An diesem Samstag ist sie 100 Tage im Amt: Umweltbürger-meisterin Diana Pretzell (Grüne) spricht über das Aus fürs Grosskraftwerk, die Rhein-dammsanierung und die autofreie Innenstadt. Von Thorsten Langscheid
Frau Pretzell, wie fällt Ihr persönlicher Rückblick auf die ersten 100 Tage als Bürgermeisterin für Bürgerservice, Klima- und Umweltschutz und technische Betriebe aus? Welches Ereignis war das schönste, welches das unangenehmste?
Diana Pretzell: Das Schönste ist, wie sehr herzlich ich empfangen wurde. Das motiviert mich, eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu suchen – in der Stadtverwaltung, im Gemeinderat und mit vielen Bürgern, die mir positiv entgegenkommen. Unangenehme Erfahrungen habe ich bisher nicht gemacht.
Was war völlig anders, als Sie es erwartet haben?
Pretzell: Ich komme von der internationalen Organisation WWF aus einer durchdigitalisierten Arbeitswelt und bin überrascht, wie papierlastig die Stadtverwaltung in manchen Prozessen agiert. Daran muss ich mich gewöhnen. Freudig überrascht hat mich, wie national und international unsere Arbeit ausgerichtet ist. Wir sind im Austausch gerade auch mit vielen europäischen Institutionen, und Mannheim hat bei vielen Themen eine Modell- oder Vorbildfunktion.
Zum Beispiel?
Pretzell: Beim Europäischen Green Deal wollen wir zur Modellstadt werden, dazu haben wir eine Geschäftsstelle eingerichtet, die sich auch um das europäische Bauhaus kümmert. Auch die großangelegte Neckar-Renaturierung ist zur Zeit das größte Projekt dieser Art in Baden-Württemberg. Oder unsere Kläranlage, die mit ihrer vierten Reinigungsstufe und der Entfernung von Mikroplastik aus dem Abwasser Vorreiter ist. Und es gibt sicher weitere spannende Beispiele.
Haben Sie sich ein Ziel gesetzt, wie viel CO2 Sie in Ihrer Amtszeit einsparen wollen? Können Sie das sagen: so und so viele Tonnen am Tag?
Pretzell: Das langfristige Ziel muss die Klimaneutralität sein. Gerade erarbeiten wir den Klimaschutzaktionsplan, der eines der Herzstücke unserer politischen Arbeit in den nächsten Jahren sein wird. Wir wollen diesen Weg gehen und müssen dazu auch die Entkarbonisierung vorantreiben. Im gerade in Gründung befindlichen Joint Venture Smart City wollen wir digitale Instrumente nutzen, um die Dekarbonisierung voranzubringen. Der Green Deal für Mannheim soll mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Nachhaltigkeit und die Einsparung von Kohlendioxid-Emissionen aushandeln. Gerne würden wir uns hier auch zur europäischen Modellstadt entwickeln.
Ich würde das gerne mal ins Mannemerische übersetzen: Sie wollen die Autos raus aus der Innenstadt schaffen und das Grosskraftwerk stilllegen …
Pretzell: Das Grosskraftwerk vom Netz nehmen, ja, das steht ja seit einiger Zeit fest. Aber es geht dabei um viel mehr: Es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Pakt zum Klimaschutz und zur sozialen Teilhabe, und es geht darum, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternativen zur Kohleverbrennung zu entwickeln und zu nutzen.
Wie gehen Sie mit all denen um, die mehr oder weniger berechtigte Sorgen und Ängste vor den Kohle-Alternativen haben? Beispiel Windräder im Norden oder Erdwärme im Süden der Stadt?
Pretzell: Fakten, Fakten und noch mal Fakten. Wir müssen transparent und offen in den Dialog mit allen Beteiligten und Betroffenen gehen und deutlich machen, was wir vorhaben. Natürlich wollen wir eine großangelegte Solar-Offensive, aber wir brauchen auch andere Technologien, wenn die Energiewende gelingen soll.
Sie geben ein hohes Arbeitstempo vor (sagen Ihre Mitarbeiter). Wie machen Sie das, und vor allem: Kommen da alle mit im Dezernat?
Pretzell: Ich fühle mich bisher mit unserer Arbeit und auch dem Tempo wohl. Die Beteiligung meiner Kolleginnen und meines Führungsteams ist mir wichtig. Dazu haben wir neue Instrumente entwickelt, die unsere Zusammenarbeit stärken, die Kollegen und Mitarbeiter mitnehmen, dabei aber auch die Verwaltung noch bürgernäher gestalten. Dazu zählen Stand-up-Gespräche zu schnell zu lösenden Themen oder ein Info-Video für die Mitarbeiter. Auch konnte ich schon viele Arbeitsfelder der Kollegen vor Ort erleben – soweit das unter Pandemie-Bedingungen möglich ist. Dazu war ich beispielsweise bei den Kollegen im Forst, im Friedhof, beim Klärwerk und der Abfallwirtschaft unterwegs, um die jeweils spezifische Arbeitsweise zu verstehen und um Potenziale kennenzulernen. Denn nur dann können wir gemeinsam unsere Ziele erreichen.
