Mannheim. Schon am Anfang fällt es Miriam Vogt schwer, ihre Tränen zurückzuhalten. Obwohl nur das Grußwort zum Fotoprojekt „Seideinfreund“ im Kunstverein ertönt, rinnen Tränen aus ihren glasigen Augen. Sie trägt einen Tüllrock mit aufgestickten Schmetterlingen. Beim Kunstprojekt, durch das Frauen mit Brustkrebs anderen Betroffenen Mut machen wollen, war sie die Einzige, die sich oben ohne fotografieren lies. Ganz bewusst: „Wir Frauen sind auch nach dem Krebs immer noch schön“, sagt sie. „Doch fürs oben ohne Zeigen bekomme ich im Netz schlimme Kommentare: ‚Mit Brustkrebs zeigt man sich so nicht‘, ist noch das Harmloseste, was ich da zu lesen bekomme“, so Vogt.
Seideinfreund-Shooting für Brustkrebsbetroffene: Der Schmetterling als Leitmotiv
Das Treffen an diesem Abend ist besonders. Vor allem, weil es voller verschiedener - starker - Emotionen steckt. Zwischen Trauer, Witz, Nachdenklichkeit und Lebensfreude. „Da war vielleicht was los im Pflanzenschauhaus“, sagt Fotografin Annette Mueck grinsend, nachdem Vogt beschreibt, wie sie dort oben ohne abgelichtet wurde. „Früher hätte ich mich nie so öffentlich gezeigt. Jetzt will ich Mut machen. Ich habe das Motiv Schmetterling gewählt, weil es viel mit Entwickeln zu tun hat. Was bei einer Krebsgeschichte wichtig ist. Nach der Raupe kommt auch irgendwann ein Schmetterling“, sagt Vogt und schluckt.
"Ich stand voll im Saft"
„Als ich die Diagnose bekommen habe stand ich voll im Saft, beruflich wie familiär“, sagt indes Mandy van den Bosch Macri. Ihr gehört der Friseursalon Pam Hairstyle auf dem Lindenhof. „Die Diagnose kam mit einer sehr ungünstigen Prognose. Und somit musste ich mit dem Thema Tod auseinandersetzen. Es tat mir gut, dass damals Angelina Jolie in die Öffentlichkeit gegangen ist, mit der Entscheidung, sich die Brüste vorsorglich abnehmen zu lassen wegen ihres erblichen Brustkrebsrisikos“, sagt sie. „Denn mein Selbstwertgefühl nahm damals Schaden“, sagt die Friseurin. „Aber so habe ich gesehen, ich bin nicht alleine.“ „Wir wollten keine ,Frauen mit Glatzen oder Turban, die mit Augenringen in die Kamera schauen‘-Bilder machen“, sagt Annette Mueck, die diese mediale Darstellung von Brustkrebs oft als selbst Betroffene gestört hat. „Wir wollen sagen, dass das Leben weiter gehen kann und es gut ist, wenn es intensiv gelebt wird.“
Nicoletta Prevete sagt: „Viele Betroffene, auch junge Frauen müssen ernst genommen und nicht belächtelt werden, wenn sie sagen: Da ist doch ein Knoten, da muss man nachschauen.“ Denn manchmal passiere das nicht. Auch Hannah aus Mannheim sagt, die Vorsorge habe ihr Leben gerettet, es sei Gewebe entdeckt worden, das „kurz davor war, Krebs zu werden“. Sie trägt eine Genmutation, bei der engmaschige Kontrollen besonders wichtig sind.
Risiko erblicher Brustkrebs: Engmaschige Vorsorge empfohlen
Doch viele Frauen wissen gar nicht, dass sie Trägerin der Mutation sind. Kühn musste sich vorsorglich die Brüste abnehmen lassen. „Brustkrebs ist eine Krankheit, die sichtbar wird. Die einen verändert. Aber wir sind mehr als unsere Narben“, sagt die junge Mannheimerin. „Ich bin immer noch in einem Prozess, auch wenn die Operationen soweit abgeschlossen ist. Man identifiziert sich viel über die Brüste“, sagt sie. „Das Shooting hat mir Kraft gegeben, ich hatte damals noch ein bisschen eine Asymmetrie. Ich bin weiblich, auch wenn ich nicht mehr meine eigenen Brüste habe“, so Kühn. „Das Foto hat mich monatelang getragen.“
Spendenkonto für Mannheimer Seideinfreund-Projekt
- Die Gruppe bestehend aus Modedesignerin Regine Maier, Fotografin Annette Mueck, Journalistin Nicoletta Prevete und Makeup-Artistin Kerstin Schmeing will mit ihren Shootings Brustkrebs öffentlich machen. Es geht um Mutmachen und Aufklärung. „Die Fotos sollen nicht im Klinikkeller hängen.“
- Nun sind sie in Mannheim auf der Suche nach Ausstellungsmöglichkeiten für die Fotos, die sie auf LKW-Planen haben drucken lassen. Im Hof des Kunstvereins hängen sie schon probeweise.
