutschen Alpenvereins (DAV) in Mannheim, Dirk Lankenau, schwört dabei die Gruppe ein: „Diese Passage ist ein Vorgeschmack auf den Leibersteig morgen.“ An morgen wollen wir lieber noch nicht denken.
Endlich, da ist die Mannheimer Oberzalimhütte, traumhaft gelegen inmitten alpiner Hochalmen, zugleich der letzte Schutzort unterhalb des schroffen Felsmassivs. Genau so wie die Mannheimer Hütte wird sie von der Mannheimer DAV-Sektion verantwortet. Auf der Hütte geht es zu wie im Schullandheim. Das wichtigste Thema: die Aufteilung der Mehrbettzimmer. „Willst Du im Stockbett oben oder unten schlafen?“ Alle finden ihre Koje.
Gegen 18.45 Uhr steht auf einmal der frühere Oberbürgermeister Gerhard Widder an der Hütte, keine Schweißperle auf der Stirn. Der 82-Jährige hat sich tatsächlich allein auf den Weg gemacht. Die Hüttenwirtin Andrea Juen begrüßt ihn mit einem selbstgebrannten Obstler. Er bringt einige Geschichten mit, klärt die Gruppe vorsorglich auf: Bis 1951 habe die Mannheimer Hütte noch Straßburger Hütte geheißen, dann habe Straßburg die Hütte abgegeben und Mannheim den Zuschlag erhalten. Widder hat auch Wandererweisheiten auf Lager: „Das Profil des Wanderers spielt keine Rolle, aber das Profil seiner Sohle.“ Dann wird es Nacht auf der Oberzalimhütte, nur die Kuhglocken unterbrechen die Ruhe dieser einmaligen Bergwelt.
Der zweite Tag
Mannheimer Hütte, wir kommen! In der Gruppe herrscht Euphorie - und reichlich Respekt vor dem Aufstieg. Dieser Weg wird kein leichter sein, das wissen alle. Nach einem sanften Anstieg wird der Pfad steiler, und schnell sind wir im Fels. Wir folgen der weiß-blau-weißen Markierung. Sie bedeutet: Nur für Geübte! Der Weg erfordert Trittfestigkeit und volle Konzentration. Ein Schritt nach dem anderen. Im Geröll kann schon ein loser Stein den Wanderer aus dem Gleichgewicht bringen. Stahlseile bieten den nötigen Halt an gefährlicheren Passagen. An besonders steilen Abschnitten sind Stufen in den Stein gehauen. Die Zeit vergeht wie im Flug, nach nicht einmal drei Stunden und mehr als 700 Höhenmetern ist das Plateau erreicht. Eine ganz andere Welt eröffnet sich. Gletscher, Geröllfelder - und dann dieses wunderschöne Berghaus, beeindruckend nah an der Felskante gebaut: die ehrwürdige Mannheimer Hütte auf 2680 Metern. Wir erreichen die Hütte bei Sonnenschein und Wärme, Hüttenwirt Matthias Schatz begrüßt uns auf der Terrasse.
Kaum sind die Mehrbett-Zimmer verteilt, stärken wir uns vor der Hütte mit Suppen und Kaiserschmarrn. Und da steht er: Gerhard Widder. Den Leibersteig hat er in Begleitung des Mannheimer DAV-Bergführers Alexander Birnbaum gemeistert.
Immer wieder geht der Blick zur steil aufragenden, Ehrfurcht einflößenden Schesaplana mit fast 3000 Metern Höhe. Die wäre heute zu viel des Guten, aber ohne Gipfelkreuz wollen wir nicht zurück ins Tal. Also auf zum Panüeler Kopf. Noch einmal eine herausfordernde Stunde mit steilen Anstiegen und Kletterpassagen. Hoch oben auf 2860 Metern, dem höchsten Punkt unserer Tour, genießen wir den Traumblick bis hin zum Bodensee.
Am Abend zieht es die Wanderer in den Gemeinschaftsraum und seine wohlige Atmosphäre. An einem Tisch wird Schach gespielt, am anderen die nächste Tour geplant. Die wenigsten schauen auf ihre Smartphones, es gibt kaum Netz - und WLAN schon gar nicht. Hüttenwirt Matthias setzt genauso wie seine Partnerin Andrea in der Oberzalimhütte ein klares Zeichen: Wer bei ihnen zu Gast ist, wird auf Digital Detox gesetzt. Dafür bieten sie reichlich Abendessen an - und genügend Schnaps zum Verdauen. Und mittendrin Ex-Oberbürgermeister Widder, mit dem wir uns kurzweilig und aufschlussreich über die Geschichte(n) der Hütte und über Mannheim unterhalten.
Der dritte Tag
Ein ruhiger Morgen, der Abstieg ist erst für den Mittag geplant, aber die Beine wollen bewegt werden. Wir wandern zum Aufwärmen an der Felskante entlang zum 2788 Meter hohen Wildberg, unter uns die Wolken. Kurz nach der Rückkehr erreicht eine kleine Delegation der Mannheimer Stadtverwaltung um Bürgermeister Ralf Eisenhauer das Haus.Gemeinsam führt uns Hüttenwirt Matthias durch die gemütlichen Räume und das renovierte Bettenlager mit bis zu 60 Schlafplätzen unter dem Dach.
Seit acht Jahren betreibt er die Hütte im Sommer, den Rest des Jahres kümmert sich der studierte Architekt um die Buchhaltung und werkelt in seiner Tischlerei in Innsbruck. Es gibt nichts, um das er sich nicht kümmert hier oben - inklusive Stromproduktion und Wasseraufbereitung. Matthias sagt: „Wir freuen uns über jeden, der kommt. Wichtig ist, dass sie wissen, wohin sie gehen.“ Zu viele hätten sich in den vergangenen Jahren überschätzt. Pro Saison gebe es acht bis zehn Hubschraubereinsätze wegen Wanderern, die auf dem Weg zur Hütte nicht mehr weiterkommen. Der Kopf sei wichtiger als die Kondition.
Wir müssen aufbrechen, schließlich erwarten uns rund 1600 Höhenmeter Abstieg. Ein letzter wehmütiger Blick auf den Gletscher: Hüttenwirt Matthias erzählt uns zum Abschied, dass der Gletscher momentan zehn Zentimeter pro Tag verliere. Der Sommer ist trocken und warm, der Winter hat zu wenig Schnee gebracht. Ende Juni war die schützende Schneedecke vom Gletscher bereits verschwunden, üblicherweise ist das Eis - wenn überhaupt - nur kurz im August schneefrei. Beim nächsten Besuch wird das Eis weiter zurückgegangen sein, daran besteht kein Zweifel.
Heute zeigt sich die Sonne nur selten, der harte Leibersteig ist wolkenverhangen. Die DAV-Könner geben uns klare Anweisungen, wie wir die einzelnen Passagen am besten bewältigen. Noch eine Stärkung auf der Oberzalimhütte, dann geht‘s hinab ins Tal nach Brand, vorbei an grünen Wiesen und friedlich grasenden Kühen. Unten angekommen, spüren wir erst so richtig die Anstrengung des langen Abstiegs. Auf den letzten Metern werden aber schon die Pläne für die nächste Tour mit der DAV-Sektion Mannheim geschmiedet. Mannheimer Hütte, wir kommen wieder!
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