Lehrerversorgung

Mannheimer Eltern schildern Kultusministerin drastische Zustände

Lehrerversorgung bei 69 Prozent: So sieht es derzeit an der Eugen-Neter-Förderschule aus. Wie sich das konkret auswirkt, schildern Elternvertreterinnen der Kultusministerin in drastischen Worten. Wie will sie das Problem angehen?

Von 
Bertram Bähr
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Beim Rundgang mit Schulleiterin Silvia Challal (M.): Ministerin Theresa Schopper (neben Challal) und Bildungsbürgermeister Dirk Grunert mit weiteren Gästen in einer ersten Klasse. © Christoph Blüthner

34 Wochenstunden stehen auf dem Papier. Das ist die Zahl, die die Eugen-Neter-Förderschule (ENS) für geistige Entwicklung im vergangenen Schuljahr gefordert, aber nicht bekommen hatte. Stattdessen gab es 30 Stunden – verbunden mit massiven Abstrichen beim Ganztag. Der laute Protest blieb nicht aus – und zeigte Wirkung.

Jetzt also wieder 34 Stunden. „Aber unter welchen Vorzeichen?“ Die stellvertretende ENS-Elternbeiratsvorsitzenden Alexandra von Gropper beantwortet ihre rhetorische Frage selbst – vor mehreren Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörern. Darunter: die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper. Sie hat ihr Versprechen vom Frühjahr wahr gemacht und ist in den Mannheimer Norden, auf die Blumenau, gekommen.

Lehrerversorgung: 69 Prozent

Unter welchen Vorzeichen steht also die Aufstockung? „Es gibt genauso viele, besser gesagt, genauso weniger Lehrer wie bisher – aber 30 Schüler mehr“, erklärt Alexandra von Gropper. Wie kann das funktionieren? Zum einen durch mehr Schüler pro Klasse. Zum anderen dadurch, dass es in den Klassen weitgehend keine Lehrer-Tandems mehr gibt. „Ja, wir haben uns die 34 Stunden gewünscht, weil wir verlässliche Betreuungszeiten brauchen“, so von Gropper: „Aber nicht um jeden Preis. Quantität statt Qualität war nicht das Ziel.“ Was eine statt eineinhalb Stellen für die Lehrerversorgung der ENS rechnerisch bedeutet, sagt auf Nachfrage Arnulf Amberg vom Staatlichen Schulamt: Die Versorgung liege bei 69 Prozent.

Beschrieben in drastischen Worten die Situation: die Elternvertreterinnen Yvonne Münch (l.) und Julia Wiegand. © Christoph Blüthner

Warum eineinhalb Stellen pro Klasse unerlässlich sind, machen die Elternbeiratsvorsitzende Julia Wiegand und die Elternvertreterin für die Außenklassen, Yvonne Münch, in teils drastischen Schilderungen deutlich. Wiegand nimmt das Beispiel ihres Sohnes. Er hat die höchste Pflegestufe, eine geistige Behinderung und motorische Defizite. Trägt Windeln, muss gefüttert werden, kann nie unbeaufsichtigt bleiben. Ist nicht in der Lage, seine Bedürfnisse, Gefühle oder Erlebnisse mitzuteilen. Wie er hat jedes Kind seinen eigenen Förderplan, mit eigenen Zielen, erklärt Wiegand.

Mit ihm besuchen sechs weitere Schülerinnen und Schüler die Klasse. Wiegand richtet sich an Schopper und die anderen Gäste: Wie sollen die Förderpläne umgesetzt, die Ziele erreicht werden, „während Kind A aus dem Klassenzimmer rennt, Kind B auf die Toilette begleitet werden muss, Kind C anfängt zu schreien, Kind D die Schuhe auszieht und durchs Zimmer wirft? Und dann gibt es aber auch noch die drei anderen Schüler, die vielleicht im Zahlenraum 1 bis 20 rechnen können.“

Und dafür eine einzelne Lehrkraft. Immerhin gibt es einige Schulbegleiter oder pädagogische Assistentinnen. Sie können pflegerische Tätigkeiten übernehmen – die Lehrkräfte punktuell entlasten. Dennoch: Yvonne Münch ist befreundet mit einer Sonderpädagogin, weiß, wie es vielen geht – „gehetzt und gestresst wie wir Eltern“.

Eugen-Neter-Schule

Die Eugen-Neter-Schule richtet sich an Schüler, die wegen starker Entwicklungsverzögerungen den Bildungsgängen allgemeiner Schulen nicht folgen können und individuelle Hilfen benötigen.

Derzeit besuchen 288 Schüler das Stammhaus, daneben gibt es 20 Außenstandorte.

Im Idealfall gehen nicht mehr als sechs Schüler in eine Klasse und werden von Lehrer-Tandems unterrichtet. Beides ist kaum noch zu realisieren. bhr

Zu Beginn beschreibt Rektorin Silvia Challal die Situation, die nicht zuletzt von immer mehr Schülern und zunehmender Raumnot geprägt sei. Ohne pädagogische Assistenten „würden wir die Arbeit gar nicht schaffen“, sagt sie. Aber es sei auch herausfordernd, immer wieder neue Kräfte anleiten zu müssen.

Was die Lehrer angeht: Zwar habe man zehn Stellen ausschreiben dürfen, „das gab es noch nie“. Aber davon konnten vier Stellen nicht besetzt werden. Trotz allem sei man durch Bildung großer Klassen und „überschaubarem Krankheitsstand handlungsfähig“. Aber: „Schlechter darf es auf keinen Fall werden.“

Verlust an individueller Förderung

Wenn Handlungsfähigkeit bedeute, dass jede Klasse „genau eine Lehrkraft“ habe, so von Gropper, „würde ich sagen, das Wasser steht uns bis zum Hals. An den Elternabenden wurde bereits angekündigt, dass ganze Klassen nach Hause geschickt werden müssen, wenn die Lehrkraft erkrankt. Es gibt keine Reserve.“ Die individuelle Förderung bleibe da völlig auf der Strecke.

„Es berührt mich sehr, was Sie gesagt haben“, so Schopper. Sie nehme das alles mit nach Stuttgart. Die fehlenden Lehrkräfte habe sie leider nicht mitbringen können. Aber sowohl kurz- als auch langfristig arbeite man daran, die Lage zu verbessern – mit „Direkt- und Seiteneinstieg“ in die Sonderpädagogik ebenso wie mit mehr Studienplätzen.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim. Schwerpunkte: Schulen und Kitas

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