Mannheim. An einem sonnigen Nachmittag hört Michael Sinthern draußen plötzlich Tiergeschrei. „Ich dachte: Eine Krähe hat irgendwas angegriffen“, erzählt der Mannheimer. „Dann war da noch so ein Fiepen, das ich nicht zuordnen konnte, vielleicht eine kleine Katze.“ Er trat auf den Balkon seines Hauses in der Gartenstadt und merkte, dass die Geräusche von der Dachschräge hinter ihm kamen. Mit dem Raubvogel lag er richtig, aber das fiepende Fellknäuel war kein Kätzchen, sondern ein Marder-Baby.
Sinthern verscheuchte die Krähe. Aber seine Lebensgefährtin Sandra fürchtete, sie könnte zurückkommen und das kleine Wildtier massakrieren. „Daraufhin hat sie die 110 angerufen“, lacht Sinthern. „Frauen halt . . .“ Der Polizist am Notruftelefon sei sehr nett gewesen. Er habe bedauert, leider nichts tun zu können. Später habe Sandra beobachtet, wie das Marder-Baby von einem größeren Tier wieder unters schützende Dach gezogen worden sei.
Am nächsten Tag meldete sich dann der - von der Polizei verständigte - zuständige Jäger, Hans-Peter Schnabel. Er kam vorbei, sah sich alles an und brachte eine beunruhigende Nachricht mit: Ein Steinmarder-Wurf bestehe in der Regel aus zwei bis vier Jungtieren. Er halte es für sehr unwahrscheinlich, dass nur das eine Baby unterm Dach lebe.
Sinthern hat nun eine bewegungsgesteuerte Wildkamera installiert. Bilder zeigen einen ausgewachsenen Marder, der auf dem Dach entlang huscht. Vielleicht sind es auch zwei: Laut Schnabel wird der Nachwuchs zwar von den Müttern aufgezogen. Aber oft schauten die Väter immer wieder mal vorbei.
Mit einer Gesamtfläche von etwa 100 Quadratmetern bietet Sintherns Dach den nachtaktiven Tieren viel Unterschlupf. „Der Herr Schnabel hat mir gesagt, eine kleine Öffnung in Kopfgröße genügt schon. Dann quetschen sie sich hinein.“ Die Bleimanschetten an den Rändern ließen sich leicht wegbiegen.
Völlig überraschend sind die Marder indes nicht gekommen. Die Straße - mit dem schönen Namen Sonnenschein - liegt nur einen kräftigen Steinwurf vom Käfertaler Wald entfernt. „Hier sieht man die Viecher ständig rumlaufen“, sagt Sinthern. Zwei Mal seien ihm schon Autokabel durchgebissen worden. Sie hätten auch immer wieder nachts Geräusche auf dem Dach gehört. „Aber wir dachten, die haben es nur versucht und sind nicht reingekommen.“
Sinthern, eigentlich tierlieb, hat mit Mardern schlechte Erfahrungen. Er gehört zum Ensemble der Freilichtbühne in der Gartenstadt, hinter den Kulissen hätten sich schon mehrere herumgetrieben. „Die machen alles kaputt!“ Die Tiere würden Löcher ins Dach fressen, Dämmmaterial zerstören, Rohre annagen, und, und, und. Dazu käme der bestialische Gestank. Auch, weil die Raubtiere ihren Kindern oft tote Ratten oder Vögel brächten.
So weiß Sinthern, was nun seinem Zuhause droht. Tun kann er nicht viel. Nur Jäger dürfen Marder fangen oder erlegen, und das nicht in der Schonzeit von Mitte Februar bis Oktober. Auch die Zugänge zum Dach professionell verschließen zu lassen, wäre für Sinthern und die Frauen im Haus - neben der Lebensgefährtin noch deren 20-jährige Tochter - keine Lösung. Ohne elterlichen Nahrungsmittel-Nachschub würde der Nachwuchs verhungern.
Tipps zum Umgang mit Mardern
- Steinmarder zählen zum jagdbaren Wild. Das bedeutet auch, dass sie lediglich von Jägern gefangen oder getötet werden dürfen.
- Wer die Tiere bei sich im Haus hat, kann sich außerhalb der Schonzeit – die von Mitte Februar bis Oktober geht – unter der Mailadresse 31jagd@mannheim.de an die Stadt wenden, die Kontakt zu einem Jäger herstellt. Der prüft dann die Gegebenheiten vor Ort, ob etwa eine Lebendfalle in Betracht kommt.
- In der Schonzeit bleibt laut Stadtsprecherin Désirée Leisner nur die Möglichkeit, Marder zu vergrämen, also sie etwa durch Geruchsstoffe oder Töne zu vertreiben.
- Eine Möglichkeit sei auch, mit Hilfe eines Dachdeckers ihre Zugangsmöglichkeiten zu verschließen – allerdings nicht zwischen März und Juli. „Die ausgewachsenen Marder könnten dann von ihren Jungen getrennt werden, wodurch diese verhungern würden“, so Leisner.
- Generell warnt die Stadt davor, die Wildtiere beispielsweise mit liegengebliebenem Fallobst oder offenstehenden Mülltonnen anzulocken. Eine dauerhafte Nahrungsquelle mache es Mardern besonders attraktiv, sich niederzulassen.
Also bleibt nur eines: Man müsse es den Tieren so ungemütlich wie möglich machen, berichtet Jäger Schnabel am Telefon. In der Fachsprache heißt das vergrämen. Dazu hat Sinthern etwa ein spezielles Ultraschallgerät mit Bewegungsmelder aufgestellt. Das Geräusch, für Menschen nicht hörbar, empfinden Marder als störend. „Allerdings können sie sich daran gewöhnen“, sagt Schnabel. Auf seinen Rat hin lässt Sinthern mit einer Zeitschaltuhr auch immer wieder den Radiowecker laufen. Außerdem hat er sich ein Geruchsmittel gegen Marder gekauft, das er mit einer Sprühflasche aufs Dach verteilt. „Eigentlich wollten wir jetzt eine Solaranlage drauf machen“, sagt er. „Aber das können wir erstmal vergessen.“
Und was macht Sinthern, falls sich die Marder nicht vergrämen lassen? Warten bis Oktober, wenn die Schonzeit endet? Er zuckt mit den Schultern. Im Nachhinein wäre es vielleicht schlauer gewesen, sich nicht in den Kampf mit der Krähe einzumischen, meint er. Sondern einfach der Natur ihren Lauf gelassen. Bereut das der Mann wirklich? Nach kurzem Überlegen sagt er: „Ich würde es wohl wieder so machen.“ Bei einem „Eins gegen Eins“ mit einem ausgewachsenen Marder hätte er sich herausgehalten. „Aber so ein Baby, das ist schon was anderes.“ Seine Rettungsaktion habe ihm immerhin auch einige Herz-Emojis von der Tochter eingebracht. Er beteuert, auch grundsätzlich gar nichts gegen die kleinen Raubtiere zu haben. „Ich will nur, dass sie mein Auto und mein Dach in Ruhe lassen.“ Ein verständlicher Wunsch.
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