Wohin man denn wohl gehen müsse, wenn man etwas sehen wolle, was es Besonderes hier gebe, will David Julian Kirchner von einem Bewohner von Hummetroth wissen. Der Mann schlägt vor: „Da unten der Brunnen.“ Damit ist eigentlich alles gesagt. Da unten am Brunnen ist – nichts. Außer, eben, ja ein Brunnen, aus dem Wasser in ein Becken plätschert. „Vielleicht heißt der Odenwald ja Odenwald, weil er öde ist“, fragt sich Kirchner, der eigentlich Künstler und Musiker in Mannheim ist, im Auftrag des SWR nun aber deutsche Provinzen bereist, die sich durch das etwas sperrige Wort „strukturschwach“ auszeichnen.
80 Tage in deutschen Käffern
Oder wie es der Mann aus Hummetroth auf den Punkt bringt: „Die jungen Leute ziehen hier weg, die ziehen in die Stadt, da können sie was erleben.“ Aber da kommt Kirchner gerade her, aus der Stadt, so wie Philipp Kohl, Maximilian Damm und Donni Schoenemond – und zusammen haben sie die andere Richtung eingeschlagen, raus aufs Land, um in 80 Tagen zu ergründen, wie die Menschen dort leben.
Ein Roadmovie zu den vermeintlich Abgehängten der Republik
- Die sechs jeweils 30-minütigen Folgen der SWR-Doku „DeutschRand – Stadt, Land, Kluft?!“ stehen ab Dienstag, 7. Juni, online in der ARD-Mediathek.
- Die vier Mannheimer David Julian Kirchner, Philipp Kohl, Maximilian Damm und Donni Schoenemond besuchen vermeintlich abgehängte Käffer und Menschen.
- Kirchner (39) kommt aus Mainz, er ist Künstler und Musiker.
- Kohl (38) wurde in Mannheim geboren und arbeitet als Filmemacher, Autor sowie Musiker.
- Damm (33) , im Odenwald aufgewachsen, wirkt als Regisseur und Produzent an Filmproduktionen.
- Schoenemond (38) , als Dominik Alexander Meeth in der Eifel geboren, kam zum Studium an der Popakademie nach Mannheim. Er ist Regisseur und Kameramann.
„Was wissen die, was ich nicht weiß?“, fragt sich Kirchner, der die Rolle des Reisenden übernimmt, und kommt am geografischen Ende Deutschlands beim Blick auf die schäumenden Wellen der Nordsee zu der Erkenntnis: „Vielleicht ist die Kluft zwischen Stadt und Land gar nicht so groß, wenn wir reden, uns zuhören.“ Reden und zuhören – das ist es, was Kirchner vor allem macht. In seinem goldfarbenen Mercedes-Kombi W123 fahren er und seine Begleiter vom Odenwald in den Bayerischen Wald, in die Eifel, ins Saarland, in die Uckermark und nach Ostfriesland, sie erkunden Kuhställe, Kneipen und Kegelbahnen und lassen die Menschen zu Wort kommen.
Offiziell nennt sich der Sechsteiler mit dem Titel „DeutschRand – Stadt, Land, Kluft?!“ Dokumentarfilm. Tatsächlich ist es aber eine sehr persönliche Inaugenscheinnahme des Republikrandes, ein musikalisch untermaltes Roadmovie, bei dem ein in einem braunen Retro-Anzug mit Krawatte gekleideter Kirchner zwischen Ernsthaftigkeit und Humor schwankend Menschen mal zufällig, mal geplant begegnet.
Die Themen, über die sie reden, sind so einfach wie sie philosophisch, wenn beispielsweise der Schafhirte erzählt, dass es ihn ärgert, auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein und er seine Produkte lieber, wie seine Vorfahren, bezahlt bekommen möchte – und zwar zu Preisen, von denen er leben kann. Oder wenn Hermann im Odenwald erklärt, was Bestimmung ist: Seine Frau war die älteste Tochter ihrer Familie, also trat sie die Nachfolge im familieneigenen Betrieb an, und der eigene Sohn, Wolfgang, ja, der musste Koch werden, damit die Übergabe in die nächste Generation gesichert ist.
Kirchners Mercedes verweigert zwischendurch immer mal wieder den Dienst, so dass Bus gefahren werden muss, was zu der – allerdings nicht ganz neuen – Erkenntnis führt, dass Mobilität auf dem Land ein eigenes Auto bedingt.
Am Ende steht für Kirchner und seine drei Mitfahrer die Erkenntnis, dass es zwar nicht immer alles auf dem Land gibt, die Menschen aber zusammenhalten und es weniger zählt, wer du bist, sondern was du für die Allgemeinheit tust; dass Städte in ihrer Uniformität oft langweilig sind und das Land noch letzte Abenteuer bereit hält. Auch wenn man darauf manchmal lange auf Dorfplätzen warten muss. „Die eigentliche Originalität ist auf dem Land zuhause“, meint Philipp Kohl, selbst ein Mannheimer Stadtkind. Zusammen mit Damm und Schoenemond war er hinter der Kamera für Drehbuch und Regie verantwortlich.
Genügend Weitblick
Ob sie dort, auf dem Land, leben würden? Damm kommt vom Land, er ist im Odenwald aufgewachsen, Schoenemond in der Eifel. Damm sagt, die Dinge änderten sich, auch auf dem Land, und mit Abstand ändere sich auch der eigene Blick: „Nach fünf Städten habe ich meine Heimat zu schätzen gelernt.“ Schoenemond will zwar nicht unbedingt zurück in die Eifel, er hält es aber für ein Problem, wenn Stadt und Land auseinanderdriften. „Die Städter müssen raus aufs Land, die Landbewohner rein in die Stadt.“
Und Kirchner? Der wird im Abspann der letzten Folge, am Strand, noch einmal philosophisch: „Die große Freiheit, vielleicht sieht sie ja so aus: Mache das, was du gerne tust, und sieh’ zu, dass du dabei ausreichend Weitblick hast.“
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