Stadt schränkt Angebote ein

Mannheimer Gesundheitsamtschef rechnet nicht mehr mit Corona-Winterwelle

Dass es in diesem Winter zu einem drastischen Anstieg der Corona-Zahlen kommt, ist laut Peter Schäfer nicht zu erwarten. Für die vielen Erkältungserkrankungen hat er eine Erklärung

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Steffen Mack
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Das kommunale Impfzentrum in der Salzachstraße 15 in Neckarau (hier die Schönauerin Brigitte Dittmann Ende September mit Impfärztin Corinna Labisch) ist am Freitag geschlossen worden. © Steffen Mack

Herr Dr. Schäfer, ist die Pandemie jetzt vorbei?

Peter Schäfer: Noch befinden wir uns im Übergang von der Pandemie zur Endemie. Aber solche Begrifflichkeiten halte ich nicht für entscheidend. Wichtig ist: Wir haben gelernt, mit Corona zu leben. Das Virus wird uns erhalten bleiben, aber die Infektionsverläufe sind jetzt im Regelfall nicht mehr so schwer, dass wir damit nicht zurechtkämen.

Die befürchtete Winterwelle war offenbar nur eine Herbstwelle, die Zahlen sind wieder stark gesunken. Ist das Schlimmste vorbei?

Schäfer: Veränderungen nach oben oder unten wird es bei den Fallzahlen sicher immer wieder mal geben. Aber dass im Januar oder Februar eine mutierte Virusvariante noch mal für einen drastischen Anstieg sorgt, glaube ich nicht - auch wenn man das nie ausschließen kann.

Nun wollen Sie auf der Homepage der Stadt keine täglichen Zahlen mehr veröffentlichen. Warum?

Schäfer: Wir kehren bei dieser Viruserkrankung jetzt zu unseren Regelstrukturen zurück und behandeln sie so wie jede andere . . .

Sie stellen ja auch niemanden für tägliche Influenza-Zahlen ab . . .

Schäfer: Genau. Zum 9. Dezember haben wir unseren Umgang mit der Pandemie den Gegebenheiten angepasst. Wir haben das kommunale Impfzentrum geschlossen, die Corona-Hotline eingestellt und werden auch nicht mehr regelmäßig Zahlen zum Infektionsgeschehen vorlegen, sondern nur noch anlassbezogen. Also etwa, wenn es die Situation in den Mannheimer Krankenhäusern erfordern sollte. Aber auch die hat sich zuletzt ja beruhigt.

Doch Sie übermitteln schon noch tägliche Fallzahlen ans Land?

Schäfer: Ja. Montags bis freitags kann man daher weiter über die abendlichen Landesmitteilungen Mannheimer Zahlen bekommen, auch über das Robert Koch-Institut.

Wobei die Zahlen ja auch nur mit PCR-Tests bestätigte Infektionen zeigen. Bei unserem letzten Interview vor vier Monaten vermuteten Sie bereits, dass es drei Mal mehr Infizierte gibt als erfasst. Das hat sich wohl noch verstärkt, oder?

Schäfer: Ja, die Dunkelziffer dürfte heute noch höher liegen. Man kennt das ja aus dem Freundeskreis: Bei einem positiven Schnelltest verhalten sich die meisten Menschen bereits entsprechend, eine PCR-Diagnostik wird immer seltener gemacht.

Wie verhält man sich denn mittlerweile bei Symptomen richtig?

Schäfer: Ein Selbsttest kann hier immer sinnvoll sein. Bei ernsteren Beschwerden kontaktiert man seinen Hausarzt, der entscheidet dann über das weitere Vorgehen. Und krankschreiben lassen kann man sich weiterhin auch telefonisch.

Was ist, wenn der Arzt sagt: „Bleiben Sie einfach daheim, bis es Ihnen wieder gut geht.“ Kann man dann direkt wieder raus, sobald die Symptome weg sind?

Schäfer: Das würde ich vorerst nur etwa zu Spaziergängen, aber enge Kontakte zu anderen Menschen vermeiden. Und wo das nicht geht, eine FFP2-Maske tragen. Wer 48 Stunden symptomfrei ist, kann sich wieder unbefangen mit anderen treffen.

Auch ohne Maske?

Schäfer: Ja. Wobei ich generell immer dafür plädiere, dort, wo viele Menschen in engen Räumen zusammen sind, eigenverantwortlich eine FFP2-Maske aufzusetzen, etwa im öffentlichen Nahverkehr.

Wobei die bundesweite Pflicht dazu in Bussen und Bahnen gerade bröckelt. Wie finden Sie das?

Schäfer: Ich halte es für kaum noch kommunizierbar, wenn es da unterschiedliche Regelungen gibt. Wieso sollte beispielsweise jemand in der Straßenbahn von Neckarau zum Hauptbahnhof keine Maske mehr tragen müssen, wenn er danach im ICE nach Frankfurt eine aufsetzen muss? Fachlich bin ich aber nach wie vor für die Maskenpflicht im Nahverkehr. Sie ist nur ein kleiner Eingriff in die persönliche Freiheit, zudem schützt sie ja auch vor Erkältungskrankheiten.

