Auszeichnung

Mannheimer Fotograf Luigi Toscano erhält Verdienstorden der Bundesrepublik

Von 
Markus Mertens
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verleiht den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland an Luigi Toscano aus Mannheim. © Wolfgang Kumm/dpa

Mannheim. Für Luigi Toscano begann vor 20 Jahren alles mit einem Sonderpreis für eine analoge Fotokamera in einem Elektronikkaufhaus. „Das Angebot war zu gut, um es auszuschlagen“, erinnert sich der Künstler im Gespräch mit dieser Redaktion noch heute augenzwinkernd, „aber eigentlich war dieser Kauf ein totaler Reinfall“. Denn die ersten Bilder, die der Deutsch-Italiener schießt, sind unscharf, uninspiriert und wie er selbst sagt: „ein Fall für die Tonne“.

Toscano wird zum Handeln gezwungen

Doch Toscano hat ein Problem: Das Geld für die Kamera ist ausgegeben, der Händler nimmt die Ware mit Verweis auf den Rabatt nicht zurück - und zwingt Toscano somit zum Handeln. Dass ihn der Weg vom Grundkurs an der Volkshochschule zur Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz ins Schloss Bellevue führen würde, hätte der Selfmade-Fotograf „im Traum nicht erwartet“. Doch ist es eine Verleihung, die eine Biografie würdigt, die - bei allen vorhandenen Unebenheiten - stets den Mut zum Wagnis mit sich brachte.

Luigi Toscano

  • Der italienisch-deutsche Fotograf Luigi Toscano wurde am 9. Mai 1972 in Mainz geboren, er lebt und arbeitet in Mannheim.
  • Für sein Projekt „Gegen das Vergessen“ hat Toscano mehr als 400 Holocaust-Überlebende persönlich getroffen, porträtiert und die Bilder an öffentlichen Orten ausgestellt.
  • Für sein Engagement ist Toscano am Freitag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. mer

 

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Von
Stefan M. Dettlinger
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Denn auch nachdem sich Toscano das Handwerk des Fotografen Stück für Stück einverleibt, seine eigene Handschrift entwickelt und erste Projekte kuratiert, arbeitet er weiterhin als Fensterputzer, Türsteher und Dachdecker, um sich und sein Leben zu finanzieren. Im Gespräch mit dem „MM“ wird Toscano dazu sagen, er sei nie zu stolz dazu gewesen, auf seinen eigenen Beinen zu stehen - ohne dabei zu erwähnen, mit welchen Mühen und Entbehrungen diese Entscheidungen für ihn verbunden gewesen sind.

Es ist genau diese Demut, die sich zu Beginn der 2010er Jahre mit der Vision verbindet, Überlebende des Holocaust, vielleicht zum letzten Mal, im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Das Projekt „Gegen das Vergessen“ entsteht, 2015 werden die eindrücklichen Porträtaufnahmen erstmals auf die Fassade der Alten Feuerwache gestrahlt - und es folgt eine riesige Welle der Aufmerksamkeit, mit der selbst der geerdete Toscano nicht gerechnet hatte. „Ich bin mit meinem ganzen Mut, aber auch einer gesunden Portion Naivität in dieses Projekt gestartet. Ich konnte nicht wissen, was mich erwarten würde, aber die Überlebenden haben einfach gespürt, dass ich es wirklich ernst mit ihnen meine.“

Porträts von mehr als 400 Überlebenden gezeigt

Ein Ernst, der Wellen schlägt. Denn es sind nicht nur Toscano und sein Team, die auf der Suche nach Überlebenden auf immer mehr Lebensläufe und Offenheit stoßen: Der Künstler erhält Post und Mails aus aller Welt. Wie von Anna, die man mit ihren Eltern als kleines Mädchen nach Auschwitz deportierte, als Versuchskind von Josef Mengele malträtierte, und die später selbst Ärztin wurde, um die grausamen Taten der Nazis aus ihrer Identität zu tilgen. Geschichten wie diese erlebt Toscano dutzendfach, er besucht „seine“ Zeugen des NS-Völkermords persönlich, schlägt mit kleinen Mitbringseln Brücken des Vertrauens - und darf dabei sowohl Humorvolles als auch Verstörendes erfahren: „Jedes einzelne dieser Fotos ist am Ende das Ergebnis eines Prozesses, der mich an den Rand des Abgrunds geführt hat. Diese Intensität zu erleben, aber gleichzeitig weder finanziell noch körperlich zu wissen, wie man dem standhält, war eine extreme Herausforderung.“

Doch es sind Anstrengungen, die sich bezahlt machen. In den folgenden Jahren werden Porträts von heute mehr als 400 Überlebenden in Kiew und Genf, aber auch vor der Zentrale der Vereinten Nationen in New York sowie am Berliner Hauptbahnhof gezeigt. Impulse, die Wirkung hinterlassen. Die Unesco ernennt in Toscano den ersten Fotografen weltweit zum „Artist for Peace“, und als seine Ausstellung am Wiener Burgring 2019 von Unbekannten angegriffen wird, ist es mit Alexander van der Bellen der Bundespräsident Österreichs, der sich an die Seite des Künstlers stellt.

Dass nun auch Frank-Walter Steinmeier mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes nachzieht und damit bewusst einen Mann auszeichnet, der die Stimmen von Menschen verstärke, die sonst unerhört blieben, krönt ein Anliegen, das Toscano auch in Zukunft umtreiben wird: „Diese Würdigung ist für mich eine Auszeichnung an die Überlebenden und die Geschichten, die ich durch ihre Bilder erzählen darf - und mit diesem Kapitel habe ich noch längst nicht abgeschlossen.“

Freier Autor

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