Interview - Gesundheitsamtschef Peter Schäfer über das nachlassende Infektionsgeschehen, Schwierigkeiten bei der Erkennung von Omikron, mögliche Quarantäne-Lockerungen und die Aussichten auf den Herbst.

Mannheimer Gesundheitsamtschef: „Schnelltests geben bei Omikron trügerische Sicherheit“

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Steffen Mack
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Mit Antigen-Schnelltests wie diesem werde Omikron oft nicht erkannt, sagt Peter Schäfer. © Sebastian Kahnert/dpa

Mannheim. Herr Dr. Schäfer, die allgemeine Stimmung scheint zu sein: Corona ist vorbei. Wie finden Sie das?

Peter Schäfer: Ja, ein Teil der Bevölkerung sieht das so. Bei etlichen Menschen nehme ich aber auch Verunsicherung wahr, welche Schutzvorkehrungen noch geboten sind.

Was sagen Sie denen?

Schäfer: Bestimmte Maßnahmen - etwa das Tragen von FFP2-Masken in Innenräumen und das Einhalten der Hygieneregeln - sind weiter absolut sinnvoll. Aber insgesamt können wir jetzt alle erstmal durchschnaufen. Es geht in den Sommer hinein, die Fallzahlen sinken deutlich und es ist gut, dass wir jetzt Lockerungen ermöglichen können.

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist nun wieder auf knapp unter tausend gesunken. Rechnen mit einem weiteren Rückgang?

Schäfer: Ich habe keine Glaskugel, aber analog zum jahreszeitlichen Rückgang der Erkältungskrankheiten könnte ich mir gut vorstellen, dass die Inzidenz Ende April noch in einem mittleren dreistelligen Bereich liegt.

Wobei die ja gar nicht mehr so relevant ist, wie Sie im Gemeinderat mehrfach betonten?

Schäfer: Ja, die Lage in den Krankenhäusern hat sich erstmals in dieser Pandemie von der Entwicklung der Inzidenz abgekoppelt. Trotz der starken Zunahme der Fälle im März sind die Patienten-Zahlen gesunken.

Aber bleibt die Inzidenz nicht der gängige Maßstab, um die Corona-Lage zu vergleichen, auch international?

Schäfer: Klar, gerade vor Urlaubsreisen bietet es sich an, einen Blick auf die Inzidenzen zu werfen. Wobei das Infektionsgeschehen auch von Land zu Land nur noch ganz unterschiedlich genau erfasst wird.

Wie gut haben Sie es denn in Mannheim noch im Blick? In die Statistik fließen ja nur per PCR-Test bestätigte Fälle ein?

Schäfer: Hier sind die Testkapazitäten ausreichend, wir haben auch keinen Meldeverzug im Gesundheitsamt. Aber natürlich kommt es auch vor, dass Infektionen ohne Symptome nicht erkannt werden oder jemand mit Symptomen und positivem Schnelltest von sich aus zuhause bleibt. Insofern gibt es da sicher auch eine Dunkelziffer.

Wie groß dürfte die sein?

Schäfer: Ich schätze mal grob, etwa 50 Prozent der erfassten Fälle. Auf Bundesebene ist dagegen sogar von einer doppelt so großen Dunkelziffer die Rede.

Auch weil Omikron bei Schnelltests oft unentdeckt bleibt?

Schäfer: Ja, gerade ohne Symptome ist die Virenlast oft zu gering, um mit Schnelltests erkannt zu werden.

Also wiegen sich Menschen, die etwa vor größeren privaten Treffen einen Schnelltest machen, in trügerischer Sicherheit?

Schäfer: So ist es. Manche Selbsttest-Abstriche erkennen Omikron sogar gar nicht, Antigen-Schnelltests in der Regel erst verspätet. Zum bestmöglichen Schutz vulnerabler Gruppen halte ich dennoch für richtig und wichtig, etwa vor Pflegeheim-Besuchen oder in Krankenhäusern weiter zu testen. Ansonsten trifft es im privaten Bereich das mit der trügerischen Sicherheit genau: Man denkt, mit einem Schnelltest das Nötige getan zu haben und nun unbeschwert feiern zu können.

MLO_Dr_Peter Schäfer_2021 © Stadt Mannheim

Die kostenfreien Bürgertests, die es noch bis Juni geben soll, braucht man also eigentlich nicht mehr?

