Bei einem weiteren Anstieg der Corona-Zahlen hält Oberbürgermeister Peter Kurz einen Lockdown für unvermeidlich. Bis auf Schulen und Kitas sollten alle Bereiche heruntergefahren werden und eine allgemeine Impfpflicht kommen.
Herr Oberbürgermeister, hätten Sie es für möglich gehalten, dass die Corona-Lage in diesem Winter wieder so dramatisch wird?
Peter Kurz: Ehrlicherweise hatte ich das nicht erwartet. Ich ging davon aus, dass die bundesweite Strategie trägt, dass für Geimpfte ein neuer Lockdown sicher vermieden werden kann. Erneut in eine Situation zu geraten, in der selbst durchgehende 2G-Regelungen zu wenig sind, habe ich mir nicht vorstellen können.
Was ist da falsch gelaufen?
Kurz: Das hohe Infektionsgeschehen derzeit hängt sicher nicht nur mit der misslungenen Impfkampagne und der zu hohen Zahl der Ungeimpften zusammen, sondern auch damit, dass mit dem Boostern viel zu spät begonnen wurde.
Nachdem man es über Monate verschlafen hatte, wurden Auffrischungsimpfungen schlagartig für alle nach sechs, dann sogar schon nach fünf Monaten empfohlen. Müsste man dafür nun nicht die großen Impfzentren wie das in der Maimarkthalle wieder öffnen?
Kurz: Das braucht einen Vorlauf. Wenigstens haben wir seit ein paar Tagen die Zusage des Landes, eine lokale Impfstrategie wieder voll zu unterstützen. Ich hätte mir gewünscht, dass man uns da viel früher wieder mehr Freiheiten gibt.
Der Rhein-Neckar-Kreis nutzt die zusätzlichen Ressourcen vom Land, um das Impfzentrum im Patrick-Henry-Village wieder in Betrieb zu nehmen. Das haben Sie mit der Maimarkthalle nicht vor?
Kurz: Nein. Wir wählen jetzt einen dezentraleren Ansatz. Zusammen mit den drei Impfteams, die wir aus kommunalen Mitteln finanziert haben, kommen wir auf insgesamt elf Teams. Neben dem kommunalen Impfzentrum im Rosengarten und dem Impfbus wird es Angebote an zwei weiteren Standorten geben, die derzeit ausgewählt werden. Hinzu kommen weitere Impfstützpunkte und Sonderaktionen in Zusammenarbeit mit Mannheimer Ärztinnen und Ärzten, etwa am Samstag, 11. Dezember, wo rund 1000 Menschen in Q 6/Q 7 geimpft werden sollen. Mit diesen Maßnahmen wollen wir die gleichen Kapazitäten wie im Impfzentrum erreichen.
Sie haben angekündigt, neben über 70-Jährigen sollten bislang Ungeimpfte oberste Priorität haben. Wie wollen Sie das umsetzen?
Kurz: Auch unter den über 70-Jährigen gibt es rund 15 Prozent Ungeimpfte. Die gilt es besonders zu schützen, weil für sie die Gefahr schwerer Krankheitsverläufe am höchsten ist. Wir haben schon jetzt das Angebot auf über 55-Jährige erweitert. Und werden mit dem Ausbau die Altersbegrenzungen ganz weglassen.
Corona in der Region
Wieso geht so etwas nach zwei Jahren Pandemie nicht schneller?
Kurz: Bis letzte Woche war das Impfen leider zentral über zwölf Kliniken und Landkreise organisiert. Über die Schwierigkeit hatten Sie ja berichtet. Seit letzter Woche haben wir wieder eine Zuständigkeit. Leider hatte man von Anfang an versäumt, die Impfung der eigenen Bürgerinnen und Bürger in die Verantwortung der Kommunen zu geben, und stattdessen landesweite Strategien verfolgt.
Im Gemeinderat haben Sie kürzlich darauf hingewiesen, dass Sie diesen Winter im Unterschied zum letzten als Kommune auch kaum neue Regeln verfügen können . . .
Kurz: Ja, die Corona-Verordnung des Landes erlaubt uns nur noch bei einem spezifischen lokalen Infektionsgeschehen ein Eingreifen. Das liegt nicht vor, bei der Sieben-Tage-Inzidenz ist Mannheim nur knapp über dem Landesschnitt. Daher können wir nicht wie vor einem Jahr mit einer eigenen Maßnahme . . .
. . . der Ausgangsbeschränkung . . .
Kurz: . . . reagieren, wobei die uns damals ja auch - Stichwort Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Region - Kritik eingebracht hat. Jetzt haben wir solche Handlungsmöglichkeiten nicht mehr.
Was würden Sie denn machen, wenn Sie es könnten?
Kurz: Diskotheken und Clubs etwa hätten wir bei dem hohen Infektionsgeschehen bereits geschlossen. Da halte ich das Infektionsrisiko trotz 2Gplus für zu hoch. Nun gibt es auf Landesebene ja Vorbereitungen, den Freizeit- und Sportbereich sehr weitgehend einzuschränken.
Wird das denn wohl ausreichen? Brauchen wir nicht wieder einen Lockdown?
Kurz: Ich habe mich schon vor einem Jahr in ähnlicher Situation gegen einen Lockdown light gewandt. Es bringt nichts und ist fragwürdig, vergleichsweise weniger riskante Angebote zu schließen, während beispielsweise die Gastronomie offen bleibt.