Sie haben sich ins Buga-Thema schnell eingearbeitet. Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass diese Gartenschau tatsächlich klimaneutral und nachhaltig werden kann?
Pretzell: Das ist ein sehr spannender Prozess, bei dem ich mich dort, wo ich noch Einfluss nehmen kann, einbringen werde. Die großen Entscheidungen zum Grünzug Nordost wurden ja schon früher getroffen, aber was die Bundesgartenschau 2023 als Veranstaltung angeht, ist durchaus noch einiges möglich. Wir sind gerade dabei, ein strategisches Leitsystem zu entwickeln, um die Buga bestmöglich in Richtung Klimaneutralität und Nachhaltigkeit zu gestalten.
Bei der Buga, aber wahrscheinlich noch mehr in der Auseinander-setzung um die Rheindammsanierung liegen große Hoffnungen auf Ihnen und Ihrem Dezernat. Haben Sie manchmal Angst, dass Sie diese Hoffnungen am Ende enttäuschen müssen?
Pretzell: Wir befinden uns bei dem Vorhaben Rheindammsanierung zur Zeit an einer Stelle, wo wir viele Chancen haben, um eine gute gemeinsame Lösung zu erarbeiten, die den Ansprüchen der Bürger und unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden kann. Ich glaube allerdings auch, dass dies einige Zeit in Anspruch nehmen wird, es wird also ein langes Verfahren werden. Mein Ziel dabei ist es, dass wir durch gute Vorschläge, wie wir Hochwasserschutz und Naturschutz in Einklang bringen, am Ende auch zu einer guten Lösung kommen werden.
Ein grüner Umweltminister in Stuttgart mit Wurzeln in der Region wie André Baumann könnte da hilfreich sein …
Pretzell: Sicher, doch müssen wir hier gespannt die Koalitionsverhandlungen und die Regierungsbildung abwarten.
Das Thema Baumschutz steht auch beim Waldumbau im Mittelpunkt, viele Menschen reagieren da sehr emotional. Welche Erfahrungen mit Baumschützern haben Sie gemacht?
Pretzell: Ich bin vor allen Dingen beeindruckt, wie viele Menschen sich für den Wald interessieren und sich für seinen Schutz und für seine Weiterentwicklung einsetzen. In der Forstwirtschaft in unseren Stadtwäldern geht es nicht um die Holzernte, sondern darum, wie der Wald in Zukunft aussehen und überleben kann. Unser Wald ist dabei Erholungswald, Klimaschutzwald und ein besonderer Naturraum. Genau so einen vielfältigen Wald wollen wir für zukünftige Generationen gestalten.
Von wem stammt die Idee, bei den Fällungen im Stadtwald ein einfaches Infoschild aufzuhängen? Das ist bei vielen Bürgern vor Ort ausgesprochen gut angekommen.
Pretzell: Das hat mich ebenfalls begeistert. Die Schilder waren eine Idee der Forst-Kollegen vor Ort. Dass die Bürger dies so gut annehmen, zeigt, wie wichtig es ist, noch genauer zu erklären und zu informieren, was wir machen. Diesen Weg wollen wir fortsetzen.
Unpopuläre Maßnahmen wie Gebührenerhöhungen verkündet niemand gerne. Welche Reaktionen bekommen Sie auf die Abfallgebühren-erhöhungen?
Pretzell: Die Mannheimer scheinen genau zu verstehen, dass es vor allem um die Einführung der Biotonne geht. Wenn man sich als Gebührenzahler klug verhält, kann man mit der Biotonne sogar Geld sparen. Wir bekommen daher bisher keine negativen Reaktionen.
Die autofreie oder zumindest autoarme Innenstadt – ein grünes Vorzeigeprojekt – rückt näher. Das finden viele Einzelhändler in den Quadraten nicht so wirklich erfreulich. Gab es schon ein Kennenlernen mit Handelsverband, Werbegemeinschaft Mannheim-City und der Industrie- und Handelskammer? Und war es sehr verkrampft?
Pretzell: Ja, gab es (lacht). Und nein, es war gar nicht verkrampft. Im Gegenteil: Mich hat gefreut, dass wir hinsichtlich der Entwicklung der Innenstadt ähnliche Ziele verfolgen wie zum Beispiel die Begrünung, da die Notwendigkeit gesehen wird, in der Innenstadt zu weiteren Verbesserungen der Aufenthaltsqualität zu kommen. Meine Gesprächspartner haben sich weniger parkende Autos in der Innenstadt gewünscht. Die Begrünung sollte in Richtung Buga 2023 sichtbar sein, und insgesamt sollte die Buga 2023 auch in der Innenstadt eine Rolle spielen.
