Jesuitenkirche: Messner mauern vor 70 Jahren vergoldete Silberfigur aus Angst vor Plünderern hinter Not-Toilette ein

Mannheimer Madonna im Gipsbett

Lesedauer: 

Christine Maisch-Straub

Ein Prälat, der um die reich mit Edelsteinen geschmückte Marienfigur seiner Kirche bangt, Krankenschwestern, die für die Tarnung des tonnenschweren Kleinods Gipsbinden organisieren und ein Versteck in der Gruft, die als Luftschutzbunker diente, direkt hinter der Wand der Nottoilette: Die Silbermadonna der Jesuitenkirche ist nicht nur ein Spitzenwerk der Schmiedekunst des 18. Jahrhunderts. Vielmehr hat die gewichtige Preziose auch eine bewegte Geschichte, an die sich Lothar Schiffmacher noch lebhaft erinnert. Der 87-Jährige war Messner und "Mittäter", als die Heilige Muttergottes kurz vor Weihnachten des Jahres 1939 plötzlich spurlos verschwand.

Sanft neigt Maria ihr feinmodelliertes, ebenmäßiges Gesicht zum Betrachter hinab. In einer weit ausholenden Bewegung reckt sie ihren rechten Arm in die Höhe, energisch lässt sie das linke Bein hervortreten. Ein Antlitz, aus dem Güte strahlt - gepaart mit Gesten der Entschlossenheit, die der Augsburger Silberschmied Joseph Ignaz Salers der Mannheimer Silbermadonna 1749 verlieh.

Aber nicht nur Tatkraft und Stärke, sondern auch Mut und Schläue waren am Werk, als ein Kreis von ehemaligen Ministranten 1939 einen verwegenen Plan schmiedete. Sie wollten die kostbare Immaculata, Kelche, Monstranzen und Messgewänder vor der zerstörenden Kraft von Bombenhagel und vor Plünderern schützen.

Deshalb bat Bruder Satyrus den jungen Lothar Schiffmacher und seine Freunde zu einem Gespräch. Seine Idee: Da die Behörden ohnehin verlangten, dass unter der Kirche ein Luftschutzkeller installiert wird, könnte man doch einen Teil davon abmauern und als Schatzkammer nutzen. Und wenn finstere Gestalten das verborgene Verlies entdeckten? Der rüstige Senior schüttelt amüsiert den Kopf: "Da hatte Bruder Satyrus noch zwei ganz besondere Einfälle." Direkt vor das Versteck ließ er die gesetzlich vorgeschriebene Not-Toilette bauen: "Kein Mensch hat jemals dahinter etwas vermutet." Selbst die Kontrolleure inspizierten das provisorische WC aufs Gründlichste - allein die Schatzkammer blieb ihren Blicken verborgen.

Doch damit nicht genug der vorausschauenden Vorsichtsmaßnahmen. "Selbst wenn's Räuber bis in die Schatzkammer geschafft hätten, die Madonna wäre für sie unsichtbar geblieben." Die verschworene Gemeinschaft hüllte die prachtvolle Figur schlicht und einfach in einen Tarnmantel, bestehend aus Gipsbinden: "Die hatten wir von den Schwestern aus der Hedwigsklinik, die haben sofort mitgespielt."

Danach herrschte viele Jahre lang Geheimhaltungsstufe Eins. "Nicht mal die besten Freunde durften wir einweihen." Sogar Prälat Josef Bauer, liebevoll "Lockenseppl" genannt, verrieten sie nicht, wo das geheimnisvolle Versteck war.

Doch der Krieg zeigte sein immer schrecklicheres Gesicht. Lothar Schiffmacher geriet in Gefangenschaft. Als er am Nikolaustag 1945 aus dem Lazarett nach Mannheim zurückkehrt, war die große Vorfreude auf das Zuhause schnell von Entsetzen überschattet: "Alles zerbombt. Ich bin weinend durch die Stadt gelaufen."

Und was war aus der Schatzkammer geworden? Etliche Monate vergingen, bis die "Wissenden" trotz Hunger und Entbehrungen wieder an das Versteck dachten. Die Toilette wurde abgerissen, der Raum dahinter war zwar stickig und so manches Messgewand ein bisschen schimmelig: "Aber das ging alles mit Spiritus weg." Mit einer Gipsschere, "die hatten wir auch von den Schwestern", befreiten sie die Madonna aus ihrem Gefängnis. Völlig unversehrt schimmerte sie in silbernem und goldenem Glanz. Und noch einer strahlte: "Prälat Bauer", versichert der Messner, "der war hocherfreut, dass alles so gut erhalten blieb".

Von einer Rüge wegen Geheimnistuerei konnte angesichts dieser frohen Botschaft natürlich keine Rede mehr sein.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen