Dass ihr Baby gesund auf die Welt kommt, haben die Ärzte ausgeschlossen. Die kleine Hannah, die zu dem Zeitpunkt noch im Bauch ihrer Mutter Julia S. eifrig strampelt, steht ein Leben mit höchstwahrscheinlich schwersten Behinderungen bevor, mit sich immer wiederholenden starken Krampfanfällen, die jedes Mal zum Tod führen könnten. Der Grund: Ein überlebenswichtiger Balken zwischen den Gehirnhälften des kleinen Mädchens hat sich nicht entwickelt. „Meine Frauenärztin scannte beim Ultraschall bedenklich lange den Kopf meiner Tochter“, erinnert sich Julia S. noch an den Moment der Schreckensnachricht.
Es ist die 20. Schwangerschaftswoche. Vier Wochen später bestätigt ein Experte aus Frankfurt den Befund. „Ich habe während der Untersuchung nur geweint“, erzählt die 34-Jährige. Mit ihrem Partner musste sie eine schwere Entscheidung treffen, „die schwerste unseres Lebens“, sagt die Ludwigshafenerin. Sie zieht ihren Pullover über die Hände, nur noch ihre Fingerspitzen sind zu sehen, sie ballt zwei Fäuste. „Was bedeutet die Diagnose für unser Kind, für uns? Wie sieht dann das Leben aus? Ist es lebenswert? Diese Fragen beantwortet einem niemand, keiner nimmt einem diese Entscheidung ab.“ Gefasst spricht sie über das, was dann folgt. Eine Woche später macht sie einen Spätabbruch. Medizinische Aufklärung zu diesem Schnitt, so sagt sie, bekommt sie nicht. „Ich dachte bis zum Schluss, dass ich einen Kaiserschnitt haben werde. Vielleicht war ich naiv, aber ich wusste überhaupt nicht, was passieren wird. Wegen der Eile hatte ich auch keinen Geburtsvorbereitungskurs. Ich war vollkommen überfordert.“
Den Verlust verarbeiten
Julia S. muss ihre Tochter in der 25. Woche tot gebären, nachdem das Mädchen durch eine Spritze ins Herz gestorben ist. „Es hat mich zerrissen.“ Die 34-Jährige bricht ab, drückt ihre Hände ineinander. „Ich habe immer ihre Tritte gespürt.“ Drei Tage dauert der Abbruch, weil Julia S. zunächst Hormone nehmen muss, damit der Körper die Geburt einleitet. Danach verabschiedet sich das Paar alleine von seinem Kind. „Auch wenn die Zeit so kurz war, wir nur ein paar Stunden mit unserem Kind hatten, sie bleibt in unseren Herzen. Ich bin die Mutter einer Tochter – und das für immer.“
Jeder Mensch trauert anders – das müssen auch die Eltern der kleinen Hannah erkennen. Julia S. möchte über den Verlust sprechen, ihr Mann will es lieber mit sich selbst ausmachen. „Ich habe mich nach Menschen gesehnt, die wissen, wie es mir geht, die alles selbst durchlebt haben.“ Diese Frauen hat sie gefunden – bei einem Rückbildungskurs für verwaiste Mütter. „Manche fahren sehr viele Kilometer für unseren Kurs“, sagt Sabine Wessely vom Sozialverband katholischer Frauen (SkF). „Keine Mutter, die ihr Kind verloren hat, kann zu einem normalen Rückbildungskurs gehen“, ergänzt sie. „Das ist wirklich wahr, das hätte ich mir niemals vorstellen können“, entgegnet die 34-Jährige. Die Familie war schon für Julia S. da, hat sich gekümmert, „aber so richtig einfühlen konnte sich natürlich niemand. Das gelingt nur Menschen, die dasselbe durchgemacht haben.“
Gemeinsam weinen und lachen
Bevor der Kurs losgeht, hat die Ludwigshafenerin nicht das Bedürfnis, überhaupt vor die Tür zu gehen, „ich habe eigentlich fast nur geweint“. Als sie aber mit den anderen Frauen beim SkF zusammensitzt, merkt sie vor allem eins: „Du darfst auch wieder lachen, es ist in Ordnung, wieder Spaß zu haben. Der Schmerz über den Verlust bleibt sowieso.“ So wie die Frauen zusammen lachen, so weinen sie auch gemeinsam. „Das passiert schon, wenn man die Geschichten der anderen hört – und das ist okay.“
So beginnt der Kurs beim SkF. Die Frauen erzählen von sich, von schwierigen Schwangerschaften, harten Entscheidungen und traumatischen Geburten. Nach intensiven Gesprächen machen die Frauen dieselben Übungen eines normalen Rückbildungskurses – gemeinsam mit Sabine Wessely und Hebamme Maria Winkler. „Wir wollen den Körper, aber vor allem die Psyche der Frauen bei der Heilung unterstützen“, sagt Wessely. Das kann auch Julia S. bestätigen: „Mir hat es geholfen, wieder Freude am Leben zu haben. Und: Ein Geschwisterchen für Hannah ist geplant.“
Gymnastische Übungen
- Ein Rückbildungskurs besteht aus gymnastischen, sportlichen Übungen nach der Entbindung. Während der Schwangerschaft nehmen Frauen an Gewicht zu, was den Beckenboden belastet – und auch die Geburt beansprucht die Muskulatur.
- Nach der Entbindung sollen sich Muskulatur und Gewerbe wieder festigen – etwa durch Übungen in einem Rückbildungskurs, den Frauen zwei bis vier Monate nach der Geburt absolvieren. Die Übungen sollten Teilnehmerinnen zuhause wiederholen.
- Informationen zum Rückbildungskurs für verwaiste Mütter: SkF, Sabine Wessely, Tel.: 0621/1 20 80 13.
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