Apotheken

Medizinisches Cannabis in Mannheim sehr gefragt

Die Cannabis-Legalisierung hat einen Nebeneffekt: Für Ärzte ist das Verschreiben medizinischer Blüten einfacher geworden. Viele Konsumenten nutzen diese Hintertür.

Von 
Steffen Mack
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An diesen Kassen der Collini-Apotheke gibt es Cannabis auf Rezept. Davor stehen meist lange Schlangen. Doch weil die Wartenden auch von hinten nicht fotografiert werden wollen, sind sie kurz beiseite getreten. © Christoph Bluethner

Mannheim. In der Mannheimer Collini-Apotheke ist an diesem Tag kurz vor 12 Uhr nicht viel los. Bis auf eine Kasse muss man vor keiner anstehen. Vor der allerdings hat sich eine Schlange von acht Menschen gebildet, Männer und Frauen unterschiedlicher Altersklassen. Das sei noch gar nichts, erzählen sie. Zu anderen Zeiten stünden hier noch deutlich mehr.

Ein weißes Schild am Schalter zeigt, was es hier gibt. Darauf ist das Blatt einer Hanfpflanze abgebildet, darunter steht „Rezeptannahme“. Doch irgendwo hakt es offenbar gerade. Ein Mann schimpft auf gut Mannemerisch: „Hea, Longer! Es gehd äfach nät vorwädds, jeda Idiot kann sich jetz‘ beim Tele-Dok ä Rezept hole!“

Herstellerfirma versorgt jetzt dreimal so viele Patienten

Das ist in der Tat ein Nebeneffekt der Cannabis-Legalisierung, den viele nicht auf dem Schirm hatten. Mittlerweile ist die Verschreibung von medizinischem Cannabis, hochwertiger und nicht minder wirkungsvoll als illegal auf der Straße erhältliches, sehr viel einfacher geworden. Diese Hintertür nutzen viele Konsumenten, zumal es ansonsten in Deutschland außer Eigenanbau noch keinen legalen Bezugsweg gibt. Die wenigen bisher zugelassenen Hanfclubs haben mit dem Anbau erst begonnen, speziell von der Union regierte Länder sind bei der Zulassung sehr rigide, vor allem Bayern. Daher besorgen sich viele Konsumenten lieber ein ärztliches Rezept, das Internet ist voller teils halbseidener Angebote.

Expertin lobt Abgabe in Apotheken

Auch wenn der Zugang zu medizinischem Cannabis für Konsumenten vom Gesetzgeber so nicht gewollt ist, schließt er nach Meinung von Experten doch eine Lücke in der deutschen Legalisierung.

So schreibt die Rechtsanwältin Franziska Katterbach auf der juristischen Plattform LTO: „Die Abgabe ist kontrolliert, Cannabisprodukte werden ausschließlich in Apotheken vertrieben, was Qualität und Sicherheit gewährleistet.“

Gleiches gelte für den Jugendschutz, weil nur Volljährige ein Rezept einlösen könnten.

„Alle Produkte stammen aus zertifiziertem Anbau und unterliegen strengen Standards, die sowohl pharmazeutische Qualität als auch Konsumentenschutz sicherstellen“, so die Juristin.

Den Apotheken selbst wäre es allerdings lieber, wenn sie sich auf die Ausgabe von medizinischem Cannabis allein an Patienten konzentrieren könnten. Also auf Menschen, die es tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen etwa zur Schmerzlinderung brauchen.

Dass über die erleichterte Verschreibung auch viele an ein Rezept kommen, denen es nur um den Konsum geht, macht die Ausgabe aufwendiger. Mitunter kommt es dann bei bestimmten Sorten auch mal zu Lieferengpässen.

Alexander Daske, Cannabis-Abteilungsleiter der Mannheimer Collini-Apotheke, würde es daher begrüßen, wenn es in Deutschland auch zertifizierte Abgabenstellen für Konsumenten gäbe. Entsprechende Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stießen bei der EU indes auf Widerstand.

Eine Folge ist die sehr viel höhere Nachfrage nach medizinischen Blüten. Das bestätigt am Telefon Albert Schwarzmeier, Geschäftsführer der Kölner Herstellerfirma enua, die auch die Collini-Apotheke in Mannheim beliefert. Sein Unternehmen, das bundesweit zu den drei größten der Branche zähle, habe vor der Cannabis-Legalisierung im April 2024 rund 7.000 Patienten versorgt. Mittlerweile seien es mehr als 20.000. Der Umsatz liege inzwischen bei 20 Millionen Euro im Jahr.

„Wir importieren unser Cannabis aus anderen Ländern, die da schon weiter sind“, berichtet Schwarzmeier. In Deutschland sei wegen der hohen Auflagen derzeit noch kein profitabler Anbau möglich, bedauert der Unternehmer aus dem Rheinland.