Schäfer: Anlasslose Tests in der Breite wie bisher nicht. Da steht der Nutzen in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand. Man darf auch die Kosten nicht vergessen. In Mannheim wurden im März fast 450 000 Bürgertests vorgenommen, für jeden bekommt der Anbieter 11,50 Euro überwiesen.

In Bayern können Infizierte ihre Quarantäne neuerdings auch ohne Schnelltest nach fünf Tagen beenden, wenn sie 48 Stunden symptomfrei sind. Was halten Sie davon?

Schäfer: Ich bin gespannt, wie die nach Ostern erwartete neue Corona- Verordnung Absonderung in Baden-Württemberg aussehen wird. Aus fachlicher Sicht ist nichts gegen die bayerische Lösung zu sagen. Die entspricht ja in etwa der Haltung des Robert Koch-Instituts, die bis vor Kurzem auch der Bundesgesundheitsminister vertreten hat . . .

… ehe Karl Lauterbach in einer Talkshow die Kehrtwende verkündete, weil es politisch „das falsche Signal“ sei. Würden Sie sich wünschen, dass da mehr auf Expertenrat hin entschieden wird?

Schäfer: Ja. Fachlich ist Quarantäne ohne Symptome derzeit nicht mehr begründbar, darin sind sich die baden-württembergischen Gesundheitsämter einig. Ich finde, bestimmte Punkte muss man öffentlich besser erklären. Sonst entstehen immense Meinungsunterschiede, die in der Pandemie nicht gut sind.

Als Argument für eine vereinfachte Quarantäne gilt auch eine Entlastung der Gesundheitsämter …

Schäfer: In Baden-Württemberg spielt das keine Rolle. Hier müssen sich Infizierte gemäß der Corona-Verordnung des Landes schon länger von selbst isolieren. Die Gesundheitsämter ordnen keine Quarantäne mehr an und sind auch nicht für deren Überwachung zuständig, sondern die Ordnungsämter.

Ist eine Verkürzung der Quarantäne vor allem geboten, um Personalnotstände zu verhindern?

Schäfer: Primär geht es hier um eine andere Frage: Warum sollten wir jemanden mit Omikron anders behandeln als mit jeder anderen ansteckenden Krankheit, wie zum Beispiel Influenza? Da gilt dann der Grundsatz: Wer Symptome hat, bleibt zuhause. Aber wer völlig beschwerdefrei ist, kann auch arbeiten. Eine unfreiwillige Quarantäne ist ja auch eine Freiheitseinschränkung, die verhältnismäßig sein muss. Bei Omikron kommt die Quarantäne häufig zu spät, der Infizierte hat schon Kontaktpersonen angesteckt.

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Was ist mit dem Schutz anderer?

Schäfer: Auch da hat sich die Lage verändert. Bis Omikron mit einem Test nachgewiesen wird, ist man häufig nicht mehr oder nur noch wenig ansteckend.

Wie lange ist man das denn?

Schäfer: Im Normalfall nur die ersten zwei, maximal drei Tage, nachdem man sich selbst infiziert hat.

Bei Omikron gibt es auch immer wieder Menschen, die sich ein zweites Mal infizieren. Manchmal nach nur einem Monat, nicht?

Schäfer: Das kommt vor. Gerade wenn man beim ersten Mal keine Symptome hatte, war die Virenlast für die Bildung von Antikörpern oft nicht hoch genug. Vielleicht ist das für diejenigen, die zwei, drei Tage mit Fieber flachliegen, ein Trost: Sie haben danach einen deutlich höheren Schutz als bei mildem Verlauf.

Alle Experten rechnen damit, dass es im Herbst eine neue Virusvariante geben wird. Sie auch?

Schäfer: Das scheint mir recht sicher zu sein. Dass sich ein Virus immer wieder verändert, sehen wir ja auch bei der Influenza. Es entspricht einfach seiner Natur, möglichst immer mehr Menschen zu infizieren.

Halten Sie es auch für ausgemacht, dass die nächste Variante wieder eine gefährlichere sein wird?

Schäfer: Das muss nicht sein. Es gibt auch Fachleute, die mit einer ähnlich abgeschwächten Form wie Omikron rechnen. Gerade weil es eben auch zum Charakter des Virus gehört, nach einer Infektion möglichst lange unentdeckt zu bleiben, um möglichst viele andere anstecken zu können.

Könnten veränderte Varianten weitere Impfungen erfordern?

Schäfer: Ja, auch gegen Grippe wird ja jeden Winter wieder ein angepasster Impfstoff gespritzt.