Also wäre Ihnen ein harter Lockdown lieber?
Kurz: Wir sind an einem Punkt, an dem weitere kleine Schritte keinen Sinn mehr machen. Entweder wir sehen jetzt eine Trendwende, oder es bleibt keine andere Wahl mehr, als das öffentliche Leben wieder weitgehend herunterzufahren . . .
Und alles dichtzumachen?
Kurz: Die Schulen würde man offen halten, in Kitas wäre in dieser Situation die Auslastung deutlich reduziert. Ansonsten müssten wir in meinen Augen aber tatsächlich alle Bereiche massiv herunterfahren.
Wie schnell müsste das passieren?
Kurz: Mit Blick auf die Lage auf den Intensivstationen: so bald wie möglich, wenn man keine ausreichenden Hinweise für eine Trendwende hat. Ein Lockdown müsste verbunden werden mit der Perspektive, dass es so etwas nie wieder geben wird - und das bedeutet: allgemeine Impfpflicht. Anders könnte man es der geimpften Mehrheit nicht mehr erklären. Auch sonst müssen wir uns mit der Frage befassen, wie wir verhindern, dass sich die jetzige Situation wiederholt.
Wäre das politisch überhaupt durchsetzbar, die neue Bundesregierung ist noch nicht mal im Amt?
Kurz: Die entsprechenden Mehrheiten im Bundestag wären schon da, und man könnte das sehr schnell beschließen. Es gibt auch bereits Überlegungen, hier den Fraktionszwang zu lösen.
Wie wollen Sie eine Impfpflicht praktisch durchsetzen?
Kurz: Organisatorisch lässt sich das schon machen, es gab ja in der Vergangenheit bereits Impfpflichten. Letztlich wird es dann über Bußgelder durchgesetzt.
Ließe sich die Einhaltung der Impfpflicht denn kontrollieren?
Kurz: Daran würde es nicht scheitern, es wird ja noch einige Zeit so bleiben, dass in vielen Bereichen der Impfstatus kontrolliert wird, wenn man irgendwo hingeht.
Derzeit werden die Regeln in vielen Bereichen wieder permanent verändert, viele Menschen blicken gar nicht mehr durch. Haben Sie Verständnis für deren Verdruss?
Kurz: Natürlich, es geht uns ja allen so. Zumal auch manche Regel für mich unverständlich ist, etwa zuletzt, dass im Veranstaltungsbereich mit der Einführung von 2Gplus überraschend und ohne Ankündigung auch nur noch die Hälfte der Kapazitäten genutzt werden durfte.
Auch wenn Sie als Oberbürgermeister nichts dafür können, werden Sie als politischer Repräsentant von vielen für Missstände mitverantwortlich gemacht. Ist das nicht auf Dauer sehr belastend?
Kurz: Das betrifft nicht nur mich persönlich, sondern die gesamte Verwaltung, zumal die Belastung dort für viele über die zwei Jahre enorm war. Es herrscht mittlerweile ein sehr rauer Ton. Auch ist die Erwartungshaltung sehr hoch, und die Anforderungen sind gestiegen: Viele Bürger beklagen sich zurecht über Verschmutzungen in der Stadt. Allerdings muss man auch sehen, dass die Vermüllung im öffentlichen Raum in der Pandemie um fast das Doppelte zugenommen hat. Die Menschen haben in dieser Zeit den öffentlichen Raum wiederentdeckt und nutzen ihn intensiver. Leider pflegen sie ihn nicht entsprechend. Das können wir alleine mit Stadtreinigung und Abfallwirtschaft, verstärkt durch Krankenstände, nicht auffangen. Aber klar ist: Wir nehmen diese Zustände nicht einfach hin und gehen es an.
Noch mal zu Ihnen persönlich: Spüren Sie da nach fast zwei Jahren Pandemie nicht allmählich großen Verdruss?
Kurz: Das geht wohl allen so, die in der Verantwortung stehen. Und wenn sich die Befürchtungen über die neue Virusvariante bewahrheiten, sie deutlich ansteckender sein sollte und bisherige Impfstoffe weniger schützen, wäre das ja quasi eine neue Pandemie. Das ist schon eine belastende Vorstellung.
Beeinflusst die permanente Belastung Ihre Entscheidung, ob Sie bei der Wahl 2023 noch mal antreten?
Kurz: Ich habe trotz allem nach wie vor die Hoffnung, dass wir die Pandemie bis 2023 überwunden haben. Insofern spielt das für meine Entscheidung keine Rolle.
Gibt es denn einen Zeitplan, bis wann Sie über eine Kandidatur entscheiden wollen?
Kurz: Nein, das ist auch keine Frage, die mich aktuell sehr beschäftigt. Mit einer Entscheidung ist deutlich eher Ende als Anfang 2022 zu rechnen.
Wie entspannen Sie sich von all dem Stress?
Kurz: Mit dem, was schon die ganze Zeit der Pandemie zur Entspannung hilfreich war, insbesondere Spaziergänge in der Natur. Auch wenn das nicht immer zeitlich möglich ist, ist es noch wichtiger geworden.
Müssen Sie Ihre Pläne für Weihnachten und Silvester ändern?
Kurz: Nein. Das feiern wir immer im kleinen, familiären Rahmen.
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