Apotheken-Inhaber würde sich weniger Bürokratie wünschen

Für Cannabis-Patienten bedeutet die starke Nachfrage, dass sie jetzt häufig Schlange stehen müssen. Als „MM“-Fotograf Christoph Blüthner davon in der Collini-Apotheke ein Bild machen möchte, gehen die meisten schnell zur Seite. Bis auf drei wollen sie sich nicht mal von hinten fotografieren lassen. „Man wird immer stigmatisiert“, bedauert eine Frau. „Die Leute tun so, als würde ich mich den ganzen Tag zuknallen.“ Dabei brauche sie den Stoff nur zur Unterdrückung ihrer Schmerzen, berauscht sei sie nie. „Ich habe das gut im Griff.“ Warum die Droge in Deutschland nicht ganz legalisiert wird, kann sie wie die anderen hier nicht verstehen. Alkohol sei doch viel schädlicher.

Inhaber Ralf W. Busch bedauert, dass diese Kunden in seiner Apotheke nun so lange warten müssen. Er würde sich deutlich weniger Bürokratie wünschen. Das Problem sei nicht nur, Rezept und Patientendaten aufwendig prüfen zu müssen. Vorgeschrieben werde auch, die jeweilige Sorte erst individuell abzufüllen und zu verpacken. Anders als bei anderen Medikamenten gebe es keine Abgabe in standardisierten Verpackungen.

In den hinteren Räumen riecht es wie in einem Coffeeshop

Die Collini-Apotheke gehört zu den wenigen in der Region, in denen es im großen Stil medizinisches Cannabis gibt. Etwa die Hälfte der Belegschaft wurde entsprechend zusätzlich geschult. Busch hat dafür schon vor fünf Jahren einen zusätzlichen Abteilungsleiter eingestellt, der auch fürs Sterillabor zuständig ist: Alexander Daske. Der sei als Experte deutschlandweit als Referent gefragt, schwärmt Busch.

Alexander Daske, der das Labor und Cannabisabteilung der Apotheke leitet, zeigt eine getrocknete Jealousy-Blüte. © Christoph Bluethner

Daske führt durch die hinteren Räume der Apotheke, wo Cannabis-Blüten abgewogen und verpackt werden. Er berichtet, vor der Legalisierung hätten sie einige Hundert Patienten versorgt, nun seien es mehrere Tausend. Es riecht wie in einem niederländischen Coffeeshop. „Wenn Sie hier arbeiten, bemerken Sie das nicht mehr“, sagt Daske. „Die Nase gewöhnt sich schnell daran.“ Er zeigt eine Blüte der Sorte Jealousy, also auf Deutsch Eifersucht. Mehr als 800 Varianten gibt es, je nach individuellem Leiden und erforderlicher Wirkungsweise.

Für Cannabis-Patienten hat die erleichterte Verschreibung laut Daske außer dem stärkeren Andrang noch einen weiteren Nachteil, der vermutlich noch ärgerlicher ist: Die Kosten würden deutlich seltener von den Krankenkassen übernommen. Noch am häufigsten bei chronischen Schmerzen, Multiple Sklerose und in der Palliativmedizin, schwieriger sei es bei Chemotherapien. Bei psychischen Erkrankungen dagegen gebe es „fast keine Chance“. Dann müssen die Betroffenen selbst zahlen, das Gramm kostet - je nach Sorte - in der Collini-Apotheke zwischen fünf und 14 Euro. Das entspricht dem Vernehmen nach in etwa den Schmarzmarkt-Preisen. Eigenanbau ist natürlich günstiger.

Patienten können sich ihre Blüten auch noch Hause schicken lassen

Cannabis-Patienten können sich den Stoff auch nach Hause schicken lassen. Aber weil eine persönliche Zustellung wie bei Einschreiben vorgeschrieben ist, entstehen zusätzliche Kosten. Daske beziffert sie auf acht bis zehn Euro pro Sendung. Da nehmen viele lieber das Schlangestehen in Kauf. Einmal im Monat kann man ein Rezept für maximal 30 Gramm ausgestellt bekommen.

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Wer keine Blüten rauchen will oder aus gesundheitlichen Gründen nicht kann, hat als Alternativen Kapseln und Teezusatz. Der Nahrungsweg etwa über Kekse (sogenannte Space Cakes), wie sie in niederländischen Coffeesphops angeboten werden, sei für medizinisches Cannabis ungeeignet, erläutert Daske. Es lasse sich auf diese Weise nur schwer dosieren.

Allerdings gebe es in diesem Bereich bald doch eine Neuerung, kündigt der Mannheimer Experte an. Gummibärchen mit entsprechenden Wirkstoffen für Patienten seien kurz vor der Zulassung. Das wird die Schlangen in den Apotheken vermutlich nicht kleiner machen.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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