Apropos: Virale Erkältungen sind derzeit sehr weit verbreitet. Liegt das nur an der Jahreszeit?

Schäfer: Dass diese Krankheiten im Winter herumgehen, ist normal, es gibt auch immer wieder Schwankungen in einzelnen Jahren. Aber anders als noch vor zwei Jahren schützt uns davor unser Immunsystem nicht mehr ausreichend . . .

Weil wir von den Lockdowns und vom vielen Maske-Tragen viel weniger abgehärtet sind als sonst?

Schäfer: Gerade braucht unser Immunsystem noch, bis es uns wieder besser vor Viren schützen kann. Schon im Sommer haben wir in Ländern auf der Südhalbkugel, wo Winter war, den gleichen Effekt gesehen.

Wie ist das bei Kindern?

Schäfer: Kleinkinder sind noch stärker betroffen, weil sie vor Corona gar nicht oder kaum die Gelegenheiten hatten, sich an Viruserkrankungen zu gewöhnen. Das ist jetzt so wie sonst im ersten Kita-Jahr, wo man üblicherweise alles mal bekommt.

Bei Schulkindern ist das Immunsystem durch das Masken-Tragen auch weniger gut gerüstet, oder?

Schäfer: Ja, sie waren von Masken doppelt geschützt, weil nicht nur sie selbst, sondern auch alle anderen in der Schule welche getragen haben.

Dann ist die derzeitige bundesweite Überlastung der Kinderkliniken auch eine Folge der Pandemie?

Schäfer: Dort kommen zwei Ursachen zusammen: Neben den ungewöhnlich vielen Atemwegserkrankungen hat sich die Personalausstattung der Kinderkliniken nochmals reduziert.

Wann werden die Erkältungserkrankungen - bei Kindern wie Erwachsenen - wieder zurückgehen?

Schäfer: Zunächst rechne ich in den nächsten Wochen mit einem weiteren Anstieg. Im ersten Quartal 2023 dürfte sich die Lage stabilisieren. Ein deutlicher Rückgang wird dann vermutlich erst mit Beginn der wärmeren Jahreszeit einsetzen. So, wie wir es ja auch von Corona kennen.

Zurück zu diesem Virus. Wie oft wird man sich dagegen wohl noch impfen lassen müssen?

Schäfer: Schwer zu sagen. Womöglich wird es, wie bei Influenza, jährlich angepasste Impfstoffe geben, mit denen dann allen eine Auffrischung empfohlen wird.

Derzeit rät die Ständige Impfkommission nur über 60-Jährigen und besonders Gefährdeten zu einem zweiten Booster. Sie auch?

Schäfer: Es kommt immer auf den Einzelfall an, etwa auf die Sozialkontakte. Aber bei unter 60-Jährigen ohne Vorerkrankungen oder andere Risikofaktoren genügen bisher im Regelfall drei Impfungen.

Das Impfzentrum in Neckarau haben Sie jetzt geschlossen. Wie groß war da noch die Nachfrage?

Schäfer: Bis Ende Oktober kamen pro Woche rund 300 Menschen. Zuletzt war es nur noch eine hohe zweistellige Zahl. Die können Arztpraxen und Apotheken abdecken.

Ebenfalls in der Salzachstraße haben Ihre Mitarbeiter die einrichtungsbezogene Impfpflicht kontrolliert. Wurden mal Bußgelder oder Betretungsverbote verhängt?

Schäfer: Nein. Wir haben wie andere Kommunen mildere Mittel gewählt und etwa individuelle Lösungen für die Betroffenen gesucht. Einige Bußgeldverfahren wurden zwar eingeleitet, aber nicht weiterverfolgt. Auch aus rechtlichen Gründen, weil das Gesetz zum Jahresende ausläuft.

Hätte man sich dieses vermurkste Gesetz nicht besser ganz gespart?

Schäfer: Als die einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen wurde, hatten wir noch die weitaus aggressivere Virusvariante Delta. Als das Gesetz dann im März in Kraft trat, war die Lage mit Omikron schon deutlich weniger dramatisch. Auch daher haben wir die Ermessensspielräume vor Ort genutzt, wie es uns das Gesetz für jeden Einzelfall als Prüfung vorgibt.

Auch wenn man hinterher immer schlauer ist: Hat es der Staat bei der Bekämpfung der Pandemie da und dort vielleicht übertrieben?

Schäfer: In dieser Diskussion werden wir ein vermeintliches Opfer unseres Erfolgs, es geht um das sogenannte Präventionsparadoxon. Hier sollten wir zwei Jahre zurückblicken: Es gab noch keine Impfstoffe sowie sehr viele Tote in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Da mussten wir einfach alles unternehmen, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Damals war das richtig. Mit dem Wissen von heute - vor allem, was die Folgewirkungen besonders für die Jugend angeht - kann man rückblickend jedoch sagen, dass wir für (hoffentlich nicht kommende) künftige Pandemien gelernt haben.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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