Wie schnell könnte man die Impf-Infrastruktur wieder hochfahren?

Schäfer: Da sollten zwei bis drei Wochen für die wesentlichen Schritte in Mannheim reichen. Das Land bezahlt uns zwar nur noch ein Impfteam, das wir jetzt fest in der Salzachstraße in Neckarau stationiert haben. Aber erstens arbeitet es in wechselnder Besetzung, zweitens halten wir auch einen engen Kontakt zum übrigen bisherigen Personal, so dass wir die Kapazitäten schnell wieder hochfahren könnten. Mehrere geeignete Räumlichkeiten gibt es ja.

Ins Gebäude in der Salzachstraße sind auch zwölf Mitarbeiter des Gesundheitsamts eingezogen, die sich ausschließlich um die einrichtungsbezogene Impfpflicht kümmern. Wie ist da die Lage?

Früherer Kinderarzt

  • Peter Schäfer wurde am 10. Juni 1965 in Baden-Baden geboren. In Homburg an der Saar studierte er Medizin.
  • 1991 kam er nach Mannheim und arbeitete in der Kinderklinik der Universitätsmedizin, zuletzt als Oberarzt.
  • 2001 wechselte Schäfer zur Stadt. Seit 2015 leitet er das Jugendamt, 2019 kam durch eine Fachbereichsreform das Gesundheitsamt hinzu.
  • Er lebt in Neckarau, ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. 

Schäfer: Bisher wurden uns insgesamt 1241 nicht-immunisierte Personen aus 137 Einrichtungen gemeldet, also von Krankenhäusern über Seniorenheime und ambulante Pflegedienste bis hin zu Arztpraxen.

Gegen wie viele davon verhängen Sie wohl Betretungsverbote?

Schäfer: Darüber möchte ich jetzt nicht spekulieren. Verbote wird es, wenn überhaupt, jedenfalls nicht vor dem Sommer geben. Die sind auch wirklich nicht das Ziel des Gesetzes, sondern der Schutz besonders gefährdeter Menschen. Zunächst nehmen wir mit den Betroffenen Kontakt auf, gehen der Frage nach, warum sie nicht geimpft sind und versuchen, für sie individuelle Lösungen zu finden.

Das Gesetz tritt Anfang nächsten Jahres wieder außer Kraft. So groß, wie aktuell die Personalengpässe bei der Pflege sind, könnte man die Betroffenen ja auch einstweilen - überspitzt gesagt - zum Streichen der Wände in der ausgelagerten IT-Abteilung einsetzen, oder?

Schäfer: Patientenferne Tätigkeiten oder aber besondere Schutz- und Hygienemaßnahmen sind jedenfalls eine Lösung, um Betretungsverbote als letztes Mittel zu vermeiden. Man darf auch nicht vergessen, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu Delta-Zeiten beschlossen wurde. Mit Omikron infizieren sich ja auch Geimpfte häufiger.

Die allgemeine Impfpflicht wurde auch zuerst zu Delta-Zeiten angestrebt, Sie waren dafür. Bedauern Sie jetzt, dass das Ganze im Bundestag gescheitert ist?

Schäfer: Eine altersabhängige Impfpflicht, etwa ab 60 Jahren, würde ich unverändert begrüßen. Die Impfung schützt einfach, das gilt für alle Virusvarianten, generell besser vor einer schweren Erkrankung.

Was erwarten Sie denn langfristig noch von dieser Pandemie?

Schäfer: Wir werden lernen, damit zu leben. Das haben wir auch mit der Influenza getan, obwohl daran jedes Jahr Menschen sterben. Bei Corona kann ebenfalls nicht das Ziel sein, jede einzelne Ansteckung zu verhindern. Aber bestimmte Vorsichtsmaßnahmen helfen da wie dort. Etwa Masken, die im asiatischen Raum schon lange üblich sind und bei uns immer belächelt wurden.

Was wird noch bleiben? Hat das Händeschütteln eine Zukunft?

Schäfer: Ich glaube schon, das ist ja vielen ein wichtiges Ritual. Ich erlebe jetzt schon, dass mir wieder Menschen die Hand entgegenstrecken.

Wie reagieren Sie dann?

Schäfer: Ich greife zu und schüttel’ sie. Anschließend vermeide ich aber, mit meiner Hand etwa das Gesicht zu berühren, und wasche sie bei nächster Gelegenheit.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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