Mannheim. Der Dienstag ist wichtig, er gehört zu den vielleicht bedeutsamsten Prozesstagen im Verfahren um das Mannheimer Messerattentat. Der Angeklagte Sulaiman A. will sich an diesem Tag erstmals zum Messerangriff auf dem Marktplatz am 31. Mai 2024 äußern. „Er wird detailliert schildern, was sich an diesem Tag zugetragen hat“, sagt einer der beiden Verteidiger von Sulaiman A., Axel Küster aus Wiesbaden, auf Anfrage dieser Redaktion. Während des gesamten Ermittlungsverfahrens hat A. zu den Vorwürfen geschwiegen.
Der 26-Jährige muss sich seit Mitte Februar wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart verantworten. Bislang hat er vor Gericht die Geschichte seiner Flucht von Afghanistan nach Deutschland nachgezeichnet. Und berichtet, wie es ihm in Deutschland erging. Wie er Deutsch lernte, die Schule besuchte, heiratete und Vater wurde. Auch sprach er über die vergangenen Monate, über seine Haft und Isolation.
Nun liegt der Fokus auf dem 31. Mai 2024. An diesem Tag, und das ist längst bekannt, soll Sulaiman A. auf dem Mannheimer Marktplatz während einer Kundgebung der rechtspopulistischen „Bewegung Pax Europa“ mehrere Menschen mit einem Jagdmesser angegriffen haben. Einige von ihnen verletzte er schwer, darunter den bekannten Islamkritiker Michael Stürzenberger.
Der Polizist Rouven Laur, der in das Geschehen eingriff, starb infolge seiner schweren Verletzungen. Sulaiman A. ging laut Anklage hinterrücks mit dem Jagdmesser auf ihn los.
Unterschiedliche Angaben zu Gespräch in der JVA Frankfurt
Am Dienstag dürfte neben der Aussage des Angeklagten auch ein Ereignis eine Rolle spielen, das sich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Frankfurt zugetragen haben soll. Mitte November soll Sulaiman A. sich während des Hofgangs mit jemandem unterhalten haben. Das Gespräch soll sich um die Tat auf dem Marktplatz gedreht haben. Und Sulaiman A. soll gesagt haben, er bereue nichts, „alles ist von Gott gewollt“. Außerdem sei es ohnehin egal, ob er einen Tag oder viele im Gefängnis verbringe. „Ich werde eh zu Gott zurückkehren.“ Die Identität des Gesprächspartners ist dieser Redaktion bekannt.
Einige Tage später im November trafen die Verteidiger des Angeklagten ihren Mandanten in der JVA. Im Gespräch mit ihnen soll Sulaiman A. ihnen nach Informationen dieser Redaktion eine andere Version der Geschichte erzählt haben. Und die lässt sich sinngemäß so zusammenfassen: Er und eine andere Person kamen während des Hofgangs ins Gespräch. Und Sulaiman A. erzählte seinem Gegenüber von einer Unterhaltung mit der JVA-Leitung. Der Leiter habe ihn, Sulaiman, gefragt, warum er so oft bete. Und er habe geantwortet: Er bete um Vergebung für seine Tat.
„Das Ganze ist schlichtweg nicht zutreffend“, sagt Verteidiger Küster über die erste Version der Geschichte. Weiter möchte er die Unterhaltung in dem Frankfurter Gefängnis nicht kommentieren. Auch möchte er noch nichts zur Aussage seines Mandanten am Dienstag sagen.
Angriff auf Laur als „Handlanger eines verachtenswerten Systems“?
Der Darmstädter Rechtsanwalt Mehmet Okur, der Sulaiman A. gemeinsam mit Küster verteidigt, skizzierte gegenüber dem „SWR“ bereits vor der Verhandlung einige Eckpunkte von Sulaiman A.s Aussage.
Laut dem Medium gab er an, Sulaiman A. habe sich erst wenige Monate vor der Tat im Netz radikalisiert – die Bundesanwaltschaft geht dagegen davon aus, dass A. bereits im Sommer 2021 begann, sich für die Taliban zu interessieren. Er soll in den Monaten danach immer tiefer in ihre Ideologie eingetaucht sein und sich verstärkt mit dem Islam beschäftigt haben. Auf Telegram stieß er laut Anklage auf radikal-islamistische Gelehrte und entwickelte Sympathien für das Terrornetzwerk „Islamischer Staat“ (IS). Anfang 2023 - so die Überzeugung der Bundesanwaltschaft – teilte er die Ideologie des „IS“.
Auch geht die oberste deutsche Anklagebehörde davon aus, dass Sulaiman A. Rouven Laur deshalb angriff, weil er als Amtsträger ein System repräsentierte, dass A. ablehnte. Am fünften Prozesstag hat ein Islamwissenschaftler, der beim Bundeskriminalamt (BKA) das Internet und das Dark Web nach islamistischen Inhalten screent, über das Echo der Tat in der islamistischen Szene gesprochen. Er sprach dabei auch über User, die A. nach der Tat für den Mord an Rouven Laur feierten. Der Tenor: Ein Polizist, der solche Kundgebungen schütze, sei Handlanger eines verachtenswerten Systems.
Verteidiger Okur sagte dem „SWR“, Sulaiman A. habe gar nicht erkannt, dass Rouven Laur ein Polizist sei, er habe „nur irgendwen“ von der BPE treffen wollen, heißt es in dem Bericht. Im Krankenhaus sei A. „entsetzt und schockiert“ über das gewesen, was er angerichtet habe.
Sollte der Staatsschutzsenat Sulaiman A. wegen Mordes verurteilen, müsste er eine lebenslange Haftstrafe antreten. Stellen die Richter außerdem die „besondere Schwere der Schuld“ fest, gilt es als nahezu ausgeschlossen, dass A. vorzeitig nach 15 Jahren auf Bewährung frei kommen könnte. Auch droht A. im Falle einer Verurteilung der „Vorbehalt der Sicherungsverwahrung“. Dabei wird die Gefährlichkeit eines Täters am Ende seiner Haftzeit in einer weiteren Hauptverhandlung geprüft.
Sulaiman A. hat zu Beginn des Verfahrens gesagt, er rechne damit, abgeschoben zu werden. Allerdings obliegt diese Entscheidung allein der Staatsanwaltschaft, die darüber entscheidet, wie lange das Strafvollstreckungsinteresse über allem anderen steht. Und sie hat auch keine Verpflichtung, die Freigabe zur Abschiebung zu geben.
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