- Spendenkonto für mehr Shootings und LKW-Planen: Nicoletta Prevete, Stichwort: Seideinfreund, DE 81 6709 0000 0500 231610
„Wenn du krank bist, hast du diesen Stempel“, sagt auch Bianca von der Heyde aus Limburgerhof. „Beim Shooting konnte ich ich selbst sein. Ich wollte meinen Optimismus behalten, mich nicht von dieser Krankheit verändern lassen“, so auch ihr Mantra für die Zeit nach der Diagnose. Verewigt hat sie das jetzt auf dem Foto, und ein von der Mannheimer Modedesignerin Regine Maier eigens dafür designtes Outfit erinnert dabei an ihre Leidenschaft „Pferde“. Jede Location und jedes Outfit soll die Persönlichkeit der Betroffenen und ihre Situation widerspiegeln, so das Seideinfreund-Team. Von der Heyde: „Lebe Dein Leben. Vergeude es nicht! Jeder Krebs ist anders. Krebs heißt nicht automatisch Endstation. Jede Erkrankung ist anders. Jede Frau, jede Situation ist anders. Auch nach diesem Mist kann es wieder ein schönes Leben geben.“
„Die Krankheit nimmt dir deine Selbstdefinition, du bist nicht Ehefrau, nicht Journalistin, nicht Freundin“, sagt auch Prevete. „Auch wenn dich Leute leidend angucken und gleich eine Beileidsbekundung aussprechen wollen“, wollte sie sich von der Negativität nicht einnehmen lassen. Sie betont: „Es gibt heute sehr gute Behandlungsmöglichkeiten“ - und will mit Seideinfreund Lebensbejahung schenken. Man wolle mit der Kunst auch etwas erschaffen. „Es kam auch der Gedanke während der Therapie: Mist, was, wenn das hier schiefläuft. Was hinterlasse ich?“, so van den Bosch Macri. „Als ich meinen Insta-Auftritt gemacht habe, war das Verarbeitung“, erzählt eine Betroffene am Rande des Events. „Aber während ich ihn pflege, schwingt der Gedanke mit, es ist etwas, das bleibt.“ Sie erzählt, dass ihre Mutter jung an Brustkrebs starb. Auch sie trägt die Genmutation und erkrankte. „Ich habe zwei Töchter. Ich bin ich mir sicher: Eine von beiden hat das Gen.“
Hilfe bei familiären Krebserkrankungen
- Bei knapp einem Drittel aller Brustkrebspatientinnen gibt es laut DKFZ Heidelberg Hinweise auf eine mögliche erbliche Belastung in der Familie. Aber nur beim kleineren Teil der betroffenen Familien steckt eine erbliche Veränderung in einem bekannten Risiko-Gen dahinter – am häufigsten in den Genen BRCA1 und BRCA2.
- Bei Verdacht auf erbliche Belastung können Sie sich in einem spezialisierten Zentrum beraten lassen. Je nach Ergebnis des Beratungsgesprächs kann ein Gentest auf Risiko-Genveränderungen durchgeführt werden – vorzugsweise zunächst bei einem erkrankten Familienmitglied.
- Für erbliche belastete Frauen gibt es verschiedene Möglichkeiten, ihr Risiko zu senken – vor allem eine engmaschige Früherkennung und manchmal auch vorbeugende Operationen. Etwa die Entfernung der Brüste oder der Eierstöcke. Alle Infos, Kontakte dazu unter gibt es beim DKFZ in einem Kurz-PDF.
- Die Broschüre zum Thema gibt es beim DKFZ auch in Leichter Sprache.
- Infos , Erfahrungsberichte und (Entscheidungs-)Hilfe etwa zu Gentests bei familiären Krebserkrankungen gibt es etwa unter https://www.brca-netzwerk.de/genetisches-risiko.
- Es gibt auch Online-Entscheidungshilfen, wie etwa "Gentest Ja oder Nein?" oder "Was tun nach Genbefund?"
Alle Bilder und Infos auch unter www.seideinfreund.blog
Sonderfall Genmutation: Das Deutsche Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs empfiehlt zurzeit einen Test auf eine BRCA-Genveränderung, wenn auf einer Familienseite mindestens
- drei Frauen unabhängig vom Alter an Brustkrebs erkrankt sind.
- zwei Frauen an Brustkrebs erkrankt sind, eine davon vor dem 51. Geburtstag.
- eine Frau an Brustkrebs und eine Frau an Eierstockkrebs erkrankt sind oder eine Frau an beidem erkrankt ist.
- zwei Frauen unabhängig vom Alter an Eierstockkrebs erkrankt sind.
- eine Frau vor dem 36. Geburtstag an Brustkrebs erkrankt ist.
- eine Frau an beidseitigem Brustkrebs erkrankt ist, zum ersten Mal vor dem 51. Geburtstag.
- ein Mann an Brustkrebs erkrankt ist.
Sonderfall eigene Erkrankung
- Wenn eine Frau vor ihrem 60. Geburtstag an einem sogenannten triple-negativem Brustkrebs oder vor ihrem 80. Geburtstag an
- Eierstockkrebs erkrankt, wird ihr ebenfalls empfohlen, sich testen zu lassen.
Es kann auch hiervon abweichende Empfehlungen geben – fragen Sie im Zweifelsfall bei DKFZ oder ihrem Arzt oder ihrer Ärztin nach.
Wie wirken sich Risiko-Genveränderungen genau aus - auch für Männer?
Etwa 70 von 100 Frauen mit einer BRCA-Genveränderung erkranken bis zu ihrem 80. Lebensjahr an Brustkrebs. Für Eierstockkrebs sind es etwa 45 von 100 Frauen mit BRCA1- und 20 von 100 Frauen mit BRCA2-Genveränderung. Auch für Männer erhöht sich das Brustkrebsrisiko vor allem durch eine BRCA2-Mutation. Es ist mit etwa sieben Prozent aber immer noch niedriger als das Risiko von Frauen, die keine Risiko-Genveränderung tragen. Männer haben außerdem ein etwas erhöhtes Risiko, vergleichsweise jung an Prostatakrebs zu erkranken. Auch Bauchspeicheldrüsen- oder Hautkrebs sind mit der Mutation assoziert.
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[5] https://www.krebsinformationsdienst.de/service/iblatt/iblatt-familiaerer-brust-u-eierstockkrebs.pdf
[6] https://www.krebsinformationsdienst.de/