Stichwort Parkplätze zu Grün- flächen – wie in M4a . Das ist ja geradezu ein urgrünes Symbol. Wie geht es an der Stelle weiter?
Pretzell: Wir haben bei diesem Projekt Studierende der Hochschule in Nürtingen einbezogen. Geplant wird es aber im Baudezernat, deswegen bin ich selbst auf die Ergebnisse gespannt.
Die informellen Sachstands-berichte zu Beginn der Tages-ordnung in den Ausschüssen des Gemeinderats, die Sie – gemein-sam mit ihrem Kollegen Ralf Eisenhauer von der SPD – leiten, kommen gut an. Ihre Idee?
Pretzell: Das war eine gemeinsame Idee, die wir ganz zu Beginn unserer Gespräche, wie wir unsere Arbeit in den Gremien gestalten wollen, festgelegt haben. Der Wunsch dabei war, inhaltlich einen größeren Bogen in der Arbeit mit den Mitgliedern des Gemeinderats und den Mitarbeitern der Verwaltung zu spannen. Schön, wenn uns das gelingt.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Gemein-deratsfraktion und zum Kreis-verband Ihrer Partei? Von außen hat man insbesondere beim grünen Kreisverband mitunter den Eindruck, dass manches doch sehr lange dauert und man stark auf Empfindlichkeiten und „Kleiderordnungen“ achtet.
Pretzell: Das erlebe ich ganz anders. Wir haben sehr offene und transparente Prozesse, die gleichberechtigt ablaufen, Entscheidungen werden schnell und klar getroffen. Positiv finde ich auch, dass es in der Fraktion und im Kreisverband klare thematische Zuständigkeiten gibt.
Wie sieht’s eigentlich bei den Einbürgerungen aus? Hat die Pandemie hier einen Effekt? Sind mehr oder weniger Neu-Mannheimer zu begrüßen?
Pretzell: Wir haben hier Zahlen vorliegen, die einen gleichbleibenden Trend anzeigen. Mannheim ist eine so vielfältige Stadt, und diese Vielfalt wollen wir gemeinsam gestalten und weiterentwickeln – während der Pandemie und natürlich auch in der Zeit danach.
Stichwort Digitalisierung: Gibt die Pandemie für die Bürger-dienste einen neuen Schub?
Pretzell: Natürlich sind die Bürgerdienste prädestiniert, die Digitalisierung der Stadtverwaltung und der Dienstleistungen für die Bürger voranzutreiben. Das werden wir auch weiterhin machen. Zudem sind die Bürgerdienste vor Ort in den Stadtteilen sehr gut verankert und vernetzt und haben eine hohe Stadtteilkompetenz, auf die wir nicht verzichten sollten. Denn so können wir den Bürgern Nähe und Schnelligkeit durch Digitalisierung bieten.
Also keine Verkürzung von Öffnungszeiten und Schließung von Dienststellen zugunsten von digitalen Angeboten in nächster Zeit?
Pretzell: Das ist nicht weiter geplant.
Sie haben sich an Tag 1 Ihrer Amtszeit bei den Bürgerdiensten angemeldet. Haben Sie am Tag 100 alle Behördengänge erledigt?
Pretzell: Kurze Antwort: ja, alles erledigt. Mein Mann und ich sind schon länger angemeldete Mannheimer. Und freuen uns drüber.
- Diana Pretzell, geboren am 11. Mai 1971, aufgewachsen im Rheinland, leitet als Bürgermeisterin das Dezernat V der Stadtverwaltung mit etwa 1400 Mitarbeitern.
- Vor ihrer Wahl zur Bürgermeisterin arbeitete sie als Direktorin für Biodiversitätspolitik beim Umweltverband WWF Deutschland in Berlin.
- Zuvor leitete sie seit 2012 die Naturschutz-Abteilung des WWF, in der sie auf EU-Ebene sowie im Bund und den Ländern tätig und für die Umsetzung von Arten- und Naturschutzprojekten zuständig war.
- Pretzell hat eine Honorarprofessur an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (Brandenburg) inne.
- Pretzell studierte in Freiburg Forstwissenschaften und in Hohenheim Journalismus. In ihrer Promotion 2003 befasste sie sich mit „Öffentlichkeitsarbeit im Naturschutz“.
- Anschließend arbeitete sie bis 2012 im Regionalbüro „Naturgarten Kaiserstuhl“ des baden-württembergischen Umweltministeriums.
- Diana Pretzell absolvierte Weiterbildungen zum systemischen Coach sowie an der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin.
- Mit ihrem Ehemann ist sie zum Amtsantritt nach Mannheim umgezogen. Das Paar erwartet im Juli sein erstes Kind